Liebe & Triebe
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Hintenrum #offenherzig

Für die einen ist es eine schöne Alternative zu vaginal penetrierendem Sex. Für andere ist es eine angenehme Ergänzung und für wieder andere eine spannende Form der Selbstbefriedigung: Die Rede ist von Analsex. Was lange als Tabu-Thema verpönt war, findet gerade in unserer gesellschaftlichen bubble immer mehr Präsenz. Daher möchten wir uns gerne mit den Vorurteilen sowie Klischees von Analsex auseinandersetzen, aber auch die spannende und genussvolle Seite sowie die wichtigsten Voraussetzungen beleuchten.

zwischen dir und mir ist der abstand
zu groß
wir sprechen zu viel und zu wenig davon aus
.

Dass das Thema Analsex ein Tabu ist, erklärt sich beinahe von selbst. Es geht um Sex und den Anus. Da hört es bei vielen Menschen bereits mit dem Gesprächsinteresse auf. Was nicht schlimm ist, denn jeder Mensch hat individuelle Grenzen. Allerdings ist es schade, dass der schlechte Ruf von Analsex und die damit einhergehenden Klischees und Vorurteile bei einigen Menschen das Interesse hemmt, sich auszuprobieren und vielleicht einen spannenden, neuen Anreiz in das eigene Sexleben zu integrieren.

Direkt einmal vorweg: Ich selbst habe diese Form von Sex noch nicht ausprobieren können. Der Grund dafür? Über Jahre hinweg hatte ich diesbezüglich die Erfahrungsberichte von Freund*innen gehört, die leider meist negativ ausgefallen waren: Schmerzen, Scham, Häme und fäkale Missgeschicke. In meinem Kopf hatte sich dadurch ein klares und unumstößliches Bild gezeichnet – geprägt von Skepsis.

„Ich habe absolut kein Bedürfnis das mal auszuprobieren. Für mich ist da eine Schamgrenze erreicht!“, sagte ich vor etwa einem Jahr im Gespräch mit einem guten Freund. Und das war mein Standpunkt. Schließlich beeinträchtigte mein vaginales Schmerzgedächtnis bereits lange genug meine Lust. Die Angst davor, etwas Neues auszuprobieren, das potentielle neue Schmerzen im Intimbereich hervorrufen könnte, war zu groß. Mein Gedankengang verlief also simplerweise: Analsex → vermutlich Schmerzen → du hast schon genug mit deiner schmerzenden Vagina zu tun → Ciao.

Fäkale Missgeschicke

Eine weitere Sorge festigte sich durch die Erfahrungen einer Freundin: „Er hatte nach unserem Analsex einfach Kot von mir an seinem Penis. Er fand das nicht schlimm, da wir eh ein Kondom benutzt hatten und er sich darauf eingestellt hatte. Aber für mich war das unfassbar unangenehm. Ich habe mich so geschämt und fühlte mich eklig“, erzählte sie mir.

Auch wenn es etwas sehr Natürliches ist und ich ihr mehrfach versicherte, dass ich das als außenstehende Person überhaupt nicht schlimm bewertete – ich hatte trotzdem Angst, mir könnte das Gleiche passieren. Wie merkwürdig auch schon wieder, dass man in vielen Situationen dazu neigt, eine identische Erfahrung des Gegenübers aufrichtig milde zu betrachten und in Bezug auf sich selbst viel strenger darüber zu urteilen.

Während die Punkte Schmerzen und Scham also zwei meiner Assoziationen bildeten, reihte sich mein letztes Bedenken direkt dahinter ein. Denn obwohl der Sexpartner meiner Freundin verständnisvoll reagiert hatte, blieb da noch die Angst vor der Reaktion im Falle eines solchen Falles. Konkret: Was, wenn mein Sexpartner mich dafür auslachen oder sich vor mir anekeln würde, wenn er beim Analsex in Berührung mit Fäkalien käme? Da hätten wir sie also, die eingangs erwähnten Zweifel: Schmerz, Scham, Häme und fäkale Missgeschicke.

wir verlieren uns zwischen den zeilen
denken zu viel nach über das weite
und hängen uns auf an den dingen
die wir uns nicht (zu)traun‘.

Tatsächlich fand ich mich einige Monate später in einem extrem spannenden Fetisch-Talk mit einer cis-hetero Bekannten wieder, die Analsex bereits seit einigen Jahren als Haupt-Sex-Form genießt. Gemeinsam mit ihr konnte ich all meine Bedenken reflektieren und mir Anregungen holen, wie man sich an das Thema annähert. Als erster und wichtigster Schritt erklärte sie mir dabei, dass ich grundsätzlich verstehen sollte, dass ich nichts tun müsse, was ich nicht möchte oder für mich unangenehm ist – selbst wenn ich irgendwann Analsex haben und bereits zu Anfang merken sollte, dass ich Schmerzen spüre, ist es nie zu spät, um das Experiment abzubrechen.

