Gastgedanken, Hier & Jetzt
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Wollknäuel

Wenn ich meinen Blick durch die Gegend schweifen lasse, wird mir bewusst, wie weit ich entfernt bin. Die Nähe zu anderen Personen, Gegenständen oder Ereignissen ist greifbar – so als würde ich mich direkt mit meinem Gesicht gegen das Fenster bei einer Autofahrt drücken. Ich kann alles sehen: die Regentropfen zum Beispiel. Sie fallen immer schneller auf die Autoscheibe und ich kann jeden einzelnen davon erkennen. Der rechte Tropfen fällt sacht auf die Scheibe und bahnt sich seinen Weg nach unten. Da – der andere Tropfen – ist viel langsamer und findet seinen Weg nicht ohne Ausschweifungen nach unten zum Türgriff. Dieser ist anders. Er kommt erst nach rechts, nach links, dann weiter nach links und weiß nicht genau, wie er seine Route fortführt. 

Dieser Regentropfen steht als Symbol meines momentan Gefühlschaos. Ich blicke umher, finde keinen Halt und keinen Anker, sondern schwebe von einem Moment in den anderen.
Ich renne von Standort zu Standort, überquere Brücken, Hügel und Bahnhöfe. Finde mein Zuhause, erkenne meine Vorlieben – aber doch finde ich mich nicht. „Du machst dir zu viele Gedanken“, höre ich es laut vor mir. Doch es will einfach keinen Sinn ergeben.

Muss es das? Muss es immer den Sinn geben, etwas zu tun, nicht zu tun oder über Umwege eine bestimmte Handlung auszuführen?

Unmittelbar kennt jede*r den eigenen Weg. Die eigene Route. Das eigene Ziel. Schon von Kindheitstagen wird mir beigebracht, dass ich an mich glauben soll und meine Träume, Ziele und Sehnsüchte verwirklichen soll. Doch was, wenn ich mir gar nicht so sicher bin über diese konkreten Vorstellungen? Ich weiß, was meine Freund*innen und Familie an mir schätzen, was mir keinen Spaß macht, aber das, was ich wirklich möchte, diesen höheren Sinn, erkenne ich nicht.

Es ist so, als würde ich versuchen, als blinder Mensch nachts die Sterne sehen zu wollen.
Es ist so, als würde ich versuchen, an einem Tag die Gleichberechtigung umsetzen zu wollen. Und es ist auch so, als würde ich all das Leid auf der Welt für immer vertreiben wollen.

Doch mit „einfach so“ oder „kommt Zeit, kommt Rat“ ist es nicht. Es ist wesentlich, sich selbst einzugestehen, an welchem Punkt man ist. Auch, sich Hilfe zu holen oder sich in Verbindung zu setzen mit einer Vertrauensperson kann im ersten Moment unterstützend wirken. Doch mit das Wichtigste ist, sich vor Augen zu halten: du bist nicht allein. Jede*r hat dunkle Phasen im eigenen Leben, verirrt sich auf dem eigenen Weg oder fühlt sich wie ein*e Gefangene*r in einem Wollknäuel. Doch es gibt auch wieder einen Weg daraus. Man braucht nur eine Prise Selbstvertrauen, Glück, Mut – oder in dem Falle des Regentropfens – Sonnenschein.

Jennifer ist eine Wortliebende, die sich ab und zu hinter den schützenden, sicheren Mauern von Büchern, großartigen Geschichten und Fantasie versteckt. Wenn sie ihre Zeit nicht mit Lektüren oder backen verbringt, dann genießt sie den Ausgleich zum Alltag in der Natur oder bei Freund*innen und Familie.

Gestaltet wurde der Beitrag von Selma. Sie ist eine der Gestalter:innen bei TIERINDIR und für die Gestaltung der Kolumne #gutundir zuständig. Selma ist 22 Jahre alt, studiert Druck- und Medientechnik und arbeitet nebenbei als Grafikerin in Berlin. In ihrer Freizeit ist sie gern kreativ, liebt lange Spaziergänge und verliert sich in Büchern aus ihrem Bücherregal oder der Bibliothek.

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