Autor: Gastgedanken

Umzäunter Himmel

Trigger Warnung: Der Text behandelt psychische Erkrankungen (Depression, Angst, Schizophrenie, Borderline) und suizidale Gedanken. Die Namen der Personen im Text sind verfremdet.  Es war ein bedrückend heißer Julitag, als ich in den umzäunten Himmel blickte und Hunger hatte. In der Klinik gab es Mittagessen, aber das hatte immer einen seltsamen Nachgeschmack.  Manchmal fragte ich mich, ob das Personal wusste, dass sie für Menschen kochten, die keine Freude am Leben finden konnten. Es war offensichtlich, dass die Einrichtung unterfinanziert war. Ständig fielen Therapiestunden aus und die meiste Zeit verbrachte ich im Aufenthaltsraum und redete mit Mitpatient:innen, die nichts mit mir gemeinsam hatten.  An meinem ersten Tag in der psychiatrischen Tagesklinik stand ich im Flur und empfand eine Mischung aus Trotz und Trauer: Wie konnte ich hier landen? Ich hatte alles richtig gemacht: Abitur mit Einserschnitt, Stipendiatin, Journalismus-Studium. Seit meinem 14. Lebensjahr war alles in meinem Leben darauf ausgerichtet Anerkennung zu erhalten, erfolgreich zu sein, einen Platz in der Welt der Elite-Unis und Traditionszeitungen zu finden. Warum war ich dann nach Wochen voller Panikattacken zusammengebrochen und hatte mich im Garten …

Wenn du mal wieder in meinem Kopf bist

Halb zwei Uhr nachts. Wenn ich mal wieder nicht schlafen kann, bist du in meinen Kopf.Ich will dich jetzt!In meinen Armen und zwischen meinen Beinen. Ich will Blümchensex und deine Königin sein. Ich will diskutieren und nicht immer recht haben. Ich will die Sonne auf meiner Haut spüren und dich neben mir liegen sehen.Ich will pure Romantik und langweiliger Alltag für dich sein. Ich will alles und wieder nichts.Eine törichte Zeit, darauf zu vertrauen, dass wir zusammenbleiben. Ein lächerlicher Gedanke zu glauben, du meinst es ernst!Jedes Wort von dir, eine Lüge. Wie ein Meister sein Spiel beherrscht, so hast du mich beherrscht. Bei jedem Wort hing ich an deinen Lippen, hab alles in mich aufgesaugt. Jeden Fehltritt und jede Beleidigung unter den Tisch gekehrt. Für deine Freund*innen ein Lächeln aufgesetzt. Ich war betäubt von meinen Gefühlen. Du warst betäubt von Bier, Wodka und allem Möglichen.  Ich bin zu einer Puppe geworden. Einer Puppe mit langen Haaren, säuberlicher Kleidung und einem aufgesetzten Lächeln. Nichts erschien mehr echt. Du warst mein Fels, mein Anker und mein fester Stützpunkt. Ohne …

Zwischen Palettensofa und Kinderbett

Ich bin erwachsen genug, um mir eine teure Matratze zu kaufen und passendes Geschirr zu haben. Bin alt genug, um mir mein tägliches Leben so einzurichten, dass es sich gut anfühlt. Irgendwie habe ich gedacht, es dauert noch – bis ich mir eine gute Kamera kaufe, ein Klavier zu Hause steht oder bis ich meinen Wein nicht mehr aus Ikea-Gläsern trinke. Und irgendwie habe ich auch gedacht, ich fände das noch gut. Bis gestern. Ich steige aus der U-Bahn aus und der eisige Berliner-Winterwind weht mir ins Gesicht. Es ist ein Freitagabend im Februar, wir haben uns zum Abendessen verabredet. 19 Uhr bei euch zu Hause. Und als ich die Straße entlang zu eurer Wohnung gehe, fühlt es sich seltsam vertraut an. Ich überlege, wann ich das letzte Mal bei euch war und es ist bestimmt schon vier Jahre her. Der Türöffner surrt ich und laufe die Treppen in den vierten Stock.  Wir umarmen uns zur Begrüßung, ich lege meine Einkäufe ab und wir fangen in der Küche direkt an zu schnippeln. Es fühlt sich …

Ein Ort namens Zufriedenheit

Es gibt Tage, an denen ich abends im Bett liege und nicht einschlafen kann. kommt vor, ist nichts weiter schlimmes und kennt ja schließlich jeder. doch ab und an, da wollen mir meine Gedanken einfach keine Ruhe lassen und wenn ich mich dann um halb zwei noch immer in den Laken wälze, halte ich es manchmal einfach nicht mehr aus. Wie mechanisch greift meine Hand dann zum Handy und mit zwei, drei schnellen Fingerbewegungen öffnet sich auch schon Instagram. Zack – sofort springt mir das grinsen irgendeiner Bekannten, die ich vor Jahren mal im Urlaub kennengelernt habe, ins Gesicht. ein kurzer Klick und ich weiß, sie ist gerade auf Bali, verbringt ihre Zeit dort mit Surfen und dem lesen von feministischer Literatur. und ab und an häkelt sie sich ein neues kurzes Top im Schatten der Palmen. Könnte das Leben leichter sein? Na super, denke ich, und merke, wie meine Laune schlagartig fällt. Bis vor zwei Minuten war mir noch nicht einmal bewusst, dass ich gerade lieber auf Bali unter irgendeiner Palme irgendein viel zu …

