Alle Artikel in: Tabuthema?

Vor dem Rot: Zwangsstörung, Zyklus und PMS #readyornot

Bevor ich blute, bin ich zart und schmerzaffin, mein Herz ist schwerer und ich kann keine blöden Sprüche mehr hören. Ich spüre eine deutliche Distanz zum Außengeschehen, merke aber gleichzeitig, wie wichtig es ist, mich hin und wieder zu überwinden. Manchmal muss ich nach Hause, weil ich sonst wie ein Damm brechen und fluten würde. Muss aus der Straßenbahn rennen, weil mir schlecht ist, heiß und kalt, und alle Bedürfnisse sich zu Einem kristallisiert haben: Ich muss mich verstecken; vor dem verdreckten Hauptbahnhof und den aufgegebenen Besoffenen, vor den Knallfroschnachrichten, die einen beißenden Geruch hinterlassen, vor dem Geschirr, dass ich nicht spülen kann, vor dieser bodenlosen Trauer, die ich nur aushalten, aber nicht wegträumen oder vergessen kann. #readyornot beschäftigt sich mit Zwangsstörungen. Sie werden häufig missverstanden oder als „Putzfimmel“ abgetan, was sehr schade und hinderlich ist: Durchschnittlich werden Betroffene nämlich erst nach neun Jahren diagnostiziert. Menschen mit Zwangsstörungen leiden unter unerwünschten Zwangsgedanken und/oder unter Zwangshandlungen, die ihren Alltag zunehmend vereinnahmen und alle möglichen Themenfelder umkreisen können. Effektiv behandelt werden Zwänge mit kognitiver Verhaltenstherapie und Konfrontation mit …

Umzäunter Himmel

Trigger Warnung: Der Text behandelt psychische Erkrankungen (Depression, Angst, Schizophrenie, Borderline) und suizidale Gedanken. Die Namen der Personen im Text sind verfremdet.  Es war ein bedrückend heißer Julitag, als ich in den umzäunten Himmel blickte und Hunger hatte. In der Klinik gab es Mittagessen, aber das hatte immer einen seltsamen Nachgeschmack.  Manchmal fragte ich mich, ob das Personal wusste, dass sie für Menschen kochten, die keine Freude am Leben finden konnten. Es war offensichtlich, dass die Einrichtung unterfinanziert war. Ständig fielen Therapiestunden aus und die meiste Zeit verbrachte ich im Aufenthaltsraum und redete mit Mitpatient:innen, die nichts mit mir gemeinsam hatten.  An meinem ersten Tag in der psychiatrischen Tagesklinik stand ich im Flur und empfand eine Mischung aus Trotz und Trauer: Wie konnte ich hier landen? Ich hatte alles richtig gemacht: Abitur mit Einserschnitt, Stipendiatin, Journalismus-Studium. Seit meinem 14. Lebensjahr war alles in meinem Leben darauf ausgerichtet Anerkennung zu erhalten, erfolgreich zu sein, einen Platz in der Welt der Elite-Unis und Traditionszeitungen zu finden. Warum war ich dann nach Wochen voller Panikattacken zusammengebrochen und hatte mich im Garten …

Sprache ohne Worte

Triggerwarnung: In diesem Beitrag werden Szenen von häuslicher Gewalt beschrieben. Wenn es Dir damit nicht gut geht, lies den Text lieber nicht oder nur gemeinsam mit einer anderen Person. Wenn Du selbst von häuslicher Gewalt betroffen bist oder eine betroffene Person kennst, findest Du hier Hilfe. Augen können sprechenVor allem die Farben darunterVor allem das Blau und GrünUnd später mal das GelbVor allem halb geschlossene, tränende, fast schon vor dem Überlaufen stehende Augen können sprechen Du schleichst an all den Leuten vorbeiAls wär gestern nichts gewesenFast wünschst du dir, sie würden nicht tun als hätten sie nichts gehörtgesehen odergeahntFast wünschst du dir, sie hätten richtig hingesehen,Ihn auf dich losgehen sehen – Wenn Augen sprechen könntenDann würden die Farben darunter schreienWeil du es nicht durftest, nicht konntest, nicht können wirst Aber das kannst du ja nicht alles sagenUnd auf Fragen oder besorgte BlickeWinkst du nur lächelnd ab und meinstEs wäre alles besser als gedachtDu hättest alles halbwegs unter KontrolleEs könnte alles noch viel schlimmer sein,Du brauchst keine Hilfe, denn du hast es schließlich auch allein bis zu …

