Körper & Bewusstsein
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Noch (k)ein bisschen Schlaf #gutunddir

Nächtliche Schlaflosigkeit – eine erschreckend alltägliche Nebenwirkung unserer Gesellschaft lebend im Paradox aus Leistung und Mehrwert?  All die Fragen, die den Stunden zwischen Abenddämmerung und Morgengrauen nicht müde werden, die unermüdliche Suche nach all dem, was uns nachts hellwach statt hundemüde macht.


Die Generation die vor Müdigkeit das Schlafen verlernt,

weil der Tag zu laut ist für die Stille der Nacht.

Nachts ist alles lauter – Vol. 1

Nachts, wenn alles schweigt, dann wird es in mir auf einmal laut. Denn nachts werfen meine Gedanken viel längere und tiefere Schatten, als sonst. Eine nie enden wollende Gedankenkette. Ein ständiges Ich muss noch das machen und Das darf ich auf keinen Fall vergessen. Es ist fast so, als wolle mein Kopf gar nicht schlafen, als ob es ihm Spaß machen würde, mich die ganze Nacht zu quälen. Und obwohl ich totmüde bin – kein Entkommen. Egal wie viele Kinderhörspiele ich mir anhöre oder Atemübungen mache: Ich bin wach. Hellwach. Panischwach. Je mehr Zeit vergeht, desto angespannter werde ich.

Im Kopf überschlage ich die Zeit, die ich noch zum Schlafen habe. Mit jeder Minute, jeder Stunde, die vergeht wird meine Schlafenszeit dünner, der Druck endlich schlafen zu müssen immer größer.  Ich versuche mich von mir selbst und meinen Gedanken abzulenken, denke an leichte Dinge. An Dinge, die mir keine Angst machen, die mich nicht stressen. Ich schaue mich im dunklen Raum um, gleite mit meiner Hand über die Bettdecke. Versuche mich daran zu erinnern, dass ich hier sicher bin. Und irgendwann, dann hab ich es geschafft und die Müdigkeit hat meinen Kopf besiegt. Morgens dann schreckhaft vom Wecker aufwachen und noch fünf mal auf Snooze drücken, weil meine Augen sich  nicht öffnen wollen, mein Körper sich einfach weigert, in den Tag zu starten. 

Ich weiß ganz genau, dass sich irgendwas ändern muss. Meine Augenringe sprechen Bände, mein leerer Blick auch. Um irgendwie durch den Tag zu kommen, ist Kaffee zu meinem besten Freund geworden. Ich habe dauerhaft Kopfschmerzen, ohne einen Mittagsschlaf geht bei mir gar nichts mehr. Aber egal wen ich frage, eine Lösung hat niemand parat. 

Nachts ist alles lauter – Vol. 2

Da liege ich dann, in einem Zimmer, meinem Zimmer. Doch zu wach in der Nacht, weil zu müde am Tag. Zu wenig geschafft, zu wenig gelebt, zu wenig gesehen, der stetige Mythos vom eigenen Wert gemessen an Produktivität, Jungsein gemessen am Erlebten. Und dann hilft auch keine beschwerte Decke, keine fast unheimliche Stille, keine völlige Dunkelheit, dann ist das wie ein Kreislauf, ein schier unendlicher Tunnel, ein point of no return. 00:00 – 01:00 – 01:30. Die Uhrzeit auf meinem Handy verstreicht, doch da, alleine mit mir weiß ich, wenn ich vor Mitternacht nicht schlafe, vor 1 nicht schlafe, dann dauert es noch Sekunden, Minuten, Stunden bis ich endlich falle.

Denn da, irgendwo in der Dunkelheit, verliert die Nacht jegliches Gefühl von Raum und Zeit, eine Müdigkeit jegliche Dimension, Schlaf jegliche Notwendigkeit – zumindest bis zum nächsten Morgen. Denn da wird sie dann umso lauter, die Müdigkeit, der fehlende Schlaf, das Trunken Sein vor lauter Rastlosigkeit. Eine anhaltende Träge, die mich den Tag über begleitet, verfolgt auf Schritt und Tritt und nur darauf wartet mich in darauf folgenden Nacht erneut vorm Fallen in ein schlafendes Nichts abzuhalten.Denn auch all diese Worte hier, diese paar Zeilen, schreiben sich gerade Montagnacht, 01:18 Uhr. Weil es tagsüber keine Zeit gab, keine Muße, keine Wörter. Aber jetzt hier, wo ich in meinem Bett liege, im Dunklen und alles um mich herum nahezu gespenstisch still ist, da reihen sich Worte aneinander, zu Phrasen, zu Sätzen – so lange, bis sie dann endlich aufgeschrieben werden.

