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Trans*, Gesellschaft & Outing mit Paul Ninus Naujoks #ZwischenNeugierundBewunderung

Vor einiger Zeit habe ich mich mit Paul Ninus Naujoks unterhalten. Paul ist Schriftsteller, Musiker, Künstler und Aktivist aus Kiel. Unter anderem hat er mir erklärt, was man beachten sollte, wenn sich eine Person als trans* outet und wie individuell Wege zur geschlechtlichen Transition aussehen können. Aber auch wie wichtig Sprache in diesem Zusammenhang ist.

Was bedeuten die Worte Transgender, Transsexualität, Transidentität, Trans* und Transgeschlechtlichkeit eigentlich? Und wie unterscheiden sie sich voneinander?

Was ich generell zu allen Begrifflichkeiten in der Trans*-Community und zum Thema Trans* sagen kann: Es gibt Fremdbezeichnungen und Selbstbezeichnungen. Transsexualität ist zum Beispiel eine Fremdbezeichung, die aus dem medizinisches Bereich kommt. Und hat mehrere Hürden in der Begrifflichkeit. Es gibt aber Trans*personen, die es als Selbstbezeichnung benutzen. Da ist wichtig zu sehen, dass wir unterschiedliche Zugänge haben, unterschiedliche Möglichkeiten, uns damit auseinanderzusetzen. Im medizinischen Bereich wird halt oft Transsexualität oder Transsexualismus verwendet. Das ist eine Fremddiagnose, die zwischen „gesunden“ und „nicht gesunden“ Menschen unterscheidet. Es ist eine starke Pathologisierung, die damit einhergeht. Die Problematik, die ich persönlich dabei sehe, ist, dass wir Sexualität mit in dem Begriff haben. Darum geht es ja per se nicht, sondern um eine geschlechtliche Identität die nicht zwangsläufig mit der sexuellen Orientierung zu tun haben muss. Bei dieser Begrifflichkeit wird das oft in einen Pott geschmissen. Der Begriff ist auch schon ziemlich alt, auf jeden Fall älter als das sogenannte Transsexuellengesetz. Also über vierzig Jahre.

Transgender kommt ja aus dem englischsprachigen Bereich. Das bezieht sich ja schon auf das Geschlecht (Gender). Finde ich persönlich schöner. Aber ich bevorzuge die Bezeichnung Trans*. Das gibt es mit und ohne Sternchen, ohne ist schon etwas älter. Mit Sternchen ist einfach noch etwas offener, denn wenn wir über Trans* sprechen, dann ja auch immer über ein Spektrum. Es gibt super viele Variationen von Trans*-Selbstbezeichnungen. Es ist wie ein Regenschirm unter den ganz viele Sachen fallen. Deshalb finde ich Trans* mit Sternchen schön, weil es auch zeigt, dass es dieses Spektrum gibt. Ich benutze es auch als Adjektiv, weil es eine Sache von vielen ist. Wenn wir es als Nomen betrachten, wie jetzt bei Transsexueller oder Transmann, dann hat das so eine Macht. Dann bist du halt eine Transperson, aber nicht viel mehr. Du kommst dann aus der Rolle nicht raus. Das hast du beim Adjektiv halt nicht. Viele Adjektive machen eine Person aus und dazu zählt halt unter anderem auch das trans sein.

Vielleicht wäre es auch mal gut trans* an sich zu definieren. Das kommt aus dem lateinischen und heißt einfach nur „jenseits“. In diesem Falle jenseits der Zweigeschlechtlichkeit. Das Geschlecht einer Transperson passt nicht zu dem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht. Also es liegt jenseits der Geschlechtszuordnung die wir spätestens bei der Geburt bekommen. Warum spätestens? Oft wird ja schon in der Schwangerschaft geschaut, welches Geschlecht der Embryo hat. Trans* sagt einfach nur: Es ist jenseits dieser Fremdzuschreibung.

Cis kommt auch aus dem lateinischen und heisst „diesseits“, also die Annahme der Zweigeschlechtlichkeit oder die Annahme des zugewiesenen Geschlechts. Transgeschlechtlichkeit heisst dann einfach jenseits der geschlechtlichen Zuordnung die vorher passiert ist.

Sprache & Pronomen

Ich wohne auf dem Land. Da höre ich öfter so Sachen wie „Sie war früher ein Junge“ oder „Er war früher ein Mädchen“ und auch allgemein, ich glaube das Wort „Pronomen“ kennt man hier garnicht. Wie wichtig ist Sprache in diesem Zusammenhang?

