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„Ich wünsche mir, dass meine Musik bei denen landet, die sie brauchen“ #Wie ist es eigentlich…?

Für die dritte Ausgabe von #Wie ist es eigentlich…? treffe ich den Songwriter Pablo Brooks. Pablo ist 19 Jahre alt und wohnt in Berlin. Im November 2021 brachte er seine Debüt-EP „Not Like The Movies“ raus. Wir sprechen über die Lügen, die uns Coming-of-Age-Filme erzählen, über Pablos ersten Song, das erleichternde Gefühl verstanden zu werden und Zukunftspläne (oder die Abwesenheit davon). Pablo, wie ist es eigentlich ein aufsteigender Musiker zu sein?

Ich sitze in einem Café in Friedrichshain. Die Wände sind in einem kräftigen Blauton gestrichen, die Tischplatten aus hellem Holz, transparente Glaslampen baumeln von der Decke. Hinter mir sitzen Studierende, die angestrengt in ihre Laptops starren, vorne links schlürfen zwei Männer ihre Flat Whites aus bunten Keramiktassen. Alles ist so, wie sich meine Freund*innen aus der Heimat ein hippes Berliner Café vorstellen. Ich muss zugeben, mich in diesem Klischee inzwischen wohl zu fühlen. Vielleicht, weil es mir nach fast zwei Jahren in Berlin so vertraut geworden ist.

Den Ort hat Pablo Brooks, der eigentlich Pablo Mühle heißt, vorgeschlagen. Pablo und ich kennen uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Oder besser gesagt: Pablo kennt mich nicht. Ich habe zumindest eine grobe Vorstellung von ihm, da ich ihn seit Jahren auf diversen Social-Media-Kanälen verfolge. Trotzdem ist es Pablo, der mich als Erstes erkennt und mir über die Köpfe der anderen Cafébesucher*innen hinweg zuwinkt.

Pablo trägt schwarze Jeans, ein rostrotes Hemd mit Lederjacke darüber und silbernen Schmuck – eine Kette und einen unauffälligen Ohrring auf der linken Seite. Ich warte auf das befremdliche Gefühl eine Person vor mir zu haben, die ich sonst nur aus dem digitalen Leben kenne, doch es stellt sich nicht ein. Vielleicht, weil Pablo mich mit der Frage: „Beschlägt deine Brille auch immer wegen der Maske?“ begrüßt und auch in den folgenden Minuten durch offenes Plaudern signalisiert, dass das hier ein Gespräch auf Augenhöhe zwischen zwei jungen Menschen ist.

Das Phänomen des sogenannten „Aha-Moments“

Schnell wird klar, dass Pablo und ich mehr gemeinsam haben als beschlagene Brillengläser. Wir beide kommen aus NRW, sind ungefähr gleich alt und nach unserem Abitur nach Berlin gezogen. Doch während ich angefangen habe zu studieren, startete Pablo eine Musikkarriere. Zu sehen und zu hören war er schon vorher: Als Dreizehnjährige schaute ich auf YouTube Vlogs, in denen ein Junge in meinem Alter sein Leben teilte – Pablo. Die Videos wurden inzwischen auf privat gestellt, der Name und die Inhalte auf dem Kanal haben sich verändert. Heute findet man neben verschiedenen Coverversionen Musikvideos zu seinen eigenen Songs.