Und das wie eine nahezu pathetische Metapher der nächtlichen Endlosigkeit in einer Welt, die, wie mein Kopf, scheinbar nie still steht. Weil die Gedanken nicht aufhören zu kreisen, weil die Stille zu laut ist für das bereits angebrochene Morgen, weil die ständige Müdigkeit wieder mal nachgibt im Kampf gegen das Jetzt. Und da hilft dann auch kein Melatonin-Spray, welches ich vorher nahezu pathetisch auf mein Kopfkissen sprühe, keine Regengeräusche und auch keine doktrinären Atemübungen. Denn dann bin ich wach. Obwohl vorher alles in meinem Körper nach Schlaf geschrien hat, obwohl jede Zelle in meinem Körper vor Müdigkeit ächzt, obwohl alles wovon ich träume der Schlaf ist – ich bin wach, hellwach. Und dann liege ich da, in den verstreichenden Stunden irgendwo zwischen nicht mehr Heute und noch nicht Morgen, wartend auf die Müdigkeit und doch zu müde um zu schlafen.

ich bin nachts wach, wach, dass bin ich nachts. 
weil schlafen kann ich am tag, wenn niemand anderes wach sein mag.
du bist nachts wach, wach, dass bist du nachts. 
denn, schlaf nicht im traum, sondern träume ohne schlaf. 
weil bis die gedanken still sind, ist irgendwo schon wieder tag.

Ein Problem, das niemals schläft

Und das sind nur unsere beiden Geschichten, eine Momentaufnahme zweier Schlaflosen – und trotzdem bleiben all die Gründe für die wachen Nächte so vielseitig, so individuell, so komplex. Denn: Schlaflosigkeit ist nicht gleich Schlaflosigkeit. Expert:innen unterscheiden sogar in bis zu 50 verschiedenen Formen der Schlafstörungen. Es gibt unterschiedliche Ausprägungen, andere Symptome und verschiedene Härtegrade. Wirklich exakt lassen sich die einzelnen Formen der Schlafstörungen nicht voneinander abgrenzen, oft treten sie auch in Kombination auf.

Zu den gängigen Symptomen zählen zum Beispiel Einschlafprobleme, unruhiger Schlaf und Durchschlafprobleme, nachts aufzuwachen und nicht mehr einschlafen zu können sowie morgens zu früh aufzuwachen. Auch häufige Albträume können ein Anzeichen für eine Schlafstörung sein. In besonders stressigen oder emotional anstrengenden Zeiten ist es ganz normal (aber natürlich nicht weniger anstrengend oder beunruhigend), dass man für einige Nächte nicht gut schlafen kann. Treten die Symptome aber mehrmals die Woche oder länger als einen Monat auf, spricht man von einer Schlafstörung.

Deutschlandweit leiden etwa ein Drittel aller Menschen unter Schlafproblemen. Andere Quellen sprechen sogar von jedem zweiten Menschen. Dass das erschreckend ist, muss nicht mehr gesagt werden. Wir beide sind also keine Einzelfälle, sondern stehen vielmehr für ein gesellschaftliches Phänomen, das mit seinen Tentakeln immer weiter um sich greift. Und: Der Trend zeigt, dass es nicht besser wird, sondern schlimmer. Viel, viel schlimmer. Laut der Barmer Krankenkasse stieg die Zahl der ärztlich diagnostizierten Schlafstörungen von 2006 bis 2017 um 63 Prozent. 63 – diese Zahl zeigt ganz deutlich die Dimensionen des Problems einer schlaflosen Gesellschaft. Aber woran liegt das, wieso schlafen wir so schlecht? 

meide den schlaf und suche ihn zugleich, 
weil da schlafwandelnd nichts ist zwischen mein oder dein.
ein versteckspiel mit mir selbst, keiner sucht weil keiner findet. 
denn die nacht erzählt all das, was den tag vom sein wegzerrt, 
erzählt all das von der welt, was das zerbrechliche herz beschwert.

David gegen Goliath: Melatonin vs. Cortisol

Melatonin macht müde Menschen müder – oder so ähnlich. Denn ob Schlafsprays, Kapseln oder Tee – Melatonin ist für viele längst mehr als ein x-beliebiges Trend-Produkt. Aber was steckt wirklich hinter dem angeblichen Wundermittel? Gehen wir einmal ganz an den Anfang. Melatonin ist sogesehen der Gegenspieler zum Stresshormon Cortisol. Denn das Schlafhormon ist verantwortlich für den Tag-Nacht-Rhythmus und leitet sozusagen ein Herunterfahren ein, ein Stand-By-Knopf für Körper und Geist. Sobald es dunkel wird, fangen dann sogenannte Zirbeldrüsen im Gehirn mit der Melatonin Freigabe an und produzieren rund zwölf mal mehr Melatonin als am Tag. Dies sorgt wiederum dafür, dass unser körpereigener Energieverbrauch gedrosselt wird und Körpertemperatur sowie Blutdruck sinken. Unterm Strich: Melatonin ist maßgeblich für einen gesunden und vor allem erholsamen Schlaf verantwortlich. 