Analsex als Selbstbefriedigung

Als zweiten Schritt sollte ich mir den Druck nehmen, dass die Beschäftigung mit dem Thema Analsex automatisch bedeuten würden, dass ich diese Form von Sex mit einer anderen Person ausprobieren müsse – nichts verpflichtet mich zu irgendetwas. „Was ich dir als Tipp mitgeben kann, bevor du es mit jemand anderem ausprobierst: Taste dich erst einmal alleine an das Vorhaben heran. Du kannst auch im Rahmen deiner Selbstbefriedigung versuchen dich anal zu stimulieren. Ob mit einem Finger oder Toys: try it out. So nimmst du ein bisschen den Druck von deinem ersten Mal und kannst eben auch schon mal herausfinden, ob du das Gefühl überhaupt magst.“ Ihre Worte hatten mich damals sehr motiviert, mich mit dem Thema Toys im Bezug auf Analsex auseinanderzusetzen. Doch dazu gleich mehr.

Denn viel wichtiger war ihr advice in Bezug auf meine Sorgen wie Scham und Häme. „Wenn du mit Angst an das Thema herantrittst, ist das keine gute Ausgangslage. Für Analsex und Sex im allgemeinen braucht es Partner*innen, denen du vertraust, die sich Zeit nehmen, dir kein schlechtes Gewissen einreden, wenn du es abbrichst, die dein Stop respektieren und dem Bottom (Anm. d. Verf.: Der passive Part beim Analsex – Top ist der aktive Part) die komplette Kontrolle über das Maß an Schmerz das im worst case bedient werden würde, überlassen“, erklärte sie.

Es kann vorkommen, dass einem die Penetration des Afters wehtut – schließlich ist dieser nicht darauf ausgelegt, sexuell penetriert zu werden. Ihrer Erfahrung nach war das entweder nie oder nur dann der Fall, wenn ihr Sexpartner seinen Penis zu schnell oder direkt zu Beginn komplett eingeführt hatte. „Analsex kann variieren: von einer schnellen Rein-und-raus-Bewegung über das Einführen und anschließend sanften Bewegungen bis hin zur Penetration die anschließend still so verharrt während man sich anderweitig liebkost und berührt. Und auch die Form der Penetration kann von einer teilweisen bis hin zur vollständigen variieren – ihr bestimmt euer Tempo und die Intensität. Am Anfang empfehle ich jedoch einen Gang herunterzuschalten und den Penis oder andere Hilfsmittel nur Stück für Stück und langsam einzuführen.“

Und selbst wenn man alles richtig macht und die Tipps umsetzt: Sogar Autorin Charyn Peuffer weist in der Einleitung ihres Beitrags Analsex: 7 Frauen teilen ihre Erfahrungen auf Refinery29 darauf hin: „Ich muss außerdem total entspannt sein und mich bereit fühlen. Und selbst dann funktioniert es manchmal einfach nicht.“ Es kommt also auch manchmal einfach auf den Moment an und somit auf Faktoren, die man nicht beeinflussen kann.

Consent, Kommunikation und Vertrauen

Doch allein all diese neuen Erkenntnisse haben mir viel mehr Sicherheit im Bezug auf das Thema gegeben. Wie bei jeder Form von Sex: man hat nicht der gesellschaftlichen Norm oder dem Ideal der Porno- Industrie zu entsprechen. Analsex ist etwas völlig Individuelles und der consent, die ehrliche und offene Kommunikation, Verständnis, Ruhe und eine entspannte Grundsituation sind auch hier das Wichtigste.

„All diese Punkte müssen vorher geklärt werden – genauso wie die Möglichkeit des Kontakts mit Kot“, erklärte mir meine Bekannte weiter. „Die Beteiligten sollten einfach darauf vorbereitet sein, dass das möglich ist, und etwas komplett Natürliches ist. Wenn das also passiert und dein Gegenüber verständnisvoll reagiert, bleibst nur noch du übrig, die sich dafür verurteilen könnte. Sieh das dann nicht als Bloßstellung an – shit happens„, sagte sie lachend. „Wenn du das alles bedenkst und vor allen Dingen Kondome benutzt, dann sollte deiner neuen Erfahrung nichts mehr im Weg stehen“, gab sie mir zum Schluss mit auf den Weg.