Super wichtig. Sprache im Allgemeinen ja sowieso. Für mich aus schreibender Position heraus auch nochmal. Pronomen, das haben wir ja alles im Deutschunterricht. Das sagt ja eigentlich nur, wie über eine Person gesprochen wird. Also wenn in der dritten Person über eine Person gesprochen wird. Es etabliert sich ja so langsam gesellschaftlich, dass auch gefragt wird, dass du dich mit deinen Pronomen vorstellst. Aus dem Aspekt heraus, dass du es einer Person nicht zwangsläufig ansehen kannst mit welchen Pronomen sie zu benennen ist. Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, Pronomen für sich zu benutzen. Da haben wir klassisch (ich sage klassisch weil das in unserer Gesellschaft immer noch dominierend ist) sie/ihr und er/ihm, they/them, xier gibt es auch, und auch, dass gar keine Pronomen verwendet werden sollen. Wenn du sagst du kommst vom Land und dass die Menschen garnicht wissen was ein Pronomen ist: Wir verwenden sie ja im Alltag. Ich glaube die Überforderung kommt daher, dass wir verlernt haben: Was ist die Funktion eines Pronomens und was beschreibt es eigentlich? Und dann gleichzeitig auch: Wir sind alle in einer zweigeschlechtlichen Mann/Frau-Gesellschaft groß geworden. Dann die Hürde zu überwinden, dass es da vielleicht noch mehr gibt, das ist glaube ich eher die Schwierigkeit, die da dahinter steckt. Und das „war früher ein Mann/war früher eine Frau“ stimmt ja so nicht. Klar hat die Person eine Zeit lang in dieser Rolle gelebt oder wurde so sozialisiert. Aber das sagt ja nichts darüber aus, wie die Person wirklich ist. Wenn man es korrekt sagen wollen würde, dann: Die Person hat dieses oder jenes Geschlecht bei der Geburt zugeschrieben bekommen. Ich zum Beispiel war vor meinem Outing auch schon trans*, ich bin es ja nicht erst durch mein Coming- Out geworden, ich bin es mein Leben lang schon gewesen.

Ich finde Sprache darf nicht ausgrenzen. Jetzt ist es aber so, dass die deutsche Sprache nicht geschlechtsneutral ist. Und die ganze Diskussion um das Gendersternchen wird langsam so absurd. Ich habe gelesen, dass das Gendersternchen in französischen Schulen ganz verboten wurde. Auch in Deutschland gibt es solche Diskussionen. Die Fragen, die du mir hier beantwortest, das könnte ja auch Aufgabe der Schule sein und des Bildungssystems. Siehst du das auch so? Oder findest du, dass das explizite behandeln der Thematik das eher so zu einem Alien-Ding macht?

Das ist jetzt viel in einer Frage. Zum Bildungssystem: ja natürlich. Wir sind aber einfach gesellschaftlich noch nicht an einem Punkt wo das angenommen wird. So garnicht. Dabei wäre es wichtig. Gerade was Bildung im Jugendalter angeht. Wir können Fortschritte gesellschaftlich erst erzielen, wenn wir die Folgegeneration da irgendwie hinführen können. Es wäre super super wichtig, mehr Literatur in der Schule auch zu queeren und trans* Themen zu lesen. Sei es Fiktion oder nicht Fiktion. Auch im Geschichtsunterricht, dass wir da queere Themen miteinbeziehen. Sei es Stonewall, die Homosexuellenbewegung die von schwarzen Transfrauen miterkämpft worden ist. Sexualunterricht zum Beispiel: Was wird uns da beigebracht, was wird uns da zu Sex und Geschlechtern und Vielfalt gesagt? Da passiert super wenig. Und wir sind als Gesellschaft ja erst an dem Punkt, wo das langsam in den Diskurs kommt. Je nach Bildungssystem und Land sieht das natürlich unterschiedlich aus, aber wenn wir uns die Gesamtsituation angucken: In Polen wo es LGBTQ-freie Räume gibt, wo man garnicht hindarf. In anderen Ländern wo Folter, Ermordung, Verfolgung etc. da ist. Also ich glaube wir sind gesellschaftlich noch nicht an dem Punkt, obwohl es super super wichtig wäre, das ins Bildungssystem mitaufzunehmen.

Die richtige Unterstützung

Es ging mir selbst so in meinem Umfeld, dass jemand Gedanken geäußert hat und sich nicht mehr in seinem Körper sehen konnte. Ganz viel Unsicherheit und Angst da war. Wie kann ich als nahestehende Person am Besten unterstützend sein? Und wo gibt es Trigger bei denen ich sensibel sein sollte? Das ist natürlich eine sehr subjektive Frage, aber vielleicht auch garnicht so subjektiv.