Für mich hat sich Pablos Entwicklung fließend angefühlt. Als ich ihn zu Beginn des Gesprächs frage, ob er glaubt einen geradlinigen Weg verfolgt zu haben, schüttelt Pablo allerdings den Kopf. „Nein, wenn man sich allein mal überlegt, dass ich Zehn war, als das alles angefangen hat. Ich meine, das ist wirklich super jung. Ich habe jahrelang mein Leben dokumentiert und war mir auch lange sicher, dass ich YouTuber sein möchte. Aber irgendwann hatte ich keine Lust mehr darauf, ich bin irgendwie erwachsener geworden.“ Er erzählt, dass er immer einen kreativen Drang in sich gespürt habe und jahrelang nach etwas suchte, um ihn vollumfänglich ausleben zu können. Doch die YouTube-Videos waren es nicht. Schauspielerei, Fotografie und das Malen auch nicht. „Als ich dann meinen ersten Song geschrieben habe, so typisch 2017 mit Ukulele in der Hand, war das für mich eine absolute Erleuchtung. Ich habe das eigentlich nur gemacht, um ein süßes Video zu haben, weil ich immer gerne gesungen habe. Aber am Ende war es genau das, was mich am meisten erfüllt hat. Seitdem mache ich 24/7 Musik – also gefühlt.“ Pablo hatte also nie das konkrete Vorhaben sich zu einem Musiker zu entwickeln. Dass er das Songwriting für sich entdeckt hat, klingt in seiner Darstellung eher wie ein sehr glücklicher Zufall. Obwohl das Schreiben und die Musik schon immer Konstanten in Pablos Leben waren, war die Zusammenführung dieser zwei Leidenschaften wohl das, was man einen „Aha-Moment“ nennen würde.

„Worum ging es in deinem ersten Song?“, frage ich und gehe klischeehaft davon aus, dass Pablos Antwort „um Liebe“ lautet. „Um meine Freunde!“, antwortet Pablo. Nach einem Moment fügt er hinzu: „Okay, meinen wirklich ersten Song habe ich wahrscheinlich so mit vier geschrieben. Ich glaube, da ging es random über Sommer und die Frage, warum der Winter so kalt ist.“ „Ich habe auch einen Song geschrieben als ich in der ersten Klasse war“, erzähle ich. „Da ging es um einen roten Luftballon. Ich dachte, ich werde der nächste Popstar.“ Aber scheinbar kann nicht jede Person, die als Kind einen Song geschrieben hat, fünfzehn Jahre später auf Konzertbühnen stehen. Ich gönne es Pablo.

Von Quinten und dem BWL-Teil des Kunstmachens

Als ich Pablo frage, ob er denn klassischen Musikunterricht hatte, verneint er. Er sei mal beim Klavier- und Gitarrenunterricht gewesen, aber beides habe für ihn nicht funktioniert. Ich denke an die vielen Nachmittage zurück, die ich in der Musikschule verbracht habe. Jahrelang weigerte ich mich zu Hause zu üben, obwohl ich eigentlich Freude am Musizieren hatte. Erst im Nachhinein kann ich mir erklären, wieso: Musizieren war für mich unterbewusst Druck. Ich tat mich schwer mit dem Notenlesen, verglich mich permanent mit den Anderen, hatte Angst vor den Konzerten. Ich frage mich, wie Pablo das erlebt hätte. Ob die Musik heute trotzdem Selbsterfüllung für ihn wäre. Vielleicht sind verschulte Systeme nicht immer förderlich für das Entstehen von Kunst. Sie waren es zumindest für mich nie. Auch Pablo glaubt, dass es im Endeffekt gut gewesen sei, dass er das Songwriting vergleichsweise spät für sich entdeckt hat: „Wenn man in der Pubertät ist, dann hat man doch auf alles irgendwann keinen Bock mehr. Dann würde ich das heute vielleicht schon nicht mehr machen.“

Scheinbar braucht es das ganze musiktheoretische Wissen auch nicht. „Bevor ich zum ersten Mal ins Studio ging, dachte ich, ich sollte vielleicht wissen, wie man Noten liest. Es hat sich herausgestellt, dass das total irrelevant ist“, berichtet Pablo und ergänzt: „Ich kenne super viele erfolgreiche Musiker*innen, die einen Scheiß von Musiktheorie verstehen. Manchmal werden so Wörter wie „Quinte“ durch den Raum geworfen und ich sitze da like… Okay, sure, keine Ahnung.“

Auch die Prozesse der Musikindustrie scheinen Pablo nicht sonderlich zu interessieren: „Mir wurden in den letzten Monaten so viele Fragen gestellt. Aber es ging immer stark um das letztendliche Produkt und die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Was ich auch verstehe. Trotzdem sind für mich die eigentlich relevanten Fragen, warum ich überhaupt Musik mache und was mir das gibt.“ „Gut, dass du das erwähnst, denn ich habe keine Ahnung von der Musikindustrie“, antworte ich lachend. „Das ist auch wirklich nicht so interessant. Es ist quasi der BWL-Teil des Kunstmachens“, findet Pablo und lacht auch.