„Analsex kann wunderschön sein – für mich war es zunächst ein sehr merkwürdiges Gefühl, das ich gar nicht einordnen konnte. Nicht schmerzhaft, aber auf eine gewisse Weise unangenehm, da ich es bisher nicht kannte und somit keinen Vergleich hatte. Ich habe mir dann jedoch gesagt, wenn du dich ein bisschen mehr darauf einlässt, könnte dieses Gefühl auch ganz geil sein. Das ist schwierig zu beschreiben, aber das war für mich damals eine ganz schmale Grenze zwischen weird und geil. Und letztendlich hat es mich dann in seinen Bann gezogen“, erinnerte sie sich. „Man muss halt selbst entscheiden, ob man bereit ist, sich auf dieses neue Gefühl einzulassen, oder ob man dem nichts abgewinnen kann.“

versteck‘ mich und du entdeckst mich,
mein inneres, meine checklist.
setzt haken, wo ich kreuze mach
applaudierst wo ich denke ich bin schwach.

„Not All Gay Men Like Anal Sex“

Außerdem ist es wichtig, die queere Perspektive auf das Thema nochmal konkreter zu beleuchten: Im Rahmen meiner Recherche wurde ich nämlich darauf hingewiesen, dass Analsex in queeren Kontexten teilweise eine viel größere Rolle spielen kann als im cis heteronormativen: So wurde mir erklärt, dass das Sexleben zweier Menschen mit Penis oft durch Analsex dominiert wird – diese gesellschaftliche Annahme aber eben auch für jede Menge Druck im Bezug auf das Verständnis vom eigenen Sexleben ausüben kann.

In einem Interview auf dem Youtube-Kanal Hyperbole in der Rubrik #frageinklischee kommt Juli zu Wort: Er hat sich mit 15 Jahren als schwul geoutet und spricht in dem Video sowohl über sein Coming-Out sowie Klischees, als auch über Analsex. Die Frage lautete, ob jede homosexuelle Person mit Penis auf Analsex stünde: „Ne, also das ist auch nur ein Klischee […]. Beim Sex gehört ja auch nicht nur Analsex dazu. Da gibt es auch verschiedene Arten sich zu befriedigen oder sich glücklich zu machen“, sagt Juli in dem Interview-Format.

Unter anderem auch der Youtuber Calum McSwiggan veröffentlichte im Oktober 2018 ein Video mit dem Titel „Not All Gay Men Like Anal Sex“. In dem Video erzählt Calum unter anderem auch von der Bezeichnung Side als homosexuelle Person mit Penis, die keinen Analsex praktizieren möchte: „And there can be this kind of connection that anal sex is the real sex and that is the only sex that is valid. So when people hear that ‚oh you dont like having anal sex‘ that they presume that you are asexual“, erklärt Calum in seinem Video und macht damit deutlich, wie fest dieses normative Verständnis in vielen Köpfen verankert sitzt.

Wie wichtig es ist, in diesem Kontext aufzuklären und einen Raum für Kommunikation und Verständnis zu schaffen, zeigen unter anderem die Kommentarspalten unter den Videos. Der User Paul Raymond beispielsweise kommentierte: „Thank god I’m not the only one. Puts my mind at ease now. I am normal x.“ Schließlich sollte Sex immer etwas sein, was sich für alle beteiligten Personen angenehm und erregend anfühlt und eben keinen Druck widerspiegelt.

Analplugs oder Vibratoren zum Herantasten

Was die Toys angeht, empfahl mir ein anderer Freund ein spezielles, wasserbasiertes Gleitgel für den Analbereich zu verwenden. „Du solltest da nicht mit Kokosöl oder anderem Gleitmittel experimentieren – nicht alles was im vaginalen Bereich gut verträglich ist, versteht sich deshalb auch gut mit deinem Darm“, riet er mir. Wasserbasiert mit leicht betäubendem Wirkstoff, um den Schließmuskel zu entspannen, lautete daher seine Empfehlung.

Statt der Finger kann man übrigens für das eigene Austesten im Rahmen der Selbstbefriedigung auch spezielle Analplugs unterschiedlichster Formen und Größen verwenden. Dabei besonders hilfreich: In den meisten Online-Shops sind Produkt-Kennzeichnungen wie „Für Anfänger*innen geeignet“ zu finden. In diesen Fällen handelt es sich dann meist um Variationen in der Größe und dem Material. Ob aus Aluminium, TPE (Thermoplastische Elastomere) oder aus Silikon; ob kegel- oder kugelförmig, aufblasbar oder als rotierender Vibrator: Die Möglichkeiten sich im analen Bereich anhand kleiner Hilfsmittel auszuprobieren, sind vielseitig.

Als kleiner Tipp: Der alternative Sexshop Die Tilde ist eine schöne Möglichkeit solche Sextoys in einem nachhaltigen, feministischen und queeren Rahmen erwerben zu können.