Bei dem ganzen Gespräch jetzt ist es erstmal wichtig auch nochmal zu sagen, dass ich ja auch nur aus meiner Perspektive sprechen kann. Was so oder so immer ist, wenn eine Person den Weg der Selbstfindung geht, und sei es das Hinterfragen der gesellschaftlichen Geschlechterordnung, ist das Unsicherheiten auftreten. Das ist völlig normal Unsicherheiten zu haben, egal in welchem Kontext. Die gibt es einfach. Wenn dann eine Person im näheren Umfeld ist, die Unsicherheiten aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder ähnliches hat, dann ist das Wichtigste erstmal, dass diese Person ernst genommen wird. Auch mit ihren Unsicherheiten. Dass da kein Abspruch passiert. Was schnell passiert ist: „Du bist unsicher, das ist jetzt nur eine Phase“. Solche Aussagen geben einer Person das Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden. Dadurch fühlt man sich oft alleine. Und das ist das Schlimmste, wenn man Unsicherheiten in sich trägt und vor allem, wenn es um Geschlechtsidentität geht. Das ist ein sehr sehr steiniger Weg, der viel support braucht. Der kann ganz unterschiedlich aussehen. Was ich gerne immer Menschen mit an die Hand gebe ist: Fragt die Person, was sie braucht. Mit welchem Namen, mit welchen Pronomen will die Person angesprochen werden? Will sie auch, dass man unteren anderen Menschen Namen und Pronomen verwendet? Oder ist das erstmal ein geschützter Raum, wo der Namen und Pronomen nur zwischen euch stehen. Da geht es viel um Bedürfnisse. Womit fühlt sich die Person wohl, womit nicht. Was immer in die Hose gehen kann, sind Vergleiche. Dadurch wird das irgendwie auch wieder nicht ernstgenommen. Oder wenn man sagt: „Ach, das hab ich mir schon gedacht, das war bei dir ja schon immer irgendwie so“, dadurch fühlt sich die Person auch nicht ernstgenommen. Wenn eine Person am Anfang des Prozesses steht, dann ist das ein Start ins Ungewisse. Im Nachhinein kann ich für mich sagen, das es wie so ein kleiner Geburtstag war. Weil man aus sich rauskommt, sich selbst Raum gibt und Raum zu dem Weg zu sich hin. Das lässt sich am Besten einfach zelebrieren. Was super schön ist, ist wenn z.B. ein Coming Out-Paket gemacht wird. Mit Literatur, Filmen, einem Binder, Packer. Einfach Tools, die vom Freundeskreis geschenkt werden.

Es ist alles sehr vom Individuum abhängig, aber am Wichtigsten ist es, die Person ernst zu nehmen und zu gucken was sie braucht. Aber das auf keinen Fall ein Abspruch passiert oder ein ungewolltes Fremd-Outing.

Die Sache mit dem Coming Out

Wie verändert sich die Situation wenn sich die Person dann als trans* outet?

Auf welcher Ebene ist die Frage.

Für die Person selbst und als außenstehende Person. Wie muss sich meine Unterstützung dann als nahestehende Person verändern?

Es ist auf der einen Seite eine Selbstermächtigung. Und der Weg hin zu einer Besserung, was die Beziehung der Person zu sich selbst ausmacht. Auf der anderen Seite aber auch ein klarer gesellschaftlicher Abstieg von Privilegien. Das kann ja bis hin zum Jobverlust gehen, zu Gewaltäußerungen und Diskriminierung. Das hat natürlich innere und äußere Umstände mit sich. Wenn wir die Repräsentation von Transpersonen in den Medien betrachten, gibt es immernoch in Filmen und Serien ein sehr negativ konnotiertes Bild. Das macht natürlich auch viel mit der Psyche, wenn zum Beispiel gezeigt wird, dass eine Transperson sichtbar wird in einem Film und die Reaktion darauf ist, dass sich übergeben wird. Das verursacht ganz viel inneren Schmerz und Unsicherheit. Der support darin liegt dann auch der Person immer wieder zu sagen und zu zeigen „Du bist gut so wie du bist, ich hab dich gern so wie du bist“. Gleichzeitig ist es aber auch einfach ein harter Weg, bei dem viel gesellschaftlicher Ausschluss passiert. Und da dann halt auch laut zu werden und Stimme zu ergreifen. Es kommt auch ein bisschen darauf an, wo die Person lebt. Eher im ländlichen Bereich oder in einer Stadt wie Berlin.

Ich manchen Diskursen lässt sich beobachten, dass ein Coming-Out eher als unnötig deklariert wird. Weil dann auch mitschwingt, warum man sich denn überhaupt noch outen muss. Ist doch alles normal und gut. Und dass man sich durch ein Outing nur selbst in eine Kategorie reinmanövriert. Ich glaube, dass wir gesellschaftlich noch nicht so weit sind, wird oft vergessen. Und dass die Realität, die du gerade dargestellt hast, oftmals auch anders aussehen kann.

