Du hast am Samstag, den 22. Mai den Talk bei der TinCon “Deutsch oder nicht deutsch – das sind doch alles bürgerliche Kategorien”. Magst du erstmal etwas über dich erzählen, was machst du, was beschäftigt dich gerade?
Ich hab letztes Jahr erst Abitur gemacht und wollte dieses Jahr eigentlich als Orientierung nutzen. Ich habe ein Orientierungsstudium an der Freien Universität Berlin angefangen und Kurse für Gender Studies und Literatur und alles was mein Herz begehrt hat belegt. Aber dieses Online-Format hat fertig gemacht und deswegen nutze ich jetzt das zweite Semester als emotionale Auszeit.
In deinem Beschreibungstext stand, dass du libanesische, russische und italienische Wurzeln hast, dich nicht so mit dem “deutsch sein” identifizierst und dein Herz für New York schlägt, bist du da gerade?
Ich wäre gerade da, wenn kein Corona wäre. Mich mit Deutschland zu identifizieren, fand ich schon immer schwierig. Deswegen bin ich froh in Berlin aufgewachsen zu sein, weil ich hier nicht so gezwungen bin nur eins zu sein. Genau das mag ich auch an New York.
Und was bedeutet “deutsch sein” für dich?
Ich bin zwar offiziell deutsch von der Staatsbürgerschaft her, aber ich habe mich nie mit der deutschen Gesellschaft identifizieren können. Sich nicht nur mit der Kultur, sondern auch den Menschen zu solidarisieren, das macht für mich “deutsch sein” aus.
Was bedeutet für dich der Begriff Heimat?
Ich glaube, ich mache Heimat sehr viel an Menschen fest und nicht so sehr an Orten. Heimat ist für mich das Gefühl, dass ich angenommen werde, so wie ich bin. Ich würde nicht sagen, dass Deutschland meine Heimat ist, sondern Berlin.
In der öffentlichen Debatte und auch in den Begriffen die wir nutzen, gibt es einen großen Unterschied zwischen Menschen, die aus europäischen Nachbarländern nach Deutschland kommen und denen aus dem Rest der Welt. Würdest du dich als Mensch mit Migrationshintergrund bezeichnen?
Ich habe im Kontext der Vorbereitung auf meine TinCon-Talk Vorbereitung meine Meinung dazu nochmal überdacht, weil ich mich mehr mit der fachlichen Seite auseinandergesetzt habe. Wenn die Eltern oder man selbst nicht aus dem Land kommen, “zählt” es als Migrationshintergrund. Ich würde jetzt auch sagen, dass ich einen Migrationshintergrund habe.
Was bedeutet dieser Hintergrund für dich?
Meine Erziehung kann ich nicht als typisch deutsch oder libanesisch bezeichnen, aber ich hab ganz viel Unterschiedliches mitbekommen. Ich glaube aber am Ende des Tages muss das jede Person für sich selbst entscheiden. Auch weil der Begriff im öffentlichen Diskurs eher negativ gelesen wird – obwohl daran ja nichts Schlechtes ist.
Was meinst du müsste sich in der Politik ändern, um offener mit migrantischen Perspektiven umzugehen?
Politiker:innen schaffen es oft sich rauszureden, und die Verantwortung abzugeben. Offiziell sind Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft ja gleichberechtigt. Das Problem ist, dass das in der Gesellschaft nicht so angenommen wird. Mir fehlt, dass Politiker:innen sich gegen Diskriminierungen positionieren. Ich glaube das würde viel am Diskurs ändern.
Wenn du eine Sache ändern könntest an Deutschland, am deutsch sein oder der deutschen Kultur, was würdest du gerne ändern?
Mehr zuhören. Ich denke, dass so Dinge wie die AfD nur entstehen konnten, weil Leute von allen Seiten nicht zuhören. Wenn mehr Menschen Empathie hätten, würden sie verstehen, woher Perspektiven und Verletzungen kommen. Natürlich kann man nicht von Menschen mit Diskriminierungserfahrung verlangen, mit den Verursachern ins Gespräch zu gehen, aber ich kann mir vorstellen, dass bei einem Austausch einiges entstehen könnte.
Meinst du es wäre möglich sowas auch im Bildungssystem zu verankern?
