Manchmal überkommt mich eine Angst.
Ohne, dass ich meine Gedanken bewusst in eine Richtung steuere, fängt mein Herz an schneller zu schlagen und ich kann nicht mehr richtig atmen. Ich verliere dann die Distanz zu allem und irgendwie beginnt sich alles zu drehen. Ich sehe nicht mehr richtig, wer ich wirklich bin. Gedanken darüber, wer ich mal war, werden Gedanken darüber, wer ich gerade bin und wer ich mal sein will, und sie alle scheinen irgendwie nicht richtig zusammenzupassen. Das macht mir Angst.

Ich konzentriere mich darauf, wer ich einmal werden will und die Ungewissheit darüber, was im nächsten Jahr, in den nächsten zehn oder in vierzig Jahren passiert sein wird, macht mir Angst. Wenn ich in diesen Phasen in meinem eigenen Ozean aus Gedanken untergehe, schaffe ich es nie, zu schwimmen.
Manchmal sind es Tage, manchmal Wochen oder Phasen. Ich frage mich, ob ich eine zu schöne Kindheit hatte. Gibt es das überhaupt? Eine zu schöne Kindheit? Aber ich musste mir nie Sorgen machen, nie Sorge um irgendetwas haben, die ersten siebzehn Jahre meines Lebens fühlten sich an wie eine Umarmung von einem Menschen, den man liebt. Seitdem falle ich. Manchmal mehr, manchmal weniger. Aber ich falle. Zumindest fühlt es sich so an.
Meine Mutter sagt, ich war schon immer ein starker Charakter, deshalb sagt weder die Häufigkeit, noch die Intensität meines Fallens etwas darüber aus, ob ich wieder aufstehe. Tue ich immer. Und das ist vermutlich meine beste Eigenschaft. Dennoch gibt es Zeiten, in denen diese Findungsängste mich lähmen.
Was hat es damit auf sich, dass Menschen auf der einen Seite alles dafür tun, individuell zu sein und im Gegensatz zu anderen eine Andersartigkeit aufweisen zu können, und sich auf der anderen Seite so stark über ein Zugehörigkeitsgefühl definieren? Unsichtbar sein, aber gesehen werden. Genau in dieser Mitte befinde ich mich und weiß manchmal selber nicht, was ich hier eigentlich mache.
Es gibt Tage, an denen fühle ich mich, als wüsste ich nichts, könnte nichts, und wäre niemand. Ich sitze an Tischen mit Menschen, genieße ihre Anwesenheit und fühle mich davon gleichzeitig eingeschüchtert. Hoffe, dass niemandem auffällt, dass ich die Dumme am Tisch bin. Ich weiß genau, was ich will, aber nach wievielen Niederlagen ist es okay, aufzugeben? Ich weiß die Freiheit, die ich habe, zu schätzen und trotzdem wünsche ich mir von Zeit zu Zeit nicht ganz allein für mich verantwortlich zu sein.

Wer hat mir erlaubt, Entscheidungen für mich zu treffen? Meine Mitbewohnerin sagt, das sind die Zwanziger. Das immer wiederkehrende Gefühl von was zum Teufel mache ich hier eigentlich? Und dann wieder Sonne, bis zum nächsten Grau.
Ich weiß, das Leben ist nicht nur Sonne und Grau, dazwischen passiert ganz viel und ganz viel Gutes. Und ich will gleichzeitig nichts und alles ändern. Will dorthin reisen, wo es immer warm ist, zu viel trinken, non stop rauchen und nie mehr zuhause anrufen. Will hier bleiben, wo mein sicheres Zuhause ist, Klavier spielen und italienisch lernen. Da sein, wenn jemand wieder nach Hause kommt. Meinen Neffen aufwachsen sehen, für ihn die beste Version von mir sein, Vorbild sein.
An Grauen Tagen aber fühle ich mich gleichzeitig unter- und überfordert. Ich habe das Gefühl, meinen Kopf zu wenig anzustrengen, meinen Intellekt zu verlieren und im selben Moment ist mir alles zu viel. Ich habe Angst, mein Potenzial zu verschwenden und im selben Moment Angst, dass ich gar kein Potenzial habe. Währenddessen habe ich das Gefühl, viel zu schnell das Interesse an allem zu verlieren. Ich will etwas machen, ich mache es und es genügt mir nicht mehr. Ich will weiterziehen.
Es gibt Briefe meines Vaters aus seinen Zwanzigern. Er schreibt: „Mein Professor will mich davon überzeugen, dass Psychologie nur im Sinne des wissenschaftlichen Sozialismus betrieben werden kann und einzig und allein nur dazu dienen darf, die bestehende Gesellschaft zu verändern, was wiederum heißt, dieselbe fürs erste zu zerstören. Wies danach weitergeht verrät einem keiner. Vorerst ohne Erfolg, denn meine verinnerlichte bürgerliche Vorstellung vom Leben und der Gesellschaft scheint doch verdammt tief und fest zu sitzen. Dieser tägliche Konflikt begleitet mich ununterbrochen, und das Einzige was bei mir wächst und sich toll entwickelt ist: Frustration. – Aber ich freue mich trotzdem auf den ersten Schnee.“
Soll man sich also so fühlen? Sind das wirklich die Zwanziger? Fühlen sich alle von Zeit zu Zeit verloren?
Ich habe immer einen Plan, ich habe so hohe Ansprüche an mich, dass ich mir selbst nie gerecht werden kann. „Vielleicht hast du nur Angst vor der Alternative“, sagt ein Freund.
„Was ist die Alternative?“, frage ich.
„Herauszufinden, was die Alternative ist.“
Vielleicht.
–
Leoni ist 24, lebt und arbeitet in Leipzig und Berlin und versucht, durch das Schreiben ihren Gedanken und Gefühlen Raum zu geben, damit sie nie unausgesprochen bleiben müssen. Sie liebt Sonnenaufgänge mehr als Sonnenuntergänge und träumt von weit weg.
Gestaltung von Mara
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