Liebe & Triebe
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Whatever makes you happy – oder erregt #offenherzig

Fetische sind etwas Schmutziges: Das zumindest scheint oft der gesellschaftliche Tenor zu sein. Doch für Alina und Mira lohnt sich der Blick in die Tabu-Ecke: Worin liegt eigentlich die Kritik an Fetischen? Die beiden beleuchten, was für emotionale Beweggründe hinter scheinbar verruchten Fetischen stecken können, ob sich ein devoter Fetisch und die Prinzipien des Feminismus ausschließen und wie bestimmte Fetische patriarchale Strukturen widerspiegeln. Denn eines ist ihnen besonders wichtig: Das Thema Fetisch heraus aus dem Tabu und in den Austausch zu holen.

„Was ist eigentlich dein Fetisch?“, fragte mich vor etwa einem Jahr ein guter Freund, als wir uns bei Mate und Rollo über unsere jeweiligen Sexleben austauschten. Gute Frage, dachte ich mir und überlegte.

„Du, das weiß ich gar nicht so genau“, musste ich jedoch resümieren.

„Jede Person hat doch einen Fetisch“, entgegnete er. Ich nahm einen großen Schluck von meiner Mate und fragte mich innerlich Ist das so?

„Also ich habe Vorlieben, natürlich. Ein paar bestimmte Verhaltensweisen meines Gegenübers, die mich besonders erregen. Das geht von Bissen am Hals zu Schlägen auf den Hintern, aber ist das schon ein Fetisch?“

„Ich weiß nicht. Wo zieht man denn die Grenze zwischen Fetisch und Vorliebe?“

Eine Google-Recherche mit klebrigen Soßen-Fingern und eine nicht-repräsentative Umfrage im Freundeskreis später, bildete ein Mix aus all dem für uns die Definition: Eine Vorliebe ist ein Faktor, der die Lust quasi unterstützt. Bei einem Fetisch entsteht die Erregung oft nur durch diesen – es besteht also ein Art Kausalität zwischen Fetisch und Erregung.

„Also vereinfacht gesagt: Ein Fetisch ist ein bisschen radikaler als eine Vorliebe“, sagte mein guter Freund, ich nickte zustimmend und knabberte weiter an meinem Rollo.

Diese Unterhaltung blieb mir noch lange im Sinn. Denn obwohl das Thema Fetisch einen scheinbar verpönten Ruf in der Gesellschaft hat – man fühlt sich leider noch recht schmutzig, nur wenn man das Wort ausspricht – und es sich nach wie vor hartnäckig als Tabu hält, war ich gecatcht: Besaß ich Vorlieben oder hatte ich auch einen Fetisch? Und wenn ja, welcher wäre das?

„Was magst du gerne?“, hatte ich zum damaligen Zeitpunkt schon ein paar Mal im Bett gehört und wusste nie so konkret darauf zu antworten. Doch frisch aus meiner ersten Langzeitbeziehung kommend, erlebte ich vor etwa anderthalb Jahren meine erste Freundschaft Plus mit einem Sex-Partner, der sehr dominant war. Und als ich merkte, dass mir besagte Dominanz meines Gegenübers nach dem Ende dieser Affäre in den darauffolgenden fehlte, konnte ich Stück für Stück lernen, dieses Was magst du gerne? mit einem konkreten Begriff zu benennen: Ich mag es, wenn ich im Bett der devote Part sein kann.

Aber ist das nun ein Fetisch?

Ich spreche nicht von einem kompletten Kontrollverlust in Form von Bondage oder ähnlichem. Mir geht es dabei eigentlich nur um eine Art maßvolle Grobheit meines Sex-Partners, die sich auf unterschiedliche Weisen äußern kann – natürlich im beiderseitigen consent. Obwohl der Begriff devot im allgemeinen Sprachgebrauch für unterwürfig oder ergeben steht, nutzte ich es hauptsächlich als ein Synonym und konkrete Begrifflichkeit für den Part, der dominiert wird. Denn der Fokus liegt für mich weniger darauf, dass ich mich besonders unterwürfig, sondern mein Partner sich besonders dominant verhält. Aber ist das nun ein Fetisch?