Eine Ursache für Durch- oder Einschlafstörungen kann aus einem gewissen Mangel dieses körpereigenen Hormons resultieren, oder zumindest verstärkt werden. Um diesem entgegenzuwirken, kann eine zusätzliche Einnahme von Melatonin daher manchmal schlafende Wunder bewirken. Aber: Diese zusätzliche Melatonineinnahme hilft nur denen, die eben selbst nicht genug Melatonin produzieren um müde zu werden – und das macht gerade einmal 50% der Betroffenen aus. 50%!

Bei nur einer Hälfte aller Betroffenen lassen sich Schlafstörungen in Zusammenhang mit einem Mangel eines körpereigenen Hormons feststellen. Und bei der anderen Hälfte? Bei jeder anderen, jeder zweiten schlaflosen Person, wo liegen da die Ursachen? Laut Umfrage der Techniker Krankenkasse sind es die äußeren, die gesellschaftlichen Dinge, die der anderen Hälfte an Betroffenen den Schlaf rauben, nämlich: Stress und innere Unruhe. Eine Gesellschaft, die sich vom Alltag zwischen Karriereleiter und Verantwortung nicht erholt, die dem Leben scheinbar müde wird. 

ich bin wach in der nacht und träume am tag, 
nicht wachend, sondern wartend,
dass die dunkelheit die nacht dem tag vermacht. 
ich bin still im hellen und schauspiele den schlaf, 
hier, wo melatonin gebraucht wird als tagesbedarf.

Wie betrunken vom Leben

Im Schnitt gelten weniger als 42 Stunden Schlaf pro Woche als Schlafmangel – das sind umgerechnet weniger als etwa 6 Stunden Schlaf pro Nacht.  Aber, ganz ehrlich: Im Hamsterrad angetrieben von Alltagsstress, Verpflichtungen und Leistungsdruck sind weniger als 6 Stunden Schlaf keine Seltenheit. Dass Schlaf nahezu überlebenswichtig für Körper, Geist und Seele ist und wie gravierend die Auswirkungen von zu wenig Schlaf wirklich sein können, machen Schlafmediziner:innen in zahlreichen Studien deutlich – erschreckend deutlich! Demnach kann man die Auswirkungen von zu wenig Schlaf fast mit einer langen Partynacht vergleichen: „Wer eine Reihe von Nächten hintereinander weniger als sechs Stunden schläft, befindet sich demnach in einem Zustand, als hätte er ein Promille Alkohol im Blut“.

Eine Promille. 0,1 Promille mehr und man könnte unter Alkoholeinfluss den Führerschein verlieren, fahruntüchtig, eine potenzielle Gefährdung für das eigene Umfeld. Aber alles was uns hier in den Stunden zwischen Gestern und Morgen betrunken macht, ist die Nacht, der fehlende Schlaf, das „zu müde, um zu schlafen“. Verringerte Reaktionsgeschwindigkeit und Urteilskraft sowie eingeschränkte Gedächtnis- und Leistungsfähigkeiten sind nur einige der unterschätzte gesundheitliche Folgen, die erhöhter Schlafmangel mit sich bringen können. Forscher:innen warnen jedoch vor allem davor, dass insbesondere die Langzeitfolgen oftmals unterschätzt werden. So kann ein dauerhafter Schlafmangel beispielsweise das Risiko von Herz-Kreislauf-, Magenbeschwerden, Depressionen und Krankheiten wie Demenz, Krebs und Diabetes maßgeblich erhöhen und immense Schäden an Immunsystem, Stoffwechsel, Muskulatur und Bindegewebe zurücklassen.  

denn die dunkelheit kennt kein ‚gute nacht‘, 
die wartet nur
bis die schlaflosigkeit unter deinen müden lidern aufs neue erwacht.

Schafe zählen war gestern

Wir wissen wie schwer es sein kann nachts in den Schlaf zu finden und haben ein paar Tricks auf Lager, die manchmal helfen können. Aber eben nur manchmal. Denn auch wir sind trotz unseren eigenen schlaflosen Nächten keine Expertinnen und wie bei so vielem gilt auch hier: Sich professionelle Hilfe zu suchen ist kein Zeichen von Schwäche – im Gegenteil. Wenn ihr also gar nicht mehr weiter wisst und die schwerwiegenden Schlafproblemen euch den letzten Nerv rauben, dann nehmt fachliche Hilfe in Anspruch. 

