Monate: Juni 2022

Noch (k)ein bisschen Schlaf #gutunddir

Nächtliche Schlaflosigkeit – eine erschreckend alltägliche Nebenwirkung unserer Gesellschaft lebend im Paradox aus Leistung und Mehrwert?  All die Fragen, die den Stunden zwischen Abenddämmerung und Morgengrauen nicht müde werden, die unermüdliche Suche nach all dem, was uns nachts hellwach statt hundemüde macht. Die Generation die vor Müdigkeit das Schlafen verlernt,weil der Tag zu laut ist für die Stille der Nacht. Nachts ist alles lauter – Vol. 1 Nachts, wenn alles schweigt, dann wird es in mir auf einmal laut. Denn nachts werfen meine Gedanken viel längere und tiefere Schatten, als sonst. Eine nie enden wollende Gedankenkette. Ein ständiges Ich muss noch das machen und Das darf ich auf keinen Fall vergessen. Es ist fast so, als wolle mein Kopf gar nicht schlafen, als ob es ihm Spaß machen würde, mich die ganze Nacht zu quälen. Und obwohl ich totmüde bin – kein Entkommen. Egal wie viele Kinderhörspiele ich mir anhöre oder Atemübungen mache: Ich bin wach. Hellwach. Panischwach. Je mehr Zeit vergeht, desto angespannter werde ich. Im Kopf überschlage ich die Zeit, die ich noch …

Weil es mehr als ficken ist #zwischenTürundAngel

Sexarbeit ist ein Tabuthema, Sexarbeitende sind gesellschaftlich hochgradig stigmatisiert – wie auch ihre Kund*innen, die in der öffentlichen Debatte noch unsichtbarer als Sexarbeitende sind. Das alles finde ich nicht gut, deshalb habe ich mit Lydia gesprochen, die mir im Anschluss an unser Gespräch noch den Kontakt zu zwei langjährigen Kunden von ihr vermittelt hat. Ich spreche mit beiden, sie kriegen in diesem Text Pseudonyme. über Kaffeetische Paul ist 41 Jahre alt, arbeitet als Softwareentwickler und lebt in Sachsen. Mit Lydia trifft er sich alle 3-4 Monate. Er ist schon lange Single. Als sich bei ihm vor zwei Jahren das Bedürfnis nach Intimität und einem Beziehungsersatz wieder einstellte, beginnt er im Internet nach Escort-Dienstleisterin zu suchen. “Mein Bild von Sexarbeit war vorher schon geprägt von vielen Berichten in Medien, die oft sehr negativ waren”, erzählt Paul mir, “und das habe ich in meiner persönlichen Erfahrung so nicht empfunden, so nicht kennengelernt.” Und die Vorbehalte von Drogen und Gewalt waren nicht groß genug, um dem Bedürfnis nach Intimität nicht nachzugehen. “Das eine ist halt das, was andere …

Weil Sexarbeit Arbeit ist #zwischenTürundAngel

Auf meinem liebsten Jutebeutel steht: sexwork is work too. Mit dieser Haltung ecke ich oft an. Ich weiß, dass es Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gibt. Ich verurteile diese und jede andere Form von sexualisierter Gewalt. Und dennoch finde ich: Es ist nicht unmoralisch, sexuelle und/oder erotische Dienstleistungen anzubieten und/oder in Anspruch zu nehmen. Weil ich aber weder in dem einen, noch in dem anderen persönliche Erfahrung habe, habe ich den Kontakt zu verschiedensten Sexarbeitenden gesucht, die ihrem Beruf selbstbestimmt nachgehen. Ich finde, dass wir diese Lebensrealitäten genauso anerkennen müssen und sie uns dabei helfen, Sexarbeit von Kriminalität und Gewalt, von Loverboys und Menschenhändlern zu befreien. Damit Sexarbeit nicht Zwang, sondern tatsächlich Arbeit ist. Nur wenn wir Sexarbeitenden zuhören, können wir erfahren, welche politischen, gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmen hierfür gesetzt werden müssen. Ich spreche mit Lydia, 41 Jahre alt, lebt in Leipzig. Sie bezeichnet sich gerne als Erotikdienstleisterin „oder auch als Beraterin für Lebensfreude und sexuellen Genuss. Steht so auf meiner Visitenkarte, finde ich gut.“ Von Worten wie Prostitution hält sie nichts. „Der ganze …

„Du musst dich jetzt beweisen“ #Wie ist es eigentlich…?

Triggerwarnung: Dieser Text behandelt gestörtes Essverhalten. Wenn du dich mit dieser Thematik nicht wohl fühlst, bitte ich dich, ihn nicht oder nicht alleine zu lesen. Für die vierte Ausgabe von „Wie ist es eigentlich…?“ treffe ich mich selbst. Denn ich möchte über eine Thematik sprechen, die mich seit vielen Jahren begleitet und seit ein paar Wochen unerwartet erneut meinen Alltag dominiert. Es geht um krankmachenden Stress, die permanente Angst, nicht zu bestehen und das Gefühl hinterher zu sein. Es geht um Erdbeermarmelade, Rotbäckchen-Saft und Strudel – nur leider nicht um den zum Essen. Ich frage mich selbst: Nelly, wie ist es eigentlich, unter Leistungsdruck zu leiden? Das Gefühl des verspäteten Wissens Der weiße Fliesenboden meiner Anderthalbzimmerwohnung ist mit Haaren übersäht. Es ist 14:03, ich habe noch nichts gegessen, aber schon Nachrichten gehört, vierzig Seiten gelesen, drei Mails geschrieben und ein Thesenpapier abgegeben. In meiner Notizen-App gibt es gleich mehrere To-Do-Listen: Eine für die Uni, eine für den Haushalt, eine für das Schreiben, eine für anderweitigen Erwachsenenkram und eine für Sonstiges. „Sonstiges“, das ist zum Beispiel Zum …