Die eigenen Emotionen verwalten

Es ist genau das, was Pablos Musik in meinen Augen ausmacht: Es geht ihm darum, was hinter seinen Songs steht. Um die Beziehungen mit anderen Menschen, um das Erwachsenwerden, um Neuanfänge und Stillstand, um gebrochene Herzen, aber ohne dabei kitschig zu klingen. Pablo gesteht mir, dass er in Konversationen mit anderen oft nicht so offen mit seinen Emotionen umgehen könne, eine Problematik, die in Zusammenhang mit, leider noch tief in der Gesellschaft verankerten, stereotypen Vorstellungen von Männlichkeit stehe. Das Songwriting gebe ihm die Möglichkeit, seine Gefühle auszudrücken, ohne sich dabei unwohl zu fühlen: „Wenn ich mich nicht traue, jemandem etwas zu sagen, dann kommt das in meine Texte.“

Pablo hat im Jahr 2020 nicht nur sein Abitur gemacht, er ist auch achtzehn geworden. Eigentlich eine Zeit voller Wandel, wechselnder Eindrücke und neugewonnener Freiheit. Allerdings wurde all das von der COVID-19-Pandemie überschattet. Während dieser Zeit schrieb Pablo die Songs für seine Debüt-EP. In Not like the Movies singt er:

Shopping for perspective on the internet
While all my friends are leaving
For business and politics
While I just stay the same

And I try my best to find something that I can hold onto
Do everything to make it feel like I’m not dying in my room

Und bringt damit zum Ausdruck, was auch ich die letzten zwei Jahre über gefühlt habe: Erwachsenwerden ist einfach nicht so, wie es uns in Coming-of-Age-Filmen vorgegaukelt wird, erst recht nicht während einer globalen Pandemie. Doch trotz aller versperrten Erfahrungen, klingt in Pablos EP kein Song wehleidig. Es geht nicht darum, sich zu beklagen, dass unsere Jugend so abrupt enden musste. Stattdessen schaffen es Pablos Songs, dass man sich ausgelassen tanzend eine Träne aus dem Auge wischt und das ist vielleicht genau das, was unsere Generation gerade braucht.

„Es ist einfach nur Pop“

Pablos Musik hat etwas Einzigartiges, trotzdem wirkt er auf mich nicht so, als wäre es sein Ziel sich besonders hervorzutun. Das meine ich im positivsten Sinne. Pablo hat sich bereits mit Zwölf einen Künstlernamen gegeben, allerdings indem er „englische Nachnamen“ googelte und sich spontan für Brooks entschied. Obwohl er heute findet, dass es schon coolere Künstlernamen geben würde, bleibt er bei Pablo Brooks. Einfach, weil er sich daran gewöhnt hat. Auf meine Frage, ob er vor drei Jahren gedacht hätte, dass er heute an diesem Punkt stehen würde, antwortet er nicht mit „Auf gar keinen Fall“, sondern erzählt mir, dass die vielen Menschen auf seinen Konzerten ihn schon überrascht hätten. Pablo wirkt zu keinem Zeitpunkt überheblich. Er wirkt ehrlich. Mein Eindruck, dass Pablo unverziert zu dem steht, was er ist und tut, bestätigt sich, als er auf meine Frage, in welches Genre er seine Musik selbst einordnet, mit: „Die EP, das ist einfach Pop. Manche sagen, es sei Indie-Pop, einer hat sogar mal Folk-Pop geschrieben, aber es ist einfach Pop“ antwortet.