Darm-Irrglauben

Auch Analduschen gehörten übrigens zu der Empfehlung meiner Bekannten: „Achte dabei auf jeden Fall darauf, dass das Ende abgerundet ist, nicht zu spitz und am besten aus keinem zu scharfkantigem Material. Ansonsten tust du dir nur weh und ziehst dir im schlimmsten Fall Analfissuren zu.“ Allgemein sei eine Analdusche aber auch nicht zwingend notwendig. „Entgegen dem allgemeinen Glauben ist im Enddarm ja nicht immer Kot vorhanden. Man kann ja ein bisschen im Auge behalten, wann man das letzte Mal auf Toilette war„, erklärte sie.

Dies bestätigt auch Angelika Eck, systemische Paar- und Sexualtherapeutin, in ihrer Kolumne Schlafzimmerblick beim ZEIT-Magazin: „Im letzten Darmabschnitt befindet sich nur ab und zu Darminhalt, die meiste Zeit über ist er frei davon. Direkt nach dem Analverkehr sollte der Penis jedoch nicht in die Vagina eingeführt, sondern vorher gesäubert oder das Kondom gewechselt werden, da Bakterien aus dem Darm in der Scheidenflora keine gern gesehenen Gäste sind“. Auch Eck erzählt davon, wie wichtig es ist, in puncto Analsex den Faktor der Entspannung nicht zu unterschätzen: „Nehmen Sie sich etwas Zeit, um den eigenen Anus zu erkunden und zu spüren, wie er durch tiefe Atmung und bewusstes Spiel mit der Muskulatur weicher wird“, schreibt Eck in ihrer Kolumne.

Das Resümee: Für guten Analsex sollten die wichtigsten Punkte wie Vertrauen, Ruhe und Zeit, Verständnis, Kommunikation und natürlich consent gegeben sein. Ihr bestimmt euer eigenes Tempo und die Intensität. Ihr müsst keine Porno-Fantasie ausleben – euer Analsex kann komplett anders aussehen als in Filmen und muss keine Schönheitskriterien erfüllen.

Wenn es zum Kontakt mit Fäkalien kommt, ist das etwas ganz Natürliches – man sollte sich nur bereits im vornherein darauf vorbereiten und als Top verständnisvoll reagieren, um den Bottom nicht zu verunsichern. Wenn es schmerzen sollte: Habt keine Angst davor, das Ganze abzubrechen. Analsex muss nicht für jeden Menschen etwas sein. Freut euch darüber, dass ihr es ausprobiert habt und verbucht es als Experiment.

Und für alle die darin eine schöne Erweiterung ihres Sexlebens finden konnten: Don’t be ashamed dies neuen Sexpartner*innen offen zu kommunizieren. Es teilt zwar nicht zwangsläufig jede Person die gleiche Vorliebe, weshalb man nicht erwarten sollte diese Form der Befriedigung mit jedem neuen Gegenüber ausleben zu können. Doch sollte das Gefühl von Scham auf keinen Fall dabei im Weg stehen offen über Analsex als Vorliebe zu sprechen.


siehst zu wenn ich die augen schließe
meinen kopf fallen lasse,
pausen genieße.

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Der Text ist von Alina, die Lyrik von Mira & die Illustrationen von Imina.

Mira ist 19 Jahre alt und eine der zwei Autorinnen der Kolumne offenherzig. Sie schreibt Gefühle und Gedanken in Gedichtform und liebt es zu tanzen, Musik zu hören und auch sonst in jeglicher Form kreativ zu sein.

Alina ist 24 Jahre alt und studiert Kulturwissenschaften und Germanistik. In der Kolumne offenherzig sowie auf ihrem Blog setzt sie sich für mehr Offenheit, Verständnis und Experimentierfreudigkeit im Umgang mit Sex und allem was dazu gehört, ein.

Imina ist 24, eine der Gründerinnen von TIERINDIR und steckt in den Endzügen ihres Grafikdesign-Studiums. Sie liebt Konzerte, Aperol Spritz, ausgiebig Kaffeetrinken gehen und würde für Lady Gaga um die ganze Welt reisen. Imina ist als Content-Creator auf Instagram und YouTube tätig.

Die Kolumne offenherzig dreht sich rund um das Thema Sexualität und damit einhergehende „Tabuthemen“ sowie Abweichungen von der bisherigen Norm – das umfasst neben Sex in seinen unterschiedlichen Formen zum Beispiel auch Bereiche wie das Liebesleben an sich sowie den eigenen Körper. offenherzig ist eine Kombination aus Alinas Texten und Miras Lyrik.

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