Tabuthema? Vaginaler Ausfluss #unterkörperwelten

Ein Chamäleon namens fluor vaginalis – den vaginalen Ausfluss gibt es in den unterschiedlichsten Farben und Konsistenzen. Für Menschen mit Uterus ist er ein alltäglicher Gefährte, der natürlicher nicht sein könnte. Widmen wir ihm also etwas mehr Aufmerksamkeit. Dezember. Die Außentemperatur sinkt nachts auf minus 5 Grad Celsius. Für viele bedeutet das All I Want For Christmas auf repeat. Für mich, meine eingestaubten, ausgeleierten Thermostrumpfhosen aus Kisten kramen und inständig hoffen, dass die Motten sich in den vergangenen Monaten nicht daran bedient haben. Schicht um Schicht schlinge ich um meinen Körper, damit er der eisigen Kälte standhält. So kam es, dass ich in einem niedlichen Café saß, an meinem Chai Latte nippte und das hektische Treiben der Menschen vor der Glasscheibe beobachtete. Bauchnabel abwärts trug ich: einen Slip, eine Thermostrumpfhose, eine Feinstrumpfhose (damit besagte Thermostrumpfhose keine Möglichkeit hatte, der Außenwelt in ihrer Hässlichkeit Hallo zu sagen), ein Paar dicke Socken und eine Jeans. Es war also wohlig warm, da unten. So saß ich noch ein gutes Stündchen, mit überschlagenen Beinen und drückte mich vor der …

Laut bleiben #Zeitgeist*in

In der Schule wurde mir nur wenig Raum gegeben, meine Gedanken frei zu äußern, mir eine Meinung zu Themen zu bilden. Trotzdem rang ich immer wieder darum, trotzdem irgendwie zu Wort zu kommen – Ein Erfahrungsbericht darüber, wie ich versuchte aus dem System herauszubrechen. Dass nicht ich diejenige war, die dabei auf ganzer Linie versagte, realisierte ich erst später. Der Drang Ich hatte schon mehrmals Texte für oder über die Schule geschrieben. Meist waren sie nur das Ventil für Wutausbrüche zu Notengebung, Rassismus und Armutsdiskriminierung. Selten hatte ich die Möglichkeit, sie vorzulesen. Wenn doch, war es dann meist nur Prosa, die ich aus der Inspiration eines Buches heraus geschrieben habe. Wenig politisch, nichts sonderlich spannendes. In der Abschlussklasse kam es dann anders. Wir bekamen die Aufgabe, einen Text über einen sozialen Missstand zu schreiben. Während andere tagelang recherchierten, war mir sofort klar: Ich schreibe über die Tamponsteuer. Menstruation war sowieso ein Thema, das keiner meiner Lehrer*innen seit dem Sexualkundeunterricht mehr auch nur in den Mund hatte nehmen wollen. Die Petition für die Senkung hatte ich …

62 Monate

„Wo ist er?“, frage ich plötzlich hellwach. „Er ist heute Nacht gestorben“, sagt meine Mama auf unserer Küchenbank kauernd. Ich schaue auf den Backofen. 6:32 Uhr steht auf der roten Anzeige. Ich bin heute vor dem Wecker aufgewacht. Ganz von allein. Das kommt sonst nie vor. Langsam gehe ich rückwärts wieder aus der Küchentür, durch den Flur und schließlich ins Wohnzimmer. Dort lasse ich mich auf unser braunes Wildledersofa sacken. Ich lehne meinen Kopf gegen die weiche Rückenlehne und starre vor mich hin. Weinen kann ich nicht. Die Stimme der besten Freundin meiner Mutter in der Küche, wie sie versucht, meine Mama davon abzuhalten, mir zu folgen, hallt in meinem Schädel. Meine Gedanken setzen aus. Sie setzen 62 Monate aus.  Heute ist der Tag, an dem mich alles einholt. Die ganzen 62 Monate, seitdem mein Papa gestorben ist. Ich sitze auf meinem ranzigen Ikealammfell in meinem 12-Quadratmeter-WG-Zimmer in Wien. Ich dachte, es würde besser werden, wenn ich meine Sachen packe und so weit wie möglich von der Kleinstadt, die ich „Heimat“ nenne, wegziehe. 600 Kilometer sind genug Entfernung zu vergessen, was ich vergessen …

Tabuthema? Pille danach #Zeitgeist*in

Missgeschicke bei der Verhütung kommen vor. Doch was tun, wenn das Kondom reißt oder die Pille zu spät eingenommen wurde? Ein Erfahrungsbericht, die Frage nach der immer noch bestehenden Tabuisierung des Themas und Antworten auf die wichtigsten Fragen zur PiDaNa. Tja, und dann ist es passiert. Ich schäle mich aus der Bettdecke, taste in der Dunkelheit nach meinem Handy, öffne den Browser und tippe ein: Pille danach. Ein Lagebericht Nur ein Schulterzucken und drüber lachen genügt jetzt natürlich nicht. Soll eine ungewollte Schwangerschaft verhindert werden, müssen wir handeln. Ja, das wir steht hier nicht umsonst. Zwar tragen weder mein Sexualpartner* noch ich die Schuld am Versagen des Kondoms, aber wir sollten trotzdem gemeinsam darüber sprechen. Ein bisschen wie bei einem Anruf bei der Feuerwehr, bei welchem man die Lage schildert, gehen wir alle Fragen durch: Was genau ist passiert?Wie und warum ist es passiert?Was bedeutet das?Was machen wir jetzt? Als ich dann frühmorgens die Apotheke betrete, kneife ich, vom grellen Deckenlicht geblendet, die Augen zusammen. Mein Partner* hatte mir zwar angeboten, die Pille danach für …

