Im Zuge unserer Medien-Kooperation mit der TINCON durften wir Dominik und Zuher vom BBQ (Black Brown Queeren)-Podcast interviewen! Den beiden ist es ein Anliegen, BIPoC & queere Perspektiven durch ihre Arbeit mehr in den öffentlichen Diskurs zu rücken.
Falls ihr neugierig nach dem Interview geworden seid, geht’s hier zu ihrem Podcast!
Emi: Stadt oder Land?
Dominik: Stadt!
Zuher: Stadt. Zumindest jetzt. Also wer weiß? Aktueller Status: Stadt.
Imina: Ihr macht ne Grillparty in 2021. Wen oder was roastet ihr auf den Grill?
Zuher: Uhh. Ich roaste die AfD. Und zwar literally. Ich will einige von denen wirklich auf den Grill packen und einfach nur brutzeln sehen (lacht). Ey, das Magazin heißt doch TIERINDIR, das ist meine animalische Ader!
Dominik: Ja, ich glaube ich roaste Vorurteile.
Emi: Was hilft Euch durch den nächsten Lockdown?
Dominik: Tatsächlich habe ich die Zeit genutzt, um ganz viel Podcasts zu hören. Zum Beispiel „Halbe Kartoffel“ oder „Feuer und Brot“, „Die Realitäter*innen“ oder auch „Paardiologie“. Und ich hab tatsächlich auch wieder angefangen zu lesen, das habe ich davor irgendwie so ein bisschen vernachlässigt.
Zuher: Ich habe auch sehr viel gelesen, Podcasts und Nachrichten gehört. Das mache ich auch so, aber nochmal verstärkt im Lockdown. Aber auch Sport – einfach als Selbstbeschäftigung und zur Selbstreflektion. Irgendwie musste man versuchen, aus dieser Ausnahmesituation auch etwas mitzunehmen. Versuchen, zu entschleunigen, Grenzen setzen und sich zu fragen: Wo bleibe ich eigentlich?
Imina: Wie seid ihr aufgewachsen? Hattet ihr eher einen Moment, in dem ihr gesagt habt: Ich bin queer, oder was das ein Prozess, der sich so entwickelt hat?
Dominik: Also ich glaube als queer habe ich mich erst im Erwachsenenalter bezeichnet. Ich habe schon sehr früh gewusst, dass ich schwul bin. Natürlich ist das immer noch ein Prozess, der erstmal innerlich stattfindet: Sich selbst damit zurechtzufinden, um dann irgendwann damit aus sich herauszugehen. Aber dass ich Jungs interessant finde, das wusste ich schon mit elf oder zwölf.
Imina: Wie war das so in Deinem Umfeld? Obwohl ich auf dem Land aufgewachsen bin, hatte ich immer eine queere Bubble. Aber viele haben ja leider nicht das Glück. Ich habe auch viele Freunde, die sich erst geoutet haben, nachdem sie irgendwie in andere Städte gezogen sind und so.
Dominik: Ja, das war auch bei mir ein schleichender Prozess. Ich bin sehr oft umgezogen. Das heißt, ich war in sehr unterschiedlichen Umfeldern und ich habe mich auch so in meinem Umfeld so Stück für Stück geoutet. Zuerst vor meinen sehr engen Freunden, das war dann so mit 16. Und als ich dann mit 18 ausgezogen bin, habe ich mich auch bei meinen Eltern geoutet. Aber so richtig frei entfalten konnte ich mich erst in der großen Stadt. In der Kleinstadt gab’s auch queere Orte, aber ich habe mich da auch als BiPoC [Black, Indigenous and People of Color] nie so richtig gesehen gefühlt. Wirklich aufgegangen bin ich zuerst in Hamburg und dann in Berlin.
Emi: Vielleicht hängt ein Outing auch mit persönlichen Extremsituationen zusammen, weil die Leute sich auch selbst besser kennenlernen? Wie zum Beispiel beim Umzug, Trennung oder Lockdown. Wie seht ihr das?
Zuher: Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Mir ist aufgefallen, dass sehr viele Leute Kinder bekommen haben – mein ganzes Umfeld war gefühlt plötzlich schwanger. Irgendwie stand man durch diese ganze Selbstbeschäftigung vor ganz essentiellen Fragen: Was machen wir jetzt eigentlich, warum wartet man irgendwie auf so einen richtigen Moment? Wie will ich leben? Was ist meine große Aufgabe?
Imina: Würdet Ihr sagen, dass es in 2021 noch wichtig ist, sich zu outen oder ist das eher etwas, das jede Person für sich selbst entscheiden sollte?
