Mein erstes Gespräch für FUTURA BOLD* habe ich mit Laura Sophie Höpflinger geführt. Laura ist Filmemacherin und freie Künstlerin. Wir haben natürlich über ihre Arbeit mit Film gesprochen, wie ihr persönlicher Arbeitsprozess aussieht und auch ein bisschen über die deutsche Filmlandschaft gelästert. Laura hat so viele spannende Ansichten mit mir geteilt, dass ich mir jetzt insgeheim wünsche auch Filmemacherin zu sein. Am meisten jedoch, ist mir Ihre Sichtweise zur Aufgabe des Films geblieben.
In drei Stichworten, was ist Film für Dich?
Emotion, Poesie, Commitment.
Was war deine erste Erfahrung mit Film? Hast du eine erste Erinnerung im Bezug auf Film? Ich glaube, für viele ist das Findet Nemo als Kind im Kino gesehen zu haben.
Ich habe Findet Nemo tatsächlich auch im Kino gesehen. Aber es ist nicht meine erste Erinnerung. Ich habe wahnsinnig viele Disney-Filme Zuhause geschaut. Was heisst wahnsinnig viele – immer so vier, fünf auf Kassette. Bestimmt über Jahre hinweg, aber so ganz repetitiv immer die Selben. Das war Cap und Capper, Bernhard & Bianca und Robin Hood. Das waren meine ersten Filme, die mich sehr lange begleitet haben. Und die dann irgendwann auch garnicht mehr wie so ein Entertainment waren, sondern eher wie ein Zustand in den man sich begeben kann.

Waren die Filme dann auch ausschlaggebend dafür, Dich zu entscheiden mal etwas mit Film zu machen? Was hat zu der Entscheidung geführt?
Eigentlich überhaupt nicht. Ich hab mich gar nie im Film gesehen, sondern bin da eher so reingerutscht. Nach meiner Fachhochschulreife, die ich auch in Richtung Gestaltung gemacht hatte, hab ich mich eher so in der Bildenden Kunst gesehen. Auch zu Beginn meines Studiums dachte ich ich interessiere mich eher für Visuelle Kommunikation. Dann hat mich der Film aber doch sehr eingefangen. Das Medium hat mich wahnsinnig fasziniert, die Möglichkeit Bild bewegt zu zeigen und eine komplett neue Welt zu eröffnen. Es geht garnicht mal unbedingt um die Geschichte, sondern um den visuellen Reiz. Und was der in uns auslöst.
Der Arbeitsprozess
Film ist ja meistens eine Teamleistung. Trotzdem möchte ich Dich zu deinem „Prozess“ befragen. Wie beginnt dein Arbeitsprozess? Wie sieht der aus?
Ich denke das ist ganz unterschiedlich und wahnsinnig individuell. Je nachdem was einem den roten Faden gibt, mit dem man sich durch die vielen Instanzen des Projekts hangeln kann. Bei mir fängt das tatsächlich immer mit einem Bild und einem Gedanken an. Mit einem einzigen Moment. Der Moment ist meistens eine durchlebte Situation oder eine stark durchlebte Emotion, welche mit man einem Bild verknüpfen kann. Daraus entsteht dann sowas wie ein gedanklicher Tagebucheintrag. Der Prozess beginnt dann meistens damit, dass ich mir Skizzen dazu aufzeichne. Oder tatsächlich auch mit meiner Kamera digitale Skizzen dazu mache. Da geht es nicht um große Fotokunst, sondern einfach nur darum den Gedanken festzuhalten. Nach und Nach hat man dann ein Sammelsurium an Impressionen, die man dann miteinander verknüpfen kann. Und daraus ergibt sich dann eine Geschichte – wenn man sich dann hinsetzt und die auch wirklich schreibt (lacht).
Also arbeitest du dann auch ein bisschen mit Storyboards?
Ja auf jeden Fall. Ich arbeite auch sehr gerne mit Papier, Großformatig. Weil das super schön ist, die Sachen herumschieben zu können und sich alles in einer großen Skala anzuschauen. Wenn man viel Platz hat ermöglicht das einem auch in ganz andere Richtungen zu denken. Nach oben oder unten weiterzudenken. Das finde ich einen wahnsinnig schönen Arbeitsprozess.
Die Dinge die du aufmalst, sind das dann direkt Kameraeinstellungen? Oder einfach visuelle Inspirationen für dich?
Unterschiedlich. Es ist auch immer davon abhängig wie man eine Kameraeinstellung begreifen möchte. Jetzt wird es irgendwie sehr deep, aber ich finde das spannend sich von klassischen Einstellungen die man kennt zu befreien und sich davon wegzubewegen. Und vielleicht wirklich die Impression die man hat, die zum Beispiel von einem Gemälde oder einer Landschaft kommt, zu einer Kameraeinstellung macht. Ich kann nicht so gut technisch Denken, da verliere ich immer ganz viel für die Situation, wenn ich mich zu sehr auf das Medium fokussiere. Ich versuche mir da einen Freiraum zu lassen und dadurch entstehen neue Ansätze, wenn man die dann mit einer Person bespricht die tatsächlich hinter der Kamera steht. Das ist auch das Schöne daran, dass es immer ein Produkt mehrerer Personen und Ideen ist, die dann zusammenkommen.
