Triggerwarnung: In diesem Beitrag werden Szenen von häuslicher Gewalt beschrieben. Wenn es Dir damit nicht gut geht, lies den Text lieber nicht oder nur gemeinsam mit einer anderen Person. Wenn Du selbst von häuslicher Gewalt betroffen bist oder eine betroffene Person kennst, findest Du hier Hilfe.
Augen können sprechen
Vor allem die Farben darunter
Vor allem das Blau und Grün
Und später mal das Gelb
Vor allem halb geschlossene, tränende, fast schon vor dem Überlaufen stehende
Augen können sprechen
Du schleichst an all den Leuten vorbei
Als wär gestern nichts gewesen
Fast wünschst du dir, sie würden nicht tun als hätten sie nichts gehört
gesehen oder
geahnt
Fast wünschst du dir, sie hätten richtig hingesehen,
Ihn auf dich losgehen sehen –
Wenn Augen sprechen könnten
Dann würden die Farben darunter schreien
Weil du es nicht durftest, nicht konntest, nicht können wirst
Aber das kannst du ja nicht alles sagen
Und auf Fragen oder besorgte Blicke
Winkst du nur lächelnd ab und meinst
Es wäre alles besser als gedacht
Du hättest alles halbwegs unter Kontrolle
Es könnte alles noch viel schlimmer sein,
Du brauchst keine Hilfe, denn du hast es schließlich auch allein bis zu diesem Punkt geschafft
Und dir geht es ja ganz gut
Oder zumindest nicht ganz schlecht
Oder zumindest nicht immer
Und auch nur, wenn er bei dir ist –
Du brauchst auch nur ’nen Kühlakku, dann geht’s ja auch schon wieder
Du bist in der Zwischenwelt gefangen –
Zwischen dem Verzeihen und der ständigen Erinnerung,
Dass du es immer wieder neu durchstehen musst
Zwischen dem Erspähen von Besserung und neu enttäuscht Werden
Deine Hand greift zur Tiefkühltruhe –
Wenn man von dem Schlimmsten ausgeht
Ist ein „besser als gedacht“
Immer noch kein „gut“
Zitternd suchst du den Schlüssel zu der weißen Tür,
Hörst Schritte, Stimmen, Schreie –
So klein dein ICH ist,
So viel nimmt seins auch ein –
Und zwar ganze vier Wände.
Man kann den Händen, von denen man Grobes gewohnt ist
Nur mit Ehrfurcht begegnen, selbst wenn diese
Wärmend und nicht bedrohlich sein wollen –
Für einen Moment ist alles gut, du lässt dich gierig fallen, umklammerst verzweifelt das bisschen
Zuhause, was dir noch geblieben ist, saugst die trügerische Sicherheit auf bis –

Zwischen den Handysplittern siehst du kurz eine Nachricht aufflimmern,
Versuchst dich in dir zusammenzuhalten,
Während um dich herum alles auseinanderfällt –
Vertrauen, Geborgenheit und das säuberlich aufgeräumte Zimmer
Zumindest war es das vor einem Atemzug
Stillstand
Trübe Sicht,
Du schmeckst Rot,
Siehst jetzt schon das Blau und Grün und Gelb und –
Es wird kurz laut und dann
Dumpf, leise, schwarz.
Wenn man genauer schaut
Erkennt man heute noch das fahle Gelb unter deinem Auge –
Man muss halt nur genauer hinsehen.
–
Yael (20) studiert Germanistik und Ostslawistik, ist immer draußen, wenn die Sonne scheint, dem russischen Aberglauben verfallen und leidenschaftliche Tagebuchschreiberin. Sie schreibt über Identität, übers Ankommen und Verlorensein und sich immer wieder neu er- und wiederfinden.
Merve lebt in Karlsruhe und studiert an der HfG Kommunikationsdesign. Sie ratscht gerne mit vielen Menschen, genießt es aber auch sehr alleine in die Natur zu fahren oder zu töpfern. Was sie sehr liebt: Zusammen mit ihren Liebsten und einem Tee im Park Menschen zu beobachten und zu zeichnen und gemeinsam über Träume und Ängste sprechen. Bei TIERINDIR ist sie Gestalterin.
Anmerkung der Redaktion: Ihr fragt euch vielleicht, weshalb wir einen so bildlichen Text über häusliche Gewalt veröffentlicht haben. Als kuratierende Personen hinter den Texten hinterfragen und reflektieren wir unsere Haltung zu Themen, die Menschen potentiell triggern können, ständig. Bei diesem Text ging es der Autorin darum, für die Position von Betroffenen zu sensibilisieren und ihre Gefühle sichtbar zu machen. Das ist es, was wir auch bei TIERINDIR – in einem möglichst sicheren Rahmen – tun wollen. Bei Feedback oder Anregungen dazu schreibt uns gern eine Mail an info@tierindir.de