Dominik: Ich glaube, es ist nicht grundsätzlich wichtig, sich zu outen. Es gibt Bereiche, in denen ich sagen würde: Oute dich vielleicht lieber nicht – aus Sicherheit. Aber meinem Umfeld kann ich sagen, dass offen queer zu sein und offen schwul zu sein, sehr befreiend ist. Ich habe das Gefühl, wenn ich das nicht offen ausleben und damit umgehen kann, dann unterdrücke ich einen Teil von mir. Ein Outing ist eine individuelle Entscheidung, weil es ist ja auch eine sehr private Sache. Aber ich glaube, wenn man das schafft, dann tut man sich selbst was Gutes, weil man ein Stück mehr man selbst sein kann.
Zuher: Es kommt darauf an, was der Zweck des Outing ist. Will man sich selbst damit erfüllen, dann ist das natürlich toll, wenn man diesen richtigen Moment für sich finden kann. Dass man immer noch von Outing spricht, geht ja auch immer noch mit dem Fakt einher, dass wir immer noch in einer heteronormativen Gesellschaft leben, die Queerness nicht automatisch annimmt. Es ist immer noch eine Hürde, sich als queer zu identifizieren. Ist ein Outing notwendig? Nein. Niemand sollte Märtyrer für eine Community sein. Niemand sollte so etwas für die queere Community machen. Das sollte nicht Hauptmotor sein, sich zu outen. Hauptmotor sollte Selbstzufriedenheit und Selbsterfüllung sein.
Emi: Ich fand auch sehr schön, was ihr im Talk mit Steffi bei der TINCON besprochen habt: Ab wann outet man sich, gibt es da einen perfekten Moment oder ist mir das selbst überlassen? Es ist auch ein Privileg, sich selbst aussuchen zu können, ob man sich outen möchte. Ich habe gelesen, dass es viele inzwischen bevorzugen, lieber den Begriff Letting People In anstelle von Coming Out zu verwenden. Das ist eine schöne Assoziation, sich anderen Leuten anzuvertrauen, wobei die Macht bei mir selbst bleibt und ich entscheiden kann, wann ich Leute reinlasse.
Dominik: Ja total. Zuher ist auch der Erste, der mich darauf gebracht hat, als er gesagt hat, dass er das so bevorzugt. Das hat total Klick gemacht bei mir. Und ich führe das jetzt auch so ein.
Imina: Coming Out fühlt sich auch immer so einmalig an und Letting People In ist flexibler. „Man hört nie auf sich zu outen“ wird ja immer gesagt und es ist doch total schön, wenn man stattdessen Leute, die man kennenlernt, einfach immer weiter mit reinlässt.
Emi: Wie eine Einladung!
Dominik: Kein Hetero kommt in einen Raum und sagt „Hallo, ich bin hetero“ – Warum sollten wir uns outen? Das kommt dann halt in Situationen, in denen man sagt: „Okay, ich möchte, dass du einen Teil von mir siehst und erfährst, der privater ist.“
Zuher: Für mich ist das auch eine schönere Vorstellung, Leute eher einzuladen, ihnen Zugang und Erlaubnis zu meiner Welt zu geben und ihnen auch Fragen zu erlauben. Ein Coming Out kann schnell auch zu grenzüberschreitenden, unangenehmen Situationen führen, in denen dann Fragen gestellt werden, die man nicht unbedingt beantworten möchte. Und ein Letting In suggeriert ein “Wir vertrauen und respektieren uns“ und dabei können dann auch Grenzen besser gesehen und respektiert werden.
Imina: Die Kluft zwischen queeren Räumen und anderen Gesellschaftsrealitäten ist ja noch immer ziemlich groß. Durch Social Media vergrößert bzw. verkleinert sie sich zusätzlich – je nachdem. Was kann dagegen getan werden? Was können wir tun, um diese Kluft zu verkleinern?
Zuher: Ich würde die Frage in zwei Aspekten beantworten. Es gibt für mich zwei große Kluften: in der Mitte ist Queerness. Die eine Kluft nach rechts zur Mehrheitsgesellschaft, in der Heteronormativität existiert. Wo es immer noch gewisse Aversionen und Vorurteile gegenüber queeren Menschen gibt. Und es gibt noch eine Kluft in die andere Richtung, zu anderen marginalisierten Gruppen in der Community. Wenn wir an Queerness denken, dann denken wir oft immer noch automatisch an weiße queere Jens Spahns. Weiße, schwule Cis-Männer, die immer noch den Ton in dieser ganzen „queeren Community“ angeben (falls sie sich überhaupt mit ihr identifizieren): Weil sie Geld und Zugänge zu Macht haben. Viel verändert sich da, vieles wird intersektionaler. Doch Diversity, Racial Equality usw. können für die „Mainstream-queere-Bubble“ auch nur ein Trend sein und man muss da darauf achten, dass Dinge auch ernsthaft wahrgenommen und aufgenommen werden. Es gibt diese verschiedenen Kluften, wobei Queerness in der Mitte existiert.