Ist das verschwimmen von Grenzen und die dadurch entstehende Offenheit dann Basis deines Prozesses?
Das hast ziemlich gut zusammengefasst. Für mich ist der Prozess eigentlich auch das Werk. Was ja auch die Grundlage des Essays ist. Der Versuch, eine Erkenntnis festzuhalten und zu verarbeiten und weiterzugehen und zur nächsten Stufe des Prozesses zu gelangen. Der Weg ist das Ziel (lacht).
Der deutschsprachige Film
Jan Böhmermann hat ja vor ein paar Wochen ein Video rausgebracht, indem er die Strukturen der deutschen Filmlandschaft offengelegt und erklärt hat. Was mir bis dato nicht bewusst war ist, dass die ganzen Entscheidungen welche Filme gefördert und produziert werden eigentlich in der Hand von ein paar wenigen Leuten liegt. Wie stehst du zum deutschen Film?
Heiße Frage. Ist ein großes Thema. Der deutsche Film wird ja oft als das Schmuddelkind der Medienlandschaft dargestellt. Auch ich, als werdende Filmschaffende, sehe mich nicht im deutschen Film. Ich denke aber nicht, dass die deutsche Filmlandschaft weniger gut ist als andere. Sie ist nur nicht so sichtbar. Wie das Jan Böhmermann schön erklärt hat, sind die Strukturen wahnsinnig verkrustet. Das hängt auch damit zusammen, dass der deutsche Film von der GEZ finanziert wird und auch für Leute gemacht wird die Fernsehen gucken. Und das bin ich nicht. Auch spannend, dass wir alle diese Gebühr zahlen und damit diese Projekte fördern die wir alle super schlecht finden. Und trotzdem noch Netflix und Prime und andere Anbieter zusätzlich finanzieren, deren Medien wir dann konsumieren. Ich denke es ist ein Prozess, die Medienlandschaft irgendwo so zu verändern, dass da mehr Bewegung reinkommt und den Stimmen die gerade nicht so gehört werden eine größere Plattform bietet.
Was ich wahnsinnig empfehlen kann, ist sich deutsche Filmfestivals anzuschauen. Da gibt es tolle Plattformen.
Du hast das Thema Sichtbarkeit angesprochen. Bist du der Meinung es gibt so eine Art Subkultur im deutschen Film? Und dem gegenüber stehen quasi die 500 Til Schweiger und Matthias Schweighöfer Filme, die ja auch ihre Daseinsberechtigung haben. Aber wenn ich zum Beispiel an Maren Ade (Toni Erdmann) oder Christian Petzold (Undine) denke, das sind ja international auch richtige Steckenpferde, aber die man oft garnicht auf dem Schirm hat.
Absolut. Aber ich glaub vieles liegt auch an dem Anspruch was möglichst Gefälliges zu zeigen und dem Kinozuschauer nicht zu viel zumuten zu wollen. Das ist ein Kreis aus dem es sehr schwer ist auszubrechen, wenn man sich da erstmal reinbewegt hat. Ja, diese Subkultur ist einfach noch so klein oder nicht Sichtbar, weil unser Anspruch an die Medien auch irgendwie „klein“ ist. Welche Aufgabe ein Film eigentlich erfüllen soll, wenn ich ihn sehe. Gucke ich einen Film, weil er mich unterhalten soll und meinen Abend angenehm füllen, so dass ich abschalten kann? Oder hebe ich den Film wieder in die Bildende Kunst und sehe ihn als gesellschaftlichen Spiegel der etwas in mir bewegen soll? Dass ist auch krass verwoben mit unserem jeweiligen Medienkonsum, weil die Welt einfach so voll mit Bewegtbildern ist. Diese flachen Entertainment-Filme sind ja das Ergebnis davon, dass man garnicht so viel konsumieren kann das einen die ganze Zeit fordert. Je mehr wir konsumieren, desto flacher wird eigentlich auch der Input.
Es hängt immer davon ab, mit welchem Anspruch ich gucke.

Die Aufgabe des Films
Das war tatsächlich schon meine nächste Frage. Welche Aufgabe sollte Film für Dich erfüllen? Auch aus deiner Sicht als Filmschaffende, welchen Anspruch hast Du?