Ja, es ist eine absolute Ambivalenz was Coming-Out im Allgemeinen angeht. Eine cis-hetero Person kommt jetzt nicht unbedingt in die Situation sich zu outen, weil es als Norm so gegeben ist. Wenn sich dann gleichzeitig keine queeren und Trans*personen outen, dann kann auch keine Sichtbarkeit stattfinden. Dann kann auch nicht darauf hingewiesen werden, dass Diskriminierung stattfindet. Deswegen haben wir da eine starke Ambivalenz.

Individuelle Wege und Bedürfnisse

Wie geht es dann weiter aus medizinischer und behördlicher Sicht? Also was Namensänderung und Hormontherapie angeht. Was ist eigentlich überhaupt meine erste Anlaufstelle?

Das kommt ganz drauf an was die Person für sich braucht. Es müssen keine Hormone eingenommen werden, es muss keine Operation stattfinden. Es gibt auch nicht die Operation, das funktioniert so nicht. Es gibt die unterschiedlichsten Varianten einer geschlechtlichen Transition. Seit 2011 haben wir es zum Glück nicht mehr so, dass sich Trans*personen sterilisieren müssen, das ist zum Glück abgeschafft worden. Aber einen einheitlichen Fahrplan dafür gibt es nicht. Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus war es so, dass ich erstmal in Sexualtherapie gegangen bin und dann erstmal einen Alltagstest durchgeführt habe. Ohne Hormonzufuhr oder operative Schritte, habe ich angefangen, in der Gesellschaft die Geschlechtsidentität zu leben, in der ich mich wiederfinde. Das heißt dann aber auch, dass ich von der Gesellschaft in eine andere Schublade gesteckt worden bin. Beispielsweiße als homosexuelle Frau, die dann auf die Männertoilette gehen musste, weil das der Alltagstest vorbestimmt. Nach diesem Alltagstest kommen dann psychologische Identifikationen. Dann kann man ein Schreiben vom Endokrinologen bekommen, dass man seine Hormontherapie beginnen kann, wenn man das möchte. Da gibt es unterschiedliche Sachen wie das Gel oder die Spritze. Das kann jeder für sich selbst entscheiden. Ich selber nehme die Spritze alle zwölf Wochen. Der medizinische Bereich ist dann nochmal separat von der Personenstandsänderung. Da braucht es aber trotzdem auch den Alltagstest und psychische Gutachten, zusätzlich ein unabhängiges Gutachten und ein Gerichtsverfahren bei dem die Kosten selbst zu tragen sind, wenn kein Antrag auf eine Kostenübernahme gestellt wird. Das ist ein langwieriger Prozess, von fremdbestimmten Diagnosen notwenig, um das in Kraft zu bringen.

Was wünschst du dir für die Zukunft? Kann auf alles bezogen sein.

Oh vieles! Von einem Selbstbestimmungsgesetz bis hin zu mehr Sichtbarkeit von Trans*-Themen und Transpersonen. Was oft gesagt wird ist, dass das ein „neumodisches“ Ding ist – das ist es nicht, wir haben es nur verlernt. Ich wünsche mir, dass wir wieder Dinge neu lernen für unsere Gesamtgesellschaft. Dass wir es schaffen, Diskriminierunsstrukturen abzubauen, sei es Transfeindlichkeit oder Rassismus. Dass wir das Stück für Stück aus unserer Gesellschaft rausbekommen. Für mich persönlich: die Mastektomie, die Brustabnahme. Auf der anderen Seite auch, dass wir viele schöne Literatur noch in den nächsten Jahren bekommen, was wir jetzt ja teils auch schon haben. Und dass für mich persönlich der literarische Weg weitergeht. Ach so vieles. Es ist noch viel zu tun, würde ich sagen.

Hier könnt ihr Paul auf Instagram finden. 

Mara ist Crossmedia Publishing Studentin, Fotografin und Hutmacherin. Sie lebt in Stuttgart und Kalmar.

In ihrer Kolumne Zwischen Neugier und Bewunderung unterhält sich Mara mit Menschen aus Kultur, Gesellschaft und Politik. Irgendwo zwischen Neugier und Bewunderung, Nähe und Distanz, treffen sich die Charaktere meist im virtuellen Raum.

Gestaltet von Linda. Sie ist Grafikdesignerin und brennt für gute Gestaltung. Sie arbeitet gerne konzeptionell und legt den Fokus auf aussagekräftige Illustrationen. Neben Kunst und Design, liebt sie die Berge, Kaffee und ihr rotes Fahrrad Michl. Außerdem gibt sie definitiv zu viel Geld für Schreibwaren aus.

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