Aber auch queere Menschen können sich da ihrer Verantwortung nicht entziehen. Auch sie können sowohl Opfer von Queer-Feindlichkeit als auch Täter*innen im Bezug auf andere Diskriminierungsformen sein. Da haben queere Menschen auch die Verantwortung, ihr Handeln zu reflektieren. Das, was queere Menschen der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft zutrauen oder sich von ihr wünschen, müssen sie für andere marginalisierten Gruppen auch selbst tun. Zum Beispiel von Rassismus betroffenen Personen oder Menschen, die innerhalb der queeren Community diskriminiert und unterdrückt werden.
Emi: Eine Person kann unterdrückt sein und selbst unterdrücken. Das sind manchmal Mechanismen, gar nicht auf Anhieb ersichtlich sind.
Zuher: Ich weiß gar nicht, wer es gesagt hat, aber das nennt man Kaleidoskop. Immer wenn man es ein bisschen dreht, verändert sich die ganze Zusammenstellung.
Emi: Hattet ihr früher queere Vorbilder in den Medien, die positiv besetzt waren?
Dominik: Nein, tatsächlich habe ich queere Vorbilder in den Medien erst mit 12 oder 13 wahrgenommen. Da gab es einen Rapper aus den Staaten, der hieß Cazwell – da habe ich das erste Mal mit einer queeren Persönlichkeit gebonded. Davor ging die Identifikation eher über Hautfarbe. Über R&B und Hip Hop, wo ich meine Idole hatte: TLC, Aaliyah, Destiny’s Child, Jay-Z, Puff Daddy. Das waren PoC, die in den Medien gefeiert wurden. Queere Sachen waren dann leider eher sowas wie „Der Schuh des Manitu“, wo queere Menschen durch den Kakao gezogen wurden und damit konnte ich mich dann auch nicht identifizieren.
Zuher: Das war bei mir so ähnlich. Bei mir gab es jetzt auch keine queeren Vorbilder als Jugendlicher. Ich bin in Saudi-Arabien aufgewachsen, Queerness existierte dort förmlich einfach nicht. Dadurch gab es auch keine Sprache oder Vorstellung davon, was das bedeuten könnte, was queere Menschen sonst noch machen können, außer verboten und der Todesstrafe ausgesetzt zu sein. Eine andere Vorstellung existierte sehr lange für mich nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man offen queer und trotzdem erfolgreich sein kann. Es gab natürlich genug Leute, die man kannte, aber ich konnte mich nicht mit ihnen identifizieren. Das waren keine Vorbilder für mich, das waren schwule Typen, die teilweise fast abstoßend auf mich gewirkt haben, weil ich mich so nicht gesehen habe. Ich will denen das nicht vorwerfen, weil ja Teil eines total kaputten Konstruktes von Cis-Heteronormativität ist. Aber für mich hat ihre Performance oder Darstellung das bei mir verstärkt, mich mehr zurückzuziehen.
Emi: Ich denke da immer an Diskussionen über Repräsentation und Sichtbarkeit und wie gefährlich es sein kann, wenn es die eine queere oder die eine schwule Person gibt, die dann stellvertretend für alle stehen soll.
Dominik: Aber was ich zB. an Daniel Küblböck und Ross Anthony bewundere, ist, dass sie einfach immer sie selbst waren. Dass sie nie etwas darauf gegeben haben, was andere von ihnen denken und zu ihrer flamboyanten Art gestanden haben. In einer (schwulen) Welt, in der alles möglichst männlich sein muss, war das sehr schön zu sehen. Gerade auch im Hinblick auf die Entwicklung hin zu den eigenen femininen Seiten, zu denen man vielleicht eigentlich nicht so stehen will.
Es gibt nicht nur das eine Bild von Männlichkeit, sondern verschiedene Formen. Das Problem ist nur, dass da ein riesiger Medienapparat dran hängt und dass in den Medien nur diese eine Form von schwuler Männlichkeit – so eine extravagante, quirky Art – Platz bekommt, weil das auch das ist, was das Mainstream-Publikum erwartet. Für einen pubertierenden Jungen, der sich ganz anders fühlt, ist das natürlich schwierig
Zuher: Oder anders – entweder zur Belustigung oder zur Sexualisierung.
