Gastgedanken, Hier & Jetzt, Tabuthema?
Schreibe einen Kommentar

Umzäunter Himmel

Trigger Warnung: Der Text behandelt psychische Erkrankungen (Depression, Angst, Schizophrenie, Borderline) und suizidale Gedanken. Die Namen der Personen im Text sind verfremdet. 

Es war ein bedrückend heißer Julitag, als ich in den umzäunten Himmel blickte und Hunger hatte. In der Klinik gab es Mittagessen, aber das hatte immer einen seltsamen Nachgeschmack.  Manchmal fragte ich mich, ob das Personal wusste, dass sie für Menschen kochten, die keine Freude am Leben finden konnten. Es war offensichtlich, dass die Einrichtung unterfinanziert war. Ständig fielen Therapiestunden aus und die meiste Zeit verbrachte ich im Aufenthaltsraum und redete mit Mitpatient:innen, die nichts mit mir gemeinsam hatten. 

An meinem ersten Tag in der psychiatrischen Tagesklinik stand ich im Flur und empfand eine Mischung aus Trotz und Trauer: Wie konnte ich hier landen? Ich hatte alles richtig gemacht: Abitur mit Einserschnitt, Stipendiatin, Journalismus-Studium. Seit meinem 14. Lebensjahr war alles in meinem Leben darauf ausgerichtet Anerkennung zu erhalten, erfolgreich zu sein, einen Platz in der Welt der Elite-Unis und Traditionszeitungen zu finden. Warum war ich dann nach Wochen voller Panikattacken zusammengebrochen und hatte mich im Garten einer Kirche übergeben? Während das Drama in meinem Kopf kein Ende nahm, richtete sich der Scheinwerfer auf die Gruppe am Tisch vor mir, die mit einem Ausdruck aus Ekel und Belustigung das Mittagessen vor ihnen aßen. Mir wurde ein Stuhl angeboten, also setzte ich mich zu diesen Menschen, die nicht einmal in der schrägsten Sitcom zueinander gefunden hätten:

Da war Thomas, ein ehemaliger Junkie Ende zwanzig, der Sport liebte und jeden Tag mit dem Fahrrad kam. Als er eine Nacht nicht schlafen konnte, weil er unter Panikattacken und PTBS-Flashbacks litt, rannte er bis zum Morgen Runden auf dem Sportplatz. Lars, hielt ich auf den ersten Blick für einen gut gestellten Familienvater. In der Musiktherapie (die eher Plaudern mit der Therapeutin war) erzählter er dann, dass er ein alleinstehender pensionierter Busfahrer war, mit einem Hund, den er über alles liebte. Lara hatte einen kleinen Sohn und musste mit ihrem Job im Forschungsinstitut, allein ihre Familie finanzieren, da ihr Mann, der dual Soziale Arbeit studierte nicht vorverbeamtet werden konnte, weil er Antidepressiva nahm. Lynn mit den lockigen Haaren und der runden Brille war ein Jahr durch die Welt gereist, arbeitete in einem Hafenunternehmen als einzige Frau und beschwerte sich über ihre Oma, die sie ständig fragte wann sie denn Kinder bekommen würde. Als erstes schloss ich aber Fine („Mit f nicht ph. Ich finde man sieht mir an, dass ich eine Fine mit f bin.“) in mein Herz, die mit einem Margarete Stockowski Buch und blau gefärbten Haaren daneben saß und den anderen nicht viel Aufmerksamkeit schenkte. 

Diese Gruppe begleitete mich über die nächsten 7 Wochen, während mein Weltbild mehr als einmal schwankte und ich weinend meine Freund:innen anrief, weil ich den Gedanken 100 Tabletten zu schlucken nicht loswerden konnte. Zwischendurch wurden Patient:innen entlassen und neue kamen dazu:  Zum Beispiel Daniel, der in einer Familie von Alkoholikern aufgewachsen war und vor kurzem sein Geschichtsstudium abgeschlossen hatte und mir von den norddeutschen Ubooten des zweiten Weltkriegs erzählte. Oder Sarah aus Syrien, die mit mir arabische Musik teilte und mit der ich Schokolade aus der Küche stiehl. Mein Traum nach der Schule war es gewesen, endlich Menschen zu finden die aus der Welt kamen, zu der ich gehören wollte. Ich suchte mir Freund:innen, die später Privatunis in Hamburg besuchten, mein damaliger Freund hatte ein Jahr in New York gelebt und würde drei Immobilien in München erben. Die Freund:innen an der Privatuni sprachen nach dem ersten Semester nur noch über die Jobangebote, die sie nach dem Abschluss in Erwägung zogen und mein Freund machte nach meiner ersten Woche in der Klinik mit mir schluss.  

Meine Tage bestanden zu dieser Zeit aus Buchbinden (Arbeitstherapie), Luftballons werfen (Bewegungstherapie) und Korbflechten (Ergotherapie). Jeder Tag begann mit dem Morgenkreis, bei dem jeder erzählen musste, wie er oder sie sich denn heute fühle. Manche antworteten mit einem Wort: „Traurig“, „Schlecht“, „Ok“. Andere (mich eingeschlossen) nutzten die Gelegenheit für Selbstreflektion: „Also gestern da wollte ich sterben und dann hab ich Gitarre gespielt und bin geschwommen, danach fühlte ich mich immer noch scheiße, aber besser. Und da realisierte ich, dass diese dummen Kleinigkeiten wirklich einen Unterschied machen.“. 

Ich erlebte Panikattacken, Dissoziation und bedrückende Stille, nachdem Patient:innen ihre Geschichte erzählten. Doch da war auch Lachen, Antidepressiva-Anekdoten und eine Leichtigkeit neben Menschen zu sitzen die verstanden, dass Schmerz nicht immer einen Zweck hat. Dass Depression nicht nur bedeutet ohne Grund traurig zu sein, sondern auch Impulsivität, Selbstzerstörung und Zynismus beinhaltet. Dass Besserung bedeutet Verantwortung zu übernehmen, Fehler zu machen und es jeden Tag zu versuchen. Nach meiner Entlassung sah ich die Mitglieder der Klinikgruppe noch ein paarmal, doch dann verlief der Kontakt. Letzte Woche als ich die ganze Nacht durchweinte und es nicht aus dem Bett schaffte, dachte ich an einen der wärmsten Tage im Juli. Als unser Betreuer Vanilleeis und Kaffee mitgebracht hatte und wir im umzäunten Garten der psychiatrischen Tagesklinik Eiskaffee tranken und lachten. 

Lorena (20) studiert Medien- und Politikwissenschaft, liebt Polemik, Graphic Novels, lateinamerikanische Literatur und hat vor kurzem gelernt, den Schmetterling zu schwimmen. Ihre erste Geschichte schrieb sie im Kindergarten über einen Gärtner, der eine Blume aus der Erde riss. Heute befasst sie sich in ihren Texten mit Popkultur, intersektionalem Feminismus und mentaler Gesundheit.

Celina ist im Gestaltungsteam bei TIERINDIR aktiv.
Sie studiert Visuelle Kommunikation in Berlin und wurde schon einige Male für eine Österreicherin gehalten, obwohl sie aus Bayern kommt. Neben ihren gestalterischen Tätigkeiten kümmert sie sich um ihr Schmucklabel, tobt sich bei Dance Workouts aus und gibt viel zu viel Geld für Sushi aus.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.