Mit Blick auf unsere Definition würde ich sagen: Grauzone. Denn meine Erregung lebt in einem großen Umfang von dieser klaren Rollen-Verteilung. Doch sie ist nicht vollständig davon abhängig. Richtet man sich nach den gängigen Porno-Kategorien, ist es jedoch ein klarer Fall. Denn hier wird alles in Fetisch-Kategorien unterteilt, das nicht niet- und nagelfest ist: Dominant, Devot, Bondage, Latex, Urinieren, Gangbang, Analsex, Fuß-Fetisch und mehr. Doch die Vergangenheit lehrt uns, nicht zwangsläufig allem Glauben zu schenken, das uns die Porno-Industrie lehren möchte.

Laut verschiedenster (mehr oder weniger seriöser Quellen), definiert sich ein Fetisch zudem angeblich darüber, dass er von einem Gegenstand abhängig ist – dieses Objekt dominiert also in gewisser Weise die Erregung. Der Duden spricht von einem „Gegenstand, Körperteil o. Ä. als Objekt des Fetischismus“. Die Formulierung „oder Ähnliches“ bestätigt aber eigentlich schon, was ich bereits vermutet habe: Denn meinem Gefühl nach, hat sich die Verwendung des Begriffs Fetisch ein bisschen erweitert. Obwohl man in den meisten Fällen vermutlich korrekterweise eher von Vorlieben sprechen würde, dient der Fetisch-Begriff zumindest in meinem Umfeld mittlerweile oft dazu nachdrücklich und ohne Scham die eigenen sexuellen Vorlieben – egal ob an einen Gegenstand gekoppelt oder nicht – stolz zu kommunizieren. Fetisch dient hier also quasi als Hervorhebung und Definition eigener Bedürfnisse und gibt ihnen einen individuellen Anstrich.

Aber weshalb dann die Kritik, die sich gegen Fetische richtet? Oder viel mehr: Warum dieser schlechte Ruf? Wo es doch eine verdammt gute Sache ist, sich der eigenen Lust-Herde bewusst zu werden und diese zu zelebrieren. Bereits während der Internet-Recherche zu Fetischen fiel mir auf, dass diese immer öfter mit dem Begriff pervers Hand in Hand gingen. Obwohl pervers lediglich eine Abkehr der Norm beschreibt, weist sogar der Duden auf dessen in der Gesellschaft negativ behaftete Konnotation hin: „(besonders in sexueller Beziehung) als widernatürlich empfunden – Gebrauch: abwertend, häufig diskriminierend“

du flüsterst in die stille
und suchst nach einer hülle.
passt da nicht rein,
weil alles irgendwie anders,
falsch rum,
zu sein scheint.

Wie das leider eben in vielen Bereichen der Gesellschaft ist: Was man nicht kennt, ist seltsam. Und was man selbst nicht nachvollziehen kann, wird auch nicht als Option für andere toleriert. Beispielsweise sprach ich mal mit einem Bekannten, der mir erzählte, dass er während des vaginal-penetrierenden Sex in seine Freundin urinierte und beide das als Fetisch genossen. Ich konnte mir das für mich selbst beim besten Willen nicht vorstellen und ertappte mich dabei die beiden zu verurteilen. „Sie sieht das als ein Geschenk, dass sie von mir aufnimmt. Und ich liebe es, dass sie etwas von mir in sich aufnehmen möchte. Das ist eine so intime und persönliche Geste – in diesen Momenten sind wir uns unglaublich nah“, erklärte er mir. Und zum ersten Mal öffnete mir das die Augen, dass ich bislang ohne jegliche Eigenerfahrung was manche Fetische anging direkt mit Vorurteilen an die Sache herangegangen war. Während ich zum Beispiel immer dachte, dass der Fetisch Urinieren stets etwas mit Erniedrigung zu tun hätte, erklärte mir nun jemand was für eine liebevolle Geste dahinterstecken kann.