Dominik: Oder als Schwiegermutters Liebling! Wenn man sich anschaut, wer momentan zB bei RTL als schwuler Mann total gefeiert wird, dann ist das eher ein angepasster, weißer schwuler Mann, der nicht aneckt und den man gut den Eltern vorstellen kann. Es braucht Stimmen, die laut sind und Dinge aufzeigen! Natürlich hat jeder Sender jetzt eine queere Person, die er bucht, aber fragt die Person doch mal ob sie Lust hat, mal ein ehrliches Interview darüber zu geben, wie sie als queere Person diskriminiert wird. Wenn es um gesellschaftsrelevante Dinge geht, sind sie ganz schnell ruhig, weil sie wissen: Wenn sie anecken, verlieren sie an Beliebtheit.
Emi: Das knüpft sehr gut an unsere letzte Frage an: Wie steht ihr zu den Entwicklungen der Medien, die wir tagtäglich konsumieren (also Podcasts, Filme, Social Media, Nachrichten…)? Wie seht ihr dort die Zukunft für queere und intersektionale Sichtbarkeit? Gibt es Hoffnung?
Zuher: Das ist eine große Frage! Ich glaube, es sind verschiedene Entwicklungen zu beobachten. Es gibt eine positive Entwicklung von Repräsentation und Thematisierung von Queerness in Radio, TV, zeitungen, Filmen, auch mit dem nötigen Respekt und Sensibilität, die es braucht, um sich dem Thema zu nähern. Gerade auf Social Media passiert da ja sehr viel und die Leute gehen mit. Ich sehe Social Media auch als große Bereicherung, sowohl um queere Stimmen hörbar zu machen, als auch für Allies. Ich glaube aber, dass es genauso eine Gegenentwicklung gibt, die man nicht unterschätzen sollte: Rechte, queer-feindliche Medien – das ist ja vor allem über Social Media, Blogs oder Twitter-Accounts zu verfolgen. Also Öffnung und Liberalisierung auf der einen Seite erweckt sehr oft Gegenreaktionen auf der anderen Seite.
Dominik: Ich glaube, wir stecken da in einer guten Phase der Popkultur: Wenn ich mir vorstelle, ich wäre jetzt gerade jugendlich und würde mich mit Medien wie Netflix oder Amazon Prime beschäftigen und Popmusik hören, dann sehe ich schon eine sehr gute Entwicklung. Ich finde gut, dass queere Charaktere auch zunehmend in Mainstream-Serien auftreten. Das trägt einfach zur Normalität bei: Sowohl, dass man sich repräsentiert sieht, als auch, dass andere Menschen, die in ihrem Umfeld vielleicht keine queeren Personen haben, ein Bild davon bekommen.
Imina: Ich hab auch das Gefühl, dass die Medien lange von oben gemacht wurden und jetzt gerade sehr viel Kleines entsteht und Leute Social Media nutzen um eine eigene Plattform aufzubauen und eine Gruppe zu finden und sichtbar zu sein. Das ist ja das Schöne an der jetzigen Zeit. Man fühlt sich nicht mehr so hilflos und allein, sondern hat mehr das Gefühl, die eigene Gruppe finden zu können und mit denen was ändern zu können.
Emi: Da wird ja wieder der Ur-Aspekt sozialer Medien sichtbar: Soziale Gruppen zusammenführen, Netzwerke aufbauen.
Zuher: Und dass es heute fast unnormaler ist, eine queer-feindliche Haltung zu haben als queer zu sein. Queer-Feindlichkeit bekommt gleich Gegenreaktionen. Da ist eine riesige Wandlung seit unserer Kindheit und Jugend.
Imina: Im besten Falle wird ja Queerness auch nicht so zum eigenen Aushängeschild, sondern ist einfach Teil. Man ist ja auch nicht nur queer sondern man ist eben auch beispielsweise Elektromechanikerin.
Zuher: Voll! Und das Beste ist natürlich, wenn Queerness eine Rolle spielt aber nicht alles definiert. Dass man wachsen kann und Queerness einfach nebenbei existiert. Ein bisschen wie die Frage von BIPOCs in der Politik: Natürlich sind sie wichtig wenn es um Themen wie Rassismus geht und werden dafür natürlich auch eingesetzt. Aber sie sollten auch Verkehrs- und Umweltpolitik oder Tierschutz machen.
_____
Das Foto ist von Andreas Domma.
Collage von Imina.
Das Interview wurde von Imina, Emi & Mara durchgeführt.
Imina ist 24 und studiert in Kassel. Sie arbeitet als Grafikdesignerin und Content Creator auf YouTube und Instagram.
Emi ist 21, studiert und lebt in Berlin. Bei Regen verliert sie sich in Tagträumereien und wird kreativ.
Mara ist…
Hier geht’s zum Tincon-Talk vom BBQ-Podcast mit Steffi Stan!