Gastgedanken, Hier & Jetzt
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Zwischen Palettensofa und Kinderbett

Ich bin erwachsen genug, um mir eine teure Matratze zu kaufen und passendes Geschirr zu haben. Bin alt genug, um mir mein tägliches Leben so einzurichten, dass es sich gut anfühlt. Irgendwie habe ich gedacht, es dauert noch – bis ich mir eine gute Kamera kaufe, ein Klavier zu Hause steht oder bis ich meinen Wein nicht mehr aus Ikea-Gläsern trinke. Und irgendwie habe ich auch gedacht, ich fände das noch gut. Bis gestern.

Ich steige aus der U-Bahn aus und der eisige Berliner-Winterwind weht mir ins Gesicht. Es ist ein Freitagabend im Februar, wir haben uns zum Abendessen verabredet. 19 Uhr bei euch zu Hause. Und als ich die Straße entlang zu eurer Wohnung gehe, fühlt es sich seltsam vertraut an. Ich überlege, wann ich das letzte Mal bei euch war und es ist bestimmt schon vier Jahre her. Der Türöffner surrt ich und laufe die Treppen in den vierten Stock. 

Wir umarmen uns zur Begrüßung, ich lege meine Einkäufe ab und wir fangen in der Küche direkt an zu schnippeln. Es fühlt sich an, als hätten wir uns nur eine Woche nicht gesehen. Ich weiß noch genau, wo ich die Schneidemesser finde, und hole die Gewürze aus dem Vorratsschrank. Der Reis köchelt auf der Herdplatte, wir reden über Job und Studium. Dein Freund bietet mir einen Aperitif an. Mit dem Weinglas in der Hand lehne ich an der Küchentheke und wir reden und reden und ich habe das Gefühl, als wäre keine Zeit vergangen, seit wir angefangen haben zu studieren. 

Aber wir schneiden unser Gemüse mit scharfen Messern auf schönen Holzbrettern und den Sekt trinken wir nicht mehr aus Ikea-Gläsern. Das Curry servieren wir auf handmade Porzellan-Geschirr aus irgendeinem Hipster-Laden in Kreuzberg und stellen es auf den Echtholz-Tisch im Wohnzimmer. Das Salz ist nicht mehr in der “Alpen-Iod-Salz”-Tüte, sondern umgefüllt und anstelle des Paletten-Sofas steht in eurem Wohnzimmer jetzt eins aus Leder. “Wir haben uns auch ein Bett gekauft”, sagst du. “Wir sind jetzt zu erwachsen für Paletten-Betten.” Wir lachen und du schenkst mir Rotwein ein, den du zum Atmen schon aufgemacht hast, bevor ich da war. Dein Freund schaltet den Schallplattenspieler an. Wir stoßen an, geben unsere Meinung zum Rotwein ab und fangen an zu essen. 


Und – auf einmal merke ich: Es fühlt sich immer noch vertraut an mit dir, es ist der gleiche Ort, aber etwas ist anders als im ersten Semester: Wir sind ein bisschen erwachsen. Und während ich das denke, merke ich: Ich finde das okay. Wir sind in dieser komischen Phase, zwischen Studierendenbude und Büro. Zwischen zu alt für Billig-Sekt und der Angst vor dem Langweilertum und spießigem Sonntagsbrunch. 

Wir sind in der Phase, in der die Hälfte der Freund*innen den Job kündigt, nochmal ins Erasmus-Semester fliegt oder mit dem Camper durch Europa fährt, während die andere Hälfte gerade Kinder plant, Haus baut und heiratet. Und wir? Wir stoßen mit mittel-teurem Rotwein an, sprechen über Geldanlage und Steuern, aber spielen Trinkspiele am Echtholz-Tisch. Wir sind irgendwo dazwischen. Zu alt für das Paletten-Bett und die stumpfen Messer, zu jung für das Kinderbett und den Ehering. Ich setze mich angetrunken neben eine Gruppe Teenies in die U-Bahn, freu mich auf mein Sonntagsfrühstück auf schönem Porzellan und denke mir: Dazwischen sein ist ziemlich okay. 

Kim ist 25 und studiert Psychologie in Konstanz. Vorher hat sie drei Jahre Vollzeit als Journalistin gearbeitet und sich auch mal als Architektin probiert. Aber egal was sie gemacht hat, sie hat immer geschrieben. Alles, was sie sieht und fühlt, packt sie in Worte. Daraus entstehen journalistische Texte, Gedichte, kurze Beiträge oder Songtexte für ihr eigenes Musikprojekt. Bei allem steckt immer das ganze Herz drin.

Gestaltet wurde der Beitrag von Ann-Katrin. Sie lebt in Berlin und zeichnet schon seit sie denken kann. Inspirieren tut sie dabei gemischte Musik, wirre Wort- und Alltagsfetzen und gutes Essen mit Petersilie.

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