Mein Lieblingsort ist die Heimat in meinem Kopf

Heimat.  It means ‘home’, right? As in the house I live in? Oh wait, it means ‘homeland’ too? As in the country I was born in? In that case, can Heimat relate to cities and towns too? And how long do I have to live somewhere for it to become my Heimat? Can I have multiple Heimaten? Is there such a thing as being heimatlos?  Das war ich, als ich das Wort Heimat zum ersten Mal gelernt habe. Ich bin Engländerin und lerne seit acht Jahren eure schwierige, aber gleichzeitig wunderschöne Sprache. Dieses Wort hat mich immer fasziniert, weil es in der englischen Sprache einfach nicht existiert. Na ja, wir könnten Heimat vielleicht mit Wörtern wie ,home‘ oder ,homeland‘ vergleichen, aber das würde das Thema verfehlen. Heimat hat keine feste Definition. Das ist das Wesen des Wortes. Heimat ist so viel mehr als ein Wort. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl – nicht zu erklären, sondern zu spüren. Und der Begriff bedeutet was anderes für jede*n, der/die sich mit diesem Gefühl verbinden will. Wie bei vielen …

Tanzen auf altem Parkett

Eine Kurzgeschichte Er bückte sich, um etwas in das Regal zu legen.Was es war, konnte sie nicht sehen.Sie vermutete aber ein Buch.Sie strengte ihre Augen ein wenig an, um einen Blick von seinem Gesicht zuerhaschen, während er sich wieder aufrichtete, aber der Winkel war zu schräg, durchden sie das Fenster auf der anderen Seite der Straße sah. Und dazu war dasFenster auch ziemlich klein, da oben im fünften Stock, knapp unter der Dachschräge. Sie hatte sich überhaupt nicht auf die Fensterbank gesetzt, um irgendjemanden zubeobachten, obwohl sie das gerne mal tat. Sie hatte sich eigentlich gesetzt, um einwenig weiter in ihrem Buch zu lesen, das sie letzte Nacht so gefesselt hatte, dass siees kaum hatte weglegen können. Er, drüben, konnte das wohl auch nicht und hattesein Buch gestern bestimmt noch bis mitten in die Nacht gelesen. Sie stellte sich vor,dass er bestimmt eine Freundin hatte. Das war ihr ganz klar. Und die Freundin hattees wahrscheinlich am Anfang der Beziehung noch gestört, dass seineNachttischlampe jedes mal so ewig an war. Er drehte den kleinen, grünen,metallenen Kopf …

Sprache ohne Worte

Triggerwarnung: In diesem Beitrag werden Szenen von häuslicher Gewalt beschrieben. Wenn es Dir damit nicht gut geht, lies den Text lieber nicht oder nur gemeinsam mit einer anderen Person. Wenn Du selbst von häuslicher Gewalt betroffen bist oder eine betroffene Person kennst, findest Du hier Hilfe. Augen können sprechenVor allem die Farben darunterVor allem das Blau und GrünUnd später mal das GelbVor allem halb geschlossene, tränende, fast schon vor dem Überlaufen stehende Augen können sprechen Du schleichst an all den Leuten vorbeiAls wär gestern nichts gewesenFast wünschst du dir, sie würden nicht tun als hätten sie nichts gehörtgesehen odergeahntFast wünschst du dir, sie hätten richtig hingesehen,Ihn auf dich losgehen sehen – Wenn Augen sprechen könntenDann würden die Farben darunter schreienWeil du es nicht durftest, nicht konntest, nicht können wirst Aber das kannst du ja nicht alles sagenUnd auf Fragen oder besorgte BlickeWinkst du nur lächelnd ab und meinstEs wäre alles besser als gedachtDu hättest alles halbwegs unter KontrolleEs könnte alles noch viel schlimmer sein,Du brauchst keine Hilfe, denn du hast es schließlich auch allein bis zu …

Vanille- oder Schokoeis

ich sitz im bus, links von mir geht die sonne unter, das gelbe licht spiegelt sich im fluss und die stadt zieht rechts an mir vorbei. eine nachricht von dir reißt mich aus meinen gedanken und plötzlich vermiss‘ ich dich.ich will vanilleeis. es ist viel zu kalt für eis und eigentlich mag ich vanille gar nicht, ich würde immer schoko wählen, es ist unangefochten das beste eis.aber jetzt ich kenne den grund, warum ich trotzdem manchmal vanilleeis essen muss.ich will zu dir, mich dir nah fühlen, verbunden mit dir sein. ich brauche dich und vanille bringt mich zu dir.  du isst am liebsten vanilleeis.du bist bunt und laut und kreativwild und frei und eigendeshalb passt es einfach nicht zu dir,dass du es am liebsten isst. ich erinner mich an momente mit dirwir zusammen und immer du mit vanilleeis,meine sorten wechseln, hab verschiedene geschmäcker probiert.meistens schoko, aber auch mango oder himbeer.wir sitzen im park, es ist warm, wir verstecken uns im schatten vor der starken sonne.während dein vanilleeis schon wieder aus der waffel läuft, weil du zu …