Pablo möchte aber in Zukunft auch Anderes ausprobieren: „Eines Tages werde ich den Musik-Nerd in mir ausleben und Punk-Rock machen oder ein Akustik-Album oder weiß der Geier. Aktuell noch nicht, aber meine Musik wird auf keinen Fall immer in die gleiche Schublade passen.“ Pablo sagt das mit einem Ausdruck in den Augen, der klarmacht, dass er es ernst meint. Er wird sich nicht auf Dauer in die Pop-Schublade stecken lassen, so wie er auch die „noch ein YouTuber, der jetzt Musik macht“-Schublade nicht akzeptiert hat. Ich glaube, Pablo möchte einfach als der wahrgenommen werden, der er ist und das machen, was er will. Und wenn er noch nicht weiß, wer er ist und was er will, dann findet er es eben heraus und schreibt vielleicht einen Song darüber. Ob das dann eine Klavierballade oder ein Rock-Hit wird, bleibt abzuwarten.

Verstehen und verstanden werden

Es kennt wohl jede:r den Moment, wenn plötzlich ein Song das eigene Gefühlschaos perfekt widerspiegelt. Wenn die Fragen ausgesprochen werden, die in einem selbst so durcheinander liegen und man sich verstanden fühlt, getröstet von dem Gedanken, doch nicht mit alldem allein zu sein. Pablo hat während seiner ersten Tour erlebt, wie es ist, selbst die Person zu sein, die die Texte singt, in denen sich andere wiederfinden. Die Art, wie Pablo von diesem Moment spricht, macht deutlich, wie stark er ihn berührt: „Du bist in diesem Raum und alle Menschen singen die gleichen Sätze. Zu erleben, dass ich einen Song über meine Depression schreibe und dann sind da hundert Leute, die mir meinen eigenen Text zurücksingen, das ist total heilend. Man hat plötzlich das Gefühl: ‚Das ist okay, das ist wirklich alles okay‘. Man ist nicht mehr die einzige Person, der es so geht, die einzige, die diesen Schmerz fühlt.“

Mir scheint, als wären das die Momente, für die Pablo auf der Bühne steht. Um zu sagen: „Du bist nicht allein“ und zu fühlen: Und ich bin es auch nicht. In Dear Future Me singt er:

Dear Future Me,
Do you still cry at the movies
When no one’s there to see?
Did you grow up?

Dear Future Me,
Are you still talking politics
With people who can’t lose?
Are you having fun?

[…]

Oh all I really know is
That I´m scared of growing old

Während ich das höre, muss ich schlucken und an die Fragen denken, die ich meinem Zukunfts-Ich stellen würde. Fragen, auf die ich noch keine Antwort habe. Fragen, die mich nachts wachhalten und sich gleichzeitig zu groß und zu banal anfühlen, um sie laut auszusprechen. Ich weiß nicht, wer ich in fünf, zehn oder zwanzig Jahren sein werde. Oder welche Fragen ich dann an mich stelle. Aber ich weiß, dass es einen Song geben wird, der meine Gefühle einfängt. Als ich Pablo frage, was er sich für die Zukunft wünscht, antwortet er: „Ich wünsche mir, dass meine Musik bei denen landet, die sie brauchen.“

Das wünsche ich mir auch. Lieber Pablo, danke für das Gespräch.

Pablo und seine Musik findest du hier:

Instagram

Spotify

YouTube

TikTok

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Text von Nelly, Gestaltung von Celina.

Nelly ist 20 und studiert Europäische Ethnologie in Berlin. Sie hört absurd viele Podcasts, liebt das Theater, Flohmärkte und nächtliche Spaziergänge. Außerdem interessiert sie sich für den Alltag von Menschen und das Erkunden verschiedener Szenen und Kulturen.

In Wie ist es eigentlich…? werden Menschen portraitiert, die auffallen oder nicht gesehen werden, die ungewollt anecken oder sich absichtlich abgrenzen. Für mehr Sichtbarkeit von gesellschaftlicher Diversität und weniger Raum für Vorurteile.

Celina ist 21, studiert Visuelle Kommunikation in Berlin und wurde schon einige Male für eine Österreicherin gehalten, obwohl sie aus Bayern kommt. Neben ihren gestalterischen Tätigkeiten kümmert sie sich um ihr Schmucklabel, tobt sich bei Dance Workouts aus und gibt viel zu viel Geld für Sushi aus.

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