Sie bemerkte den Regen als Erste. Ich konnte den Tropfen noch sehen, wie er langsam an ihrer Wange hinunterlief. In ihren Augen machte sich die Erkenntnis breit, doch bevor diese auch nur die Chance hatte, in ihrem Mund anzukommen, sagte ich leise: „Es regnet.“ Sie schenkte mir ein zustimmendes Lächeln.
Das Wasser reflektierte jedoch noch das gleiche Hellblau des Himmels, wie es es schon den ganzen Tag tat. Das war der Sommerregen. Das ist diese Art von Regen, die den Himmel nicht in graue Wolken hüllt und die Sonne mitsamt der blauen Farbe des Himmels dahinter verschwinden lässt. Dieser Regen ist kühlend und rettet uns vor der brennenden Hitze. Er ist wie ein Liebesgedicht; wie die Tränen kurz vor dem Happy End.
Die langsam fallenden Tropfen schlugen kleine Wellen auf der Wasseroberfläche. Ich sah nach oben. Die tief stehende Sonne ließ die Regentropfen wie kleine Edelsteine funkeln. Auch meine Wangen waren nun befeuchtet vom Sommerregen. Doch wir fingen nicht an schneller zu gehen, so wie es die anderen Passant*innen um uns herum taten, um nicht nass zu werden. Wir standen einfach da und beobachteten den Regen.
Die Luft war durchzogen mit dem frischen Geruch der feuchten Erde. Ich sah, dass sie es auch roch. Sie genoss den Regen, doch nicht so, wie ich es tat. Wir standen zwar unter dem gleichen Himmel, fühlten denselben Regen auf unserer Haut, doch ich sah in ihren Augen, dass es sich für sie anders anfühlte. Irgendwie intensiver. Sie lächelte und ihre Augen glitzerten mit den Tropfen um die Wette.
Einige Minuten standen wir so da. Dann machten wir uns langsam auf den Weg nach Hause, da der aufziehende Wind eine ungemütliche Kälte mit sich brachte. Zusammen gingen wir am Hafen entlang, redeten über unwichtige Themen und über die wichtigen. Mit jedem Schritt kamen die alten Gebäude der Stadt ein wenig näher.
Die engen Gassen schützten uns ein wenig vor dem Regen. Sie ging sie mit einer Selbstverständlichkeit ab, als würden wir gerade zu ihrer Wohnung gehen und nicht zu meiner. Sie schien sich besser auszukennen als ich, in dieser Stadt, in diesem Leben.
Ich schloss die Wohnungstür mit vor Kälte zitternden Händen auf. Wir gingen direkt ins Badezimmer, um die vom Regen durchnässten Klamotten auszuziehen und zum Trocknen aufzuhängen. Ich ließ einen flüchtigen Blick durchs Wohnzimmer gleiten, das durchzogen war mit kleinen Tropfen, die unseren Weg markierten. Wie eine kleine Spur, die uns den Weg zeigte. Dann schloss ich die Badezimmertür. Übrig blieben nur wir und dieses auf brodelnde Gefühl in mir.

Dieses Gefühl der Geborgenheit, das nur einige Minuten anhält und mitsamt seiner ungeteilten Hoffnung wieder verschwindet. Das Gefühl der Gemeinsamkeit, das wie ein starker Windstoß an einem blauen Küstentag, die Einsamkeit weg weht und nur noch uns zwei da lässt. Uns zwei und den Wind und das Wasser.
Der Spiegel war beschlagen und durch ihn sah ich uns, wie ich mich vor meinem inneren Auge schon lange sah: stumpf und verschwommen. Doch sie war auch da und die Farben wurden stärker. Die Verschwommenheit klang nun wie ein leise ausklingendes Klavier und nicht mehr wie das dumpfe Gefühl des Ertrinkens.
Ihr Lachen prallte an den glatten Wänden des Badezimmers ab und füllte jede Ecke des Raumes, sowie jeden leeren Teil in mir. Mein Lachen, das mir wie eine Antwort auf ihres entsprang, klang weniger klar, weniger lebendig. Doch es war ein ehrliches Lachen. Fast genauso wahr wie ihres, fast genauso schön.
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Gestaltet wurde der Beitrag von Selma. Sie ist eine der Gestalter:innen bei TIERINDIR und für die Gestaltung der Kolumne #gutundir zuständig. Selma ist 22 Jahre alt, studiert Druck- und Medientechnik und arbeitet nebenbei als Grafikerin in Berlin. In ihrer Freizeit ist sie gern kreativ, liebt lange Spaziergänge und verliert sich in Büchern aus ihrem Bücherregal oder der Bibliothek.