Urinieren als liebevolle Geste

Der verruchte und schmutzige Ruf, den Fetische im Allgemeinen haben, lässt sich meiner Meinung nach also eher in der schmalen Verständnis- und Toleranz-Spanne vieler Menschen abseits der eigenen Grenzen sowie in der daraus resultierenden negativen Konnotation des Begriffs und dessen Vorurteilen begründen. Zudem ist es nicht nur die Verurteilung von Fetischen, die eine offene Kommunikation darüber erschwert. Oft stellt sich allein ein Gespräch darüber als Hürde dar: Denn ein fehlender Austausch zu dem Thema trägt nicht unbedingt zu einer stärkeren Sensibilisierung diesbezüglich und mehr Verständnis bei. Bleibt es weiterhin in der Tabu-Ecke werden vermutlich weiterhin Augenbrauen in die Höhe schießen und Nasen gerümpft, sobald der Begriff Fetisch auf den Tisch kommt.

Für mich handhabt es sich bei Fetischen wie mit fast allem anderen auch: Solange consent herrscht, man niemanden verletzt (der/die das nicht möchte) oder in Gefahr bringt, kein Gesetz bricht und selbst keine Sucht oder ein destruktives Verhalten entwickelt: Do, whatever makes you happy – oder erregt.

Doch gerade im Laufe des vergangenen Jahres wurde ich im Bezug auf meinen frisch definierten Fetisch immer mal wieder mit einer bestimmten Frage konfrontiert: Wie passt es zusammen, dass ich für mich als heterosexuelle cis-Frau ein so gesehen veraltetes Bild der devoten Frau und des dominanten Mannes im Bett bevorzuge und mich dennoch als Feministin betrachte? Sowohl Männer mit denen ich im vergangenen Jahr intim wurde, als auch ein paar Menschen aus meinem Freundeskreis teilten die folgende Ansicht: Feminist*innen sollten veraltete Muster wie dieses doch aufbrechen, ganz entgegen des weiblichen Klischees handeln und das Patriarchat aufhebeln. Das brachte mich zum nachdenken – denn ich fühlte mich plötzlich schuldig, unbewusst und ungewollt den Gedanken zu unterstützen, dass es eine klare Unterteilung in die unterwürfige, weibliche Person und die dominante, maskuline Person zu geben hätte. Ich begann also meine sexuelle Vorliebe, meinen Fetisch, zu hinterfragen. Durfte ich diesen ausleben? Hatte ich nicht eine Vorbildfunktion als Feministin?

Devot oder dominant im Bett vs. Feminismus?

Einige Monate nach unserem letzten Treffen, kamen mein guter Freund und ich erneut mit Rollo und Mate zusammen, aber dieses Mal auch mit einigen Sorgen mehr. Denn auch er hinterfragte seinerseits mittlerweile diese Thematik:

„Darf ich als heterosexueller cis-Mann im Bett überhaupt dominant sein wollen?“

„Wenn es deine Vorliebe ist und deine Sex-Partnerin gerne devot ist, wieso dann nicht?“, antwortete ich zunächst gedankenlos.

„Naja, ich weiß aber eben nicht, ob ich einfach das Gefühl von Dominanz mag oder ob mir vielleicht sogar die Unterwürfigkeit meiner Sex-Partnerin gefällt. Es stellt sich mir die Frage, ob diese Vorliebe vielleicht kein harmloser Fetisch sondern ein Spiegel patriarchaler Strukturen ist.“

„…durch die du sozusagen unbewusst von kleinauf sozialisiert wurdest“, ergänzte ich seinen Gedanken.

