Selbst & Inszenierung
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Deep in der Quarterlife Crisis

Ich bin jetzt 24 Jahre alt. Wenn ich so steinalt werde wie mein Opa – 99, oh Gott bloß nicht – dann habe ich ein Viertel meines Lebens hinter mich gebracht, und es ist höchste Zeit einzusehen: die Quarterlife Crisis ist kein Trend, der um die Jahrtausendwende geborenen snowflakes, sondern fucking real! Sie kommt früher oder später, typischerweise gegen Ende der ersten Ausbildung, wenn sich die Frage stellt: Was. zur. Hölle. mach ich mit den wenigen Jahren Jugend, die mir bleiben (denn jenseits der 30 gibt es nur Ärger und Arbeit)? Wie mache ich das Beste aus der besten Zeit des Lebens, bis ich Falten und Kinder kriege (und Kinder kriegen wollen wir irgendwie doch alle, um es besser als unsere Eltern zu machen)?

Die Quarterlife Crisis ist der Kater nach der Coming of Age Party – es ist vom siebten Himmel des self empowerments zurück auf den Boden klatschen und merken, die Antworten auf grundlegende Fragen wie, und was willst du später mal damit machen?, die Antwort auf diese Fragen hab ich immer noch nicht gefunden.


Die Quarterlife Crisis ist, wenn sich die Frage Wer bist du und was willst du? so aufdringlich in die erste Reihe stellt, mit den Fingern schnipst und ruft, dass egal wie sehr man versucht, sich die Ohren zuzuhalten, sie immer noch zu hören ist – denn sie kommt von innen, und nicht von außen.

Selbstzweifeln ist man meist auch vor der Quarterlife Crisis schon begegnet: coming of age – das ist, glaube ich, eigentlich auch nur ein besseres Wort für die Zeit so zwischen 15 und 20 – ist eine Odyssee, in der man von einer Krise in die nächste schlingert, in der man das erste Mal richtig Liebeskummer hat, in der aus Unsicherheit Selbsthass wird, in der man irgendwann in ein einsames WG-Zimmer zieht und merkt, die Eltern sind auch nur normale Menschen und keine Superhelden.

Irgendwie schafft man es aber durch den pubertären Hindernislauf, und trägt endlich den sorgsam gehegten Selbsthass zu Grabe, weil er irgendwann doch zu kindisch, zu platt ist, so wie man als Kind irgendwann widerwillig den Glauben an den Weihnachtsmann beerdigt hat, einfach weil man aus dem Alter raus ist.

Man checkt, es ist ok, du darfst dich über etwas anderes als deine Opferrolle definieren, du darfst auch mal mehr empfinden als keinerverstehtmich und ichverstehmichauchnicht, trau dich doch nur mal. Und man merkt, es fühlt sich gut an: Man hat kurz das Gefühl, „wow! Look at you, du bist eigentlich ganz ok so wie du bist.“, und verschnauft kurz. Man schaut sich Bilder von 2014 an und denkt, wow, ich war so kaputt damals. Jetzt bin ich ein erwachsener Mensch und mir kann nichts mehr passieren

Doch die Jahre verfliegen, plötzlich ist man Mitte 20 und steht mit irgendeinem Zeugnis in der Hand da und der ganze Mist fängt wieder von vorne an. Man blickt mit Schrecken auf den Highway, der sich vor einem erstreckt und in tausende Richtungen abzuzweigen scheint, die alle nach wenigen Metern im Nebel verschwinden. Und vor lauter Angst traut man sich kaum einen Fuß auf die Straße zu setzen und sieht bloß zu, wie sich die anderen zielstrebig auf den Weg machen.

Man merkt, verdammte Scheiße, ich bin immer noch so lost, so abhängig von der Bestätigung anderer, wie ich es mit 16, 18 oder 19 war, nur dass ich mir damals diese Verwirrung noch leisten konnte. Und zwangsläufig wird man nostalgisch und sehnt sich zurück in Zeiten, in denen man noch in Ruhe und völliger Verwirrung in einer Szene-Bar mit einem Menschen, in den man heimlich verknallt war, ein Bier trinken und rumphilosophieren konnte, in der man nachdenklich rauchend am Fenster saß, auf die Menschen schauen und sich denken konnte: Was für eine seltsame, wunderbare, unverständliche Welt. Ich hab noch sooo viel Zeit, hier meinen Platz zu finden.