Ich hatte das Thema Diskriminierung tatsächlich ein bisschen in der Schule, aber auch weil ich Glück mit meiner Lehrerin in Politikwissenschaften hatte. Ich hätte mir auf jeden Fall gewünscht, dass das ein verpflichtendes Thema ist und früher unterrichtet wird, zum Beispiel im Geschichtsunterricht oder in Form von Projekttagen.
Würdest du denn gerne weiter in Richtung Antidiskriminierungsarbeit arbeiten?
Unbedingt! Ich habe mich im letzten Jahr mit Rassismus, Gesellschaftstheorien und dem historischen Kontext davon beschäftigt und finde das sehr sehr spannend. Nächstes Jahr beginne ich Psychologie zu studieren und davon ausgehend auf Antidiskriminierungsarbeit zu fokussieren.
Gibt es in der Psychologie viele Schnittpunkte zu Rassismus oder Gesellschaftstheorien?
Das ist von Uni zu Uni unterschiedlich. Ich treffe den Schnittpunkt mehr für mich selbst. Es geht für mich darum, dass ich verstehe wie Menschen generell funktionieren und welche Einflüsse und Erfahrungen einen vorbelasten und wie man mit solchen Informationen umgeht.
Wenn du auf deine eigenen Erfahrungen schaust und meinst, dass du dich nicht deutsch fühlst – hast du das Gefühl dir fehlt was?
Ich hatte lange das Gefühl, dass mir etwas fehlt und ich doch in eine Schublade passen muss. Je älter ich wurde, desto klarer wurde mir, dass mir das eigentlich egal sein kann. Wenn juckt das denn? Ich bin das keinem schuldig, nur weil ich hier geboren wurde.
Wie sieht die “typisch” deutsche Schublade für dich aus?
Bei der Frage, muss ich an etwas denken, was Lehrerinnen von mir oft gesagt haben: “Pünktlichkeit, das ist die deutsche Tugend. Strengt euch mehr an, ihr seid ja schließlich deutsch.” Das finde ich so krass, schließlich hat das keiner getrademarked. Pünktlichkeit ist ja nichts Deutsches. Es wird halt von manchen Menschen mehr Wert darauf gelegt, aber das heißt ja nicht, dass das auf magische Weise auf alle übertragen wird.
Stimmt, und meistens sind es keine besonders schönen Eigenschaften, die in diese Schublade passen.
Stimmt, verklemmt zu sein wird auch oft als typisch deutsch gelesen.
Vielleicht ist das ein Problem? Man will ja nicht nur fleißig, pünktlich, verklemmt sein und dabei Socken in Sandalen tragen und auch nicht dass andere Leuten einen so sehen.
Ich hab früher bei ein paar internationalen Austauschprogramme mitgemacht und habe mich damals auch schon von den Zuschreibungen als “Deutsche” distanziert. Gleichzeitig wurde ich auch davon abgegrenzt. Also wenn wir die “Deutschen” als Gruppe waren, war ich die, die nicht ganz so deutsch war – eben weil ich weniger in diese Schublade gepasst habe.
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Das Interview wurde von Clara geführt. Sie lebt in Berlin und studiert Kunstwissenschaft an der Technischen Universität. Neben der Uni schreibt sie über ihre spöttischen Gedanken, liest alles was sie über zu Unrecht vergessene Künstlerinnen finden kann und legt Tarotkarten. Mit ihrer Arbeit will sie Perspektiven außerhalb des Kunstkanons aufzeigen und Andere zum Handeln animieren.
Leylas erste große Liebe war das Tanzen und die zweite Selena Gomez. Wenn es die Studiengänge Netflix und veganes Essen gäbe, dann wäre sie Professorin. Weil Leyla alles, was sie erlebt, auf Feindlichkeiten gegen marginalisierte Gruppen analysiert und danach gerne ihrem Ärger Luft lässt, lässt sich das auch mit ihrer Passion zum Diskutieren vereinbaren. Und weil ihr ungewollt 4 Nationalitäten zugeschrieben werden, zu denen sie sich nicht wirklich zugehörig fühlt, wohnt ihr Herz in New York. Angetrieben von ihrem antikapitalistischen und gerechten Wertesystem und ihrem großen Herzen versprüht sie überall Liebe, öffnet die Augen für neue Blickwinkel und lacht am lautesten über schlechte Witze.