„Exactly. Und lebe ich durch diese Vorliebe dann nicht womöglich diese Strukturen aus und reproduziere sie?“

Wir grübelten eine Weile und versuchten, einen Kompromiss zwischen Feminismus und der sexuellen Freiheit zu finden. Irgendwann riet ich ihm:

„Nimm dir vielleicht einfach mal die Zeit, um herauszufinden, ob es einen Grund für deinen Fetisch gibt. Oft lässt sich diese Vorliebe ja auf eine Ursache zurückführen. Zum Beispiel merke ich bei mir, dass ich im Alltag oft die Person bin, die die Kontrolle über alles behalten muss. Gleichzeitig lastet viel Verantwortung und Pflichtgefühl auf mir und ich bin oft überfordert. Wenn ich im Bett dann zumindest in kleiner Form die Kontrolle abgeben kann, dann entspannt mich das.“

„Das macht Sinn“, erwiderte er.

„Und mit Blick zurück auf dich denke ich, solange deine Dominanz nichts damit zu tun hat, aktiv oder passiv irgendeinen Hass auf Frauen oder deren Erniedrigung auszuleben, sich deine Sex-Partnerin nicht von dir in die devote Rolle gedrängt fühlt, sondern absoluter consent herrscht und ihr euch beide mit der Rollenverteilung wohlfühlt, gibt es meiner Meinung nach keinen Grund für dich, da irgendetwas zu hinterfragen.“

„Beantwortest du dir deine eigene Frage damit nicht sogar selbst?“, fragte er grinsend.

„Inwiefern?“

„Naja, du hast Angst, dass dein Fetisch konträr zu deinen Prinzipien stehen könnte. Aber Feminismus bedeutet doch nicht, sich zwanghaft entgegen traditioneller Muster zu verhalten. Es bedeutet, dass jeder Mensch seine eigenen Entscheidungen treffen kann ohne, dass ihm eine Norm aufgedrückt wird. Du würdest doch auch nicht denken, dass eine Frau, die ihre Erfüllung darin findet, Mutter zu werden und den Haushalt zu organisieren, eine geringere Feministin wäre als eine Frau, die sich gegen Familie und für Karriere entscheidet.“

Das ließ ich sacken und spürte wie recht er hatte.

„Also kann ich meinen Prinzipien nachgehen und gleichzeitig in meinem Sexleben dominiert werden wollen“, resümierte ich glücklich.

„Und Letzteres nicht, weil es dir ein Mann vorschreibt.“

„Ganz genau. Sondern weil es mein Wunsch und meine eigene Entscheidung ist.“

das hier,
jetzt genau hier
(mit dir)

fühlt sich an wie magie.

du, du bist mein körper
und das hier, das schreib ich an dich:

du bist mehr als okay,
okay mit dir selbst.
auch wenn die welt oft gegen deine anhält.

okay sein ist fast schon so gut wie gut
deshalb mach dir keine sorgen
und hör‘ dir zu.

denn du bist natürlich,
natürlich wundervoll.

_

Text ist von Alina, Lyrik von Mira und Illustration von Imina.

Mira ist 19 Jahre alt und eine der zwei Autorinnen der Kolumne offenherzig. Sie schreibt Gefühle und Gedanken in Gedichtform und liebt es zu tanzen, Musik zu hören und auch sonst in jeglicher Form kreativ zu sein.

Alina ist 24 Jahre alt und studiert Kulturwissenschaften und Germanistik. In der Kolumne offenherzig sowie auf ihrem Blog setzt sie sich für mehr Offenheit, Verständnis und Experimentierfreudigkeit im Umgang mit Sex und allem was dazu gehört, ein.

Die Kolumne offenherzig dreht sich rund um das Thema Sexualität und damit einhergehende „Tabuthemen“ sowie Abweichungen von der bisherigen Norm – das umfasst neben Sex in seinen unterschiedlichen Formen zum Beispiel auch Bereiche wie das Liebesleben an sich sowie den eigenen Körper. offenherzig ist eine Kombination aus Alinas Texten und Miras Lyrik.

Die Gestaltung ist von Imina.

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