Man sehnt sich nach der Zeit, in der man sich man sich guten Gewissens zugestand, scheiß auf dieses Semester und Leistungsgesellschaft allgemein, ich darf mich jetzt erstmal um mich selbst kümmern, die Zeit, in der man sich endlich den Raum für die Gefühle gestattet hat, vor denen man jahrelang weggelaufen ist. Und plötzlich laufen in der WG wieder die Songs von damals, als alles scheiße war mit 16, wie von hier an blindund es macht so unendlich Spaß mitzusingen – ich weiß nicht weiter, ich weiß nicht wo wir sind, ich weiß nicht weiiteeeer, von hier an blind – und die Zerrissenheit des Herzens zu zelebrieren.

Und all die Dinge, die man damals aus dem Hut gezogen hat, um klarzukommen – Meditation, spontan allein in den Zug nach Prag setzen und jetzt endlich doch mal Therapie machen –  die damals noch absolutely groundbreaking waren, weil neu und aufregend, all diese Dinge sind nun ein alter Hut. Irgendwann sitzt man wieder mit geschlossenen Augen auf dem Teppich, in einem Café in einer fremden Stadt oder auf einem Sessel der Therapeutin gegenüber, und denkt sich, Mann, irgendwie ballert das nicht mehr wie früher, und man winkt müde ab, verkriecht sich unter der Bettdecke und versteht das erste Mal, wenn Leute sagen: „Komm du mal in mein Alter.“

Die Quarterlife Crisis ist, wenn auf deinen Schultern der innere Boomer, der am liebsten den lieben langen Tag der Weltverdrossenheit frönen möchte, und der inneren Teenager, der sich am selben Tag drei Mal verliebt, nach Australien fliegen und ein Start-Up gründen möchte, sitzen und dir ins Ohr schreien, bis du nicht mehr weißt, wo dir der Kopf steht.
Die Quarterlife Crisis ist völlige Selbstüberschätzung, die von Selbstzweifel gejagt wird – nicht Selbstverachtung, die hat man im Prozess des Erwachsenwerdens an den Nagel gehängt. Viel perfider sind jedoch die Selbstzweifel, denn sie stellen die bohrende Frage, ob nicht grundlegend etwas falsch mit mir ist, ob ich nicht grundlegend einfach nicht in der Lage bin, mit anderen, oder vielleicht einfach nur mit meinem Selbstbild, mitzuhalten. Und man denkt sich gleichzeitig, du privilegierter Mensch du hast doch alles, warum sitzt du hier und bläst Trübsal und was soll dieser Text eigentlich mit dem eh nur relaten kann wer noch nie im Leben ECHTE Existenzängste hatte.

Die Quarterlife Crisis ist, wie die vielen coming of age Krisen, nicht nur eine Qual: es macht unleugbar Freude, sich in den vielen Möglichkeiten zu wiegen, die nächsten Schritte wieder und wieder abzuwägen, sich in Tagträumen zu verlieren und von Ländern, die man bereisen, und Berufe, die man bekleiden, und Menschen, in die man sich verlieben wird, zu fantasieren. Und nie war man inspirierter als jetzt, wo einen Träumereien durch den Tag bringen, wo noch nichts in Stein gemeißelt und noch nichts zu spät ist – aber eben doch so knapp, dass die Uhr ständig auf fünf vor Lebenskrise steht.

Irgendwann erledigt sich die Quarterlife Crisis, so wie viele der Coming of Age Krisen, vermutlich von selbst: Am Ende weiß man, irgendwas werd‘ ich eh gerissen kriegen, irgendwann schau ich auf heute zurück und denk mir, Mensch, was hab ich mich damals gestresst – so wie ich heute auf die 10. Klasse schau und mir denk, was für‘n Mist, aber danach gings steil bergauf.   
Was hilft, ist durchhalten, durchatmen, checken, dass man nicht der Nabel der Welt ist und einsehen, am Ende sind die meisten Krisen, durch die man als durchschnittsprivilegierter Mittelschicht-Mensch geht, eher ein Vorwand, um noch ein paar Jahre zur Selbstfindung rauszuschlagen.Und bis dahin schön laut mitsingen: Ich weiß nicht weiter, ich weiß nicht wo wir sind, ich weiß nicht weiiteeeer …

Text und Bilder sind von Emily. Sie ist 24 Jahre alt und schiebt seit einem halben Jahr ihren Abschluss vor sich her. Sie sitzt gerne am Fenster und träumt von all den Orten, an denen sie gerade lieber wäre. Bis die Pandemie vorüber ist, vertreibt sie sich die Zeit mit Fotografieren und Fahrradfahren.

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