Okay, starten wir mit dem Wichtigsten. Das A und O ist die sogenannte Schlafhygiene. Damit ist gemeint, sich bestimmte Verhaltensweisen anzueignen, die einen erholsamen Schlaf gewährleisten können. Dazu gehört vor allem, sich eine Abendroutinen zu schaffen, denn durch die immer gleichen Abfolgen gewöhnt sich der Körper an den Gedanken, Schlafen zu gehen. Nach einem stressigen Tag kann diese Abendroutine somit helfen, Körper und Geist zu entspannen und Kraft für den nächsten Tag zu sammeln. In der Praxis kann das in etwa so aussehen: Achtet bei eurer Abendroutine beispielsweise darauf, regelmäßige Schlafzeiten festzusetzen und vor dem Schlafengehen nicht zu schwere Mahlzeiten einzunehmen; Der Magen ist sonst womöglich die ganze Nacht mit der Verdauung beschäftigt. Und klar: nicht zu spät Kaffee trinken. Es kann bis zu fünf Stunden dauern, bis nur die Hälfte des Koffeins abgebaut ist.  

Zu einer guten Schlafhygiene gehört auch, die Schlafumgebung zu checken. Ist es ruhig oder werde ich nachts vom Lärm der Mitbewohner:innen geweckt? Ist es dunkel genug oder werde ich morgens so früh wach, weil es einfach viel zu hell ist? Ist mein Bett gemütlich und einladend? Die Bettwäsche sollte man übrigens alle zwei bis drei Wochen wechseln. Noch ein guter Trick: Lüften. Die beste Temperatur zum Schlafen liegt zwischen 15 und 18 Grad.

Den nächsten Punkt haben wir alle so oft gehörten und so oft verdrängt: Kein Handy oder Laptop vor dem Schlafen gehen. Denn elektrische Geräte mit Bildschirmen wie Fernseher, Tablet, Handy und Co. strahlen ein blaues Licht aus, das ähnliche Wirkungen hat wie Tageslicht. Es stoppt die Produktion von Melatonin und was das für unseren Schlaf bedeutet, haben wir weiter oben schon gesehen.  Also: lieber ein Buch lesen, anstatt drei Folgen der einen Serie zu schauen. Oder ihr versucht es mit Entspannungsübungen. Das können Atemübungen sein, Yoga und geführte Meditationen. Vielen Menschen hilft es auch (klassische) Musik oder Hörspiele zu hören.

Wenn gar nichts mehr geht, dann aufstehen und nicht liegen bleiben. Vielleicht habt ihr ja auch dieses eine langweilige Buch im Stapel liegen – das ist ein guter Zeitpunkt es mal wieder in die Hand zu nehmen! Die Zeit kann man aber auch nutzen, um all das aufzuschreiben, was uns da gerade beschäftigt. In einem Leben mit nie enden wollenden Aufgaben, Leistungsdruck und der Angst etwas zu verpassen, ist es verständlich, dass die Gedanken besonders dann kreisen, wenn sonst alles ruhig ist. 

und während ich da liege, 
wachend und wartend, beliebt und beliebig, 
stolpernd zwischen heute und morgen, 
und dann irgendwann, 
endlich
fallend ins friedliche nichts. 

_

Text von Ana Paula und Nele, Gestaltung von Selma.

Ana Paula ist 20 Jahre alt und studiert Geschichte und Fachjournalistik in Gießen. Sie trinkt viel zu viel Kaffee, hat mehr Bücher, als sie lesen kann und bei neuen Pflanzen kann sie eigentlich nie nein sagen.

Nele ist 21 Jahre alt und studiert English-Speaking Cultures und Medien- & Kommunikationswissenschaften in Bremen. Sie hat einen wahrscheinlich ungesund hohen Salzkonsum und verliert sich gerne in Worten, den geschriebenen und den gesprochenen.

Unsere Generation beschäftigt ganz schön viel – Klimawandel, Zukunftsängste, Leistungsdruck. In gutunddir schreiben Nele und Ana Paula über all das, was uns nachts nicht schlafen lässt: Wer will ich in dieser Welt sein? Wie geht Erwachsenwerden? Und: Gibt es für diese Welt überhaupt eine Zukunft?

Selma ist eine der Gestalter:innen bei TIERINDIR und für die Gestaltung der Gastgedanken und der Kolumne #gutundir zuständig. Sie ist 23 Jahre alt, studiert Druck- und Medientechnik und arbeitet nebenbei als Grafikerin in Berlin. In ihrer Freizeit ist sie gern kreativ, liebt lange Spaziergänge und verliert sich in Büchern aus ihrem Bücherregal oder der Bibliothek.

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