Das Ding ist, ich gucke einfach sehr wenig Filme. Das hat mir auch in meinem Studium teilweise zu schaffen gemacht, weil ich garnicht richtig mitreden konnte über Klassiker oder was gerade im Kino läuft. Weil ich das wahnsinnig anstrengend finde, zweieinhalb Stunden so intensiv mich auf eine Bild- und Erzählwelt einzulassen. Das ist eigentlich eine wahnsinnige Verantwortung die ich da eingehen muss, mir gegenüber (lacht). Deshalb tue ich mir wahnsinnig schwer auch Filme zu Ende zu schauen. Aber aus meiner persönlichen Sicht, hat Film die Aufgabe zu erfüllen nicht zu lang zu sein. Ich finde das ist schon krass, zwei Stunden seines Tages in eine Idee zu investieren. Aber was der Film vor allem übernehmen sollte, ist etwas zu hinterlassen. Ich denke, das macht auch einen guten Film aus. Alle Filme die ich empfehlenswert finde, zeichnen sich nicht durch eine besondere Kameraführung oder ein besonderes Set aus, sondern durch das was bleibt. Den Einfluss, den der Film dann Tage, Wochen, vielleicht auch Monate danach auf mich hat. Es gibt Filme, die habe ich vor zwei Jahren gesehen und ich muss trotzdem noch immer an sie denken. Die haben mich geprägt und geformt. Das finde ich sollte mehr im Vordergrund stehen als Bewegtbild zu konsumieren, welches mich eigentlich eher stumpf macht. Ein Film sollte das Kriterium erfüllen sich vorher mit der Fragen auseinandergesetzt zu haben „Was möchte ich gerade zeigen und warum möchte ich es gerade zeigen, warum bin ich da?“.
Das ist so eine wichtige Aussage! Auch unabhängig ob Film jetzt das Medium ist oder etwas anderes.
Es gibt so einen Fluss an Medien und Ideen und Impressionen, Bildern und Geräuschen. Das ist so viel irgendwie und ein Loch ohne Boden. Und dadurch passiert es, dass sich die Sachen plötzlich aneinander angleichen. Wenn ich durch mein Instagram Feed swipe, ich kann nicht unterscheiden wie viele verschiedene Werbungen ich bekomme, die aber alle die gleichen sind. Es alles so eine Menge. Genau das selbe mit Content den man selber kreiert. Auch als Filmschaffende*r denke ich, dass man da mit seinem Tatendrang runtergehen darf und sich vielleicht eingängiger damit beschäftigt, was man in die Welt hinausträgt und wieso.
Im Anbetracht dem was du gerade gesagt hast und was den Aufstieg des Videoformats in den Sozialen Medien angeht: Welche Rolle spielt der Film heute in unserer Gesellschaft? Das ist eine sehr große Frage, deshalb vielleicht besser so: Was würdest du dir wünschen, welche Rolle der Film spielt?
Ich würde mir wünschen, das Film wieder bewusster konsumiert wird. Und weniger ein Zeitvertreib als eine Erfahrung ist, auf die man sich einlassen kann. Vielleicht so wie als wenn man ein Kind war und ein wahnsinniges gutes Buch vorgelesen bekommen hat. Dass das wie ein Gedankenort ist, an den man sich begeben kann aber an dem man sich nicht einsperrt, so wie das jetzt gerade ist wie zum Beispiel beim Serien schauen.
Ich habe die Tendenz immer alles Zusammenzufassen. Also praktisch, ist das eine für dich die Wertschätzung von Film an sich und das andere das Film ein Startpunkt wieder ist, für mehr Konversation im Allgemeinen, oder?
Ja! Was es im Moment für mich tut, ist das der Film eigentlich die krasse Überspitzung einer Fotografie ist welche noch mehr Sinne anspricht und noch mehr Aufmerksamkeit fordert und generiert. Was ich wünschenswert fände, ist es sich davon wieder etwas loszulösen.
Und was wünschst du Dir für die Zukunft?
Zeit.
*Nun bin auch ich wieder aus der Sommerpause zurück. Und aus “Zwischen Neugier und Bewunderung“ ist währenddessen “FUTURA BOLD“ geworden. Eigentlich bleibt Alles beim Alten, außer, dass sich der Themenschwerpunkt etwas geändert hat. Die Podcastfolge Anfang des Jahres mit Chris Woods über das kreative Arbeiten kam so gut bei Euch an, dass es jetzt bei FUTURA BOLD gezielt darum gehen soll. Ich werde mich fortan also mit Künstler*innen und Kulturschaffenden aller Art unterhalten, sie zu ihrem Prozess und jeweiligen Medium befragen und ab und an vielleicht auch über Lieblingsmemes oder die Zukunft sprechen.
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Ein Interview von Mara.
Mara ist 24, Crossmedia Publishing Studentin und Fotografin. In ihrer Freizeit ist sie Hundesitterin für einen Chihuahua namens Holly. Vermutlich ist sie die einzige Person auf Erden, die keinen geschmolzenen Käse mag. Sie lebt in Stuttgart und Kalmar.
In Ihrer Kolumne FUTURA BOLD, unterhält sie sich mit Personen aus Kunst und Kultur über verschiedensten Themen. Die Gespräche erscheinen auch als Podcast auf Spotify und Apple Podcasts.