Blau ist das neue Rot #Zeitgeist*in

„Always trocken. Always sauber. Und mit Sicherheit ein gutes Gefühl.“, schreit mir eine energische Stimme entgegen, während ich mir Unmengen Puffreis in den Mund schaufle. Ich bin dreizehn, habe meine Liebe für tieftraurigen Deutschrap entwickelt und neuerdings auch meine Periode. Wie wunderbar.  Abgesehen davon, dass ich mit dieser Veränderung in meinem Körper, den Schmerzen, dem Blut erst einmal klarkommen musste, irritierte mich schon damals etwas an diesen Werbespots für Tampons, Binden und Co. enorm. Ich saß vor dem Fernseher, Wärmflasche auf dem Unterbauch liegend, halb getrockneten Blutfleck im Slip. Und die Frau in der Werbung? Strahlend hüpft sie durch den Park, der weiße Rock wirbelt stürmisch um ihre Beine. Den Fakt ausgenommen, dass das ein größtenteils völlig verqueres Bild davon zeigt, wie man während seiner Periode aussieht und agiert: Wo bleibt da das Blut?   Schnitt. Die lachende Frau ist verschwunden. Eine schwebende Binde erscheint. Und dann folgt das Unrealistischste, das Fernsehzuschauer wohl je zu Gesicht bekommen werden: Aus dem Nichts wird blaues Gel auf eine Binde gegossen, um ihre („ultra“) Saugfähigkeit unter Beweis zu stellen. …

Tabuthema? Der weibliche Orgasmus

Der weibliche Orgasmus, auch Höhepunkt oder Klimax, ist und bleibt ein Mysterium für sich, denn Frauen fällt es oft deutlich schwerer, beim Sex zu kommen. Wieso wird darüber so wenig gesprochen? Wieso sind männlicher und weiblicher Orgasmus immer noch nicht gleichberechtigt? Wie war es früher und wie ist es jetzt? Im Mittelalter wurde davon ausgegangen, dass Frauen nur dann schwanger werden können, wenn sie einen Orgasmus erleben. Die Männer waren deshalb immer darauf aus, die Frauen zum Höhepunkt zu bringen. Tragisch war, dass Vergewaltigungen gesetzlich nicht mehr als solches gesehen wurden, wenn die Frau schwanger wurde – also vermeintlich gekommen ist. Im viktorianischen Zeitalter (19. Jahrhundert) wurden sexuelles Verlangen und vaginale Ausscheidungen als Symptome für Hysterie. Hysterie ist laut Duden ein veralteter Begriff aus der Medizin und beschreibt eine „abnorme Verhaltensweise mit vielfachen physischen und psychischen Symptomen ohne klar umschriebenes Krankheitsbildgehalten“. Weibliche Sexualität wurde folglich mit einer „Beckenmassage“ behandelt, bei der der Frau ein „Manipulator“ eingeführt wurde, der sie zum Orgasmus brachte – ähnlich wie ein Vibrator. Erst im 20. Jahrhundert, in den 1940er Jahren, …

Tabuthema? Stay safe!

Im heutigen Beitrag soll es um eine ganz bestimmte Sache gehen, mit der sich viel zu wenig beschäftigt wird und über die selbst lesbische/bisexuelle Frauen nicht unbedingt (genug) Bescheid wissen: Verhütung! Denn ja, auch wenn das HIV-Risiko niedrig ist, könnt ihr euch mit Hepatitis, Herpes (beides schon übrigens allein durch Küsse!), Tripper, Pilze und bakterielle Vaginose infizieren. Aber kein Grund zur Sorge, denn wenn ihr euch vorher genügend informiert und schützt, sind eurem Liebesleben keine Grenze gesetzt. Kleiner Disclaimer: Wir sprechen hier nur über den Sex zwischen zwei Frauen*. Natürlich gilt all das auch für die, die sich nicht als Frau definieren, aber über weibliche Geschlechtsteile verfügen. Genauso wie heterosexuellen Paare, die Oralverkehr betreiben! Das Wichtigste: Sprecht miteinander & klärt die Fronten. Seid vor allem ehrlich zueinander. Wenn sich nicht ausschließen lässt, dass eine von euch beiden eine sexuell übertragbare Krankheit hat, gilt als erstes: Lasst euch testen! Das ist nicht peinlich, sondern ganz wichtig. Beim Oralverkehr können Scheidensekrete oder Menstruationsblut den HIV-Virus enthalten & über den Speichel übertragen werden. Während der Menstruation schützt ihr euch vor …