Körper & Bewusstsein
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Körper und Sprache #Zeitgeist*in

Warum es revolutionär sein kann, manchmal etwas genauer auf die Worte anderer und auch auf die eigenen zu hören – und wieso es sich lohnt, manche Begriffe einfach ganz zu streichen. 

Zwänge all around us

Letzten Sommer saß ich mit einer Kommilitonin am Ufer eines Fluss. Unsere Beine ließen wir im Wasser hin und her baumeln. Den Körper in einen Badeanzug und ein luftiges Tuch gehüllt, sonnte ich mich. Als ich nach meiner Wasserflasche griff, verrutschte das Tuch über meinem Schoß ein wenig – ich merkte es aber nicht.

“Weißt du, neulich hätte ich fast mit dem Typen aus der Studi-Gruppe Sex gehabt. Es war wirklich alles total schön, bis er mir die Hose ausgezogen hat”, brach meine Kommilitonin das Schweigen. 

Als ich mich zu ihr drehte, erkannte ich, dass ihr Tränen in die Augen gestiegen waren. Mit fragendem Blick bedeutete ich ihr, weiterzuerzählen.

“Er hat mitten in der Bewegung gestoppt, an mir runter geschaut und die Stirn gerunzelt. ‘Rasierst du dich nicht?’, hat er mich dann gefragt… an seiner Stimme habe ich sofort erkannt, dass er das total eklig findet.” 

“Sein Ernst? Und dann?”, hakte ich nach.

“Na ja, ich hab gefragt, ob ihn das stören würde und er meinte, dass er es nicht gerade hygienisch fand. Dann bin ich einfach aufgestanden, habe mich angezogen und bin gegangen. Ich hätte ihm so gerne meine Meinung gegeigt, aber irgendwie war das einzige, was ich in diesem Moment fühlte: Scham. Ich schämte mich abgrundtief für meinen Körper.”, sagte sie mit bebender Stimme.

“Was ein Arsch”. Mitfühlend strich ich ihr über den Rücken.

“Weißt du…”, begann sie erneut “ich wünschte, ich wäre so selbstbewusst wie du. Du liegst hier völlig entspannt, deine Schamhaare kringeln sich aus deinem Badeanzug heraus und es ist dir total egal.”

“Quatsch. Was denkst du, warum ich das Tuch hier auf meinem Schoß liegen habe? Das zeigt ja schon, dass auch ich noch nicht ganz frei von den gesellschaftlichen Zwängen bin. Ist halt kompliziert und total anstrengend, sich davon zu lösen. Wir sind da so drin gefangen.”

“Hmm, stimmt”, pflichtete sie mir bei.

Hauptsache unauffällig

Nach diesem Gespräch ratterte es noch wochenlang in meinem Kopf weiter. Wieso war es so ein Problem, Haare einfach wachsen zu lassen? Und wer bestimmte eigentlich, dass das dann unhygienisch ist? Den Fakt, dass wir uns innerhalb einer kapitalistischen Gesellschaft bewegen, die uns vermittelt, wir hätten uns zu rasieren, unsere Menstruation zu verstecken und auch sonst Duckmäuschen zu spielen, ausgenommen, liefen wir doch mittlerweile, wenn auch kleinschrittig, in Richtung Emanzipation des eigenen Körpers. 

Doch dass das nicht nur durch den aktiven Boykott dieser Stigmata passieren kann, wurde mir durch eine ganz simple Aussage in diesem Gespräch bewusst: Sie schämte sich – für ihre Schamhaare.

Es ist unsere alltägliche Sprache, die die Reproduktion dieser, den eigenen Körper wertenden, Normen vorantreibt. Wenn wir von klein auf lernen, Teile, Erscheinungen und Zustände unseres Körpers auf diese und jene Weise zu bezeichnen, ist nicht verwunderlich, dass wir sie als negativ bzw. störend wahrnehmen: Schamhaare, Schamlippen, Scheide, Pussy. 

Warum schließe ich “Scheide” und “Pussy” jetzt in diese Beobachtung mit ein? Nun, auch diese Bezeichnungen sind suboptimal. Aber wie sollen Menschen mit Scheide, Vagina, Vulva, Pussy usw. ihr Geschlecht denn sonst bezeichnen, wenn nicht mit einem dieser Begriffe?

Scheide? No thanks!

Nach dem zweiten Semester zu mittelhochdeutscher Sprache weiß ich, dass Scheide das rote Tuch unter möglichen Begriffen ist. Mensch denke nur an Excalibur, das Schwert des mythischen Königs Artus, welches dieser stets in seine mittelalterliche Schwertscheide steckte. Unsere Scheiden sind schlichtweg nicht vorrangig darauf ausgelegt, Dinge in sie zu stecken. Wer möchte schon nachfolgenden Generationen vermitteln, das weibliche* Geschlecht fungiere nur zur vermeintlich männlichen Penetration. Und das würde die Periode, die eigene Lust und die Geburt erstmal ausschließen. Also wäre es hervorragend, diesen Begriff einfach aus dem Alltagswortschatz zu streichen. Deal?

Wie dann?

Der Begriff Vagina, ist auch nicht günstig, denn im Endeffekt ist es nur der mittellateinische Ausdruck für Scheide. Im Übrigen ist es auch so, dass die Vagina anatomisch nur den innen liegenden Teil des Geschlechtsorgans meint. Alles außenliegende wie beispielsweise Klitoris und Schamlippen bezeichnen wir als Vulva

In einem Workshop zur Periode habe ich einmal die Bezeichnung Vulvina aufgeschnappt, die beide Bereiche (innen & außen) begrifflich vereinen sollen. Noch immer nicht ganz optimal, aber trotzdem um einiges angenehmer als Scheide, wie ich finde. Die Wörter Schamlippen und Schamhaare ablösend verwende ich persönlich gerne Vulvalippen und ganz einfach Haare. Zu Haaren am Kopf sagen wir im Alltag ja schließlich auch nicht Kopfhaare

Mit den Äußerungen zu meinen persönlichen Präferenzen geht natürlich eines einher: Jede*r soll selbst entscheiden dürfen, welche Begriffe Mensch für das eigene Geschlecht wählt und wie Mensch damit umgeht. Es sind gerade öffentliche Institutionen bzw. Situationen (Literatur, Medien, Schulen, Ärzt*innen etc.), die unwissentlich Begriffe reproduzieren, die Frauen* ihr eigenes Geschlecht aberkennen und es außerdem nicht mal komplett beschreiben.

Auch im Alltag gehen wir unterschiedlich dem Geschlecht um. Der Wintereinbruch anfang Februar diesen Jahres beispielsweise offenbarte vor allem eines: sehr viele Penisse – mit Fingern in schneebedeckte Autos oder gar mit Autoreifen auf leeren Parkplätzen gezeichnet. Nirgends sahen wir eine Vulvina. Ganz einfach, weil es für uns schon immer normal war, Penisse irgendwo hinzumalen. Täglich fanden wir einen Penis auf dem Schnellhefter oder an der Tafel, ausgiebigst wurde darüber gelacht. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, jemals in meinem Leben eine Vulvina gezeichnet zu haben. Womöglich wären dies sowieso direkt als eklig bzw. irritierend wahrgenommen oder sexualisert worden. Ähnlich wie der Typ auf die Haare meiner Kommilitonin reagiert hatte. Aber das nur so am Rande.

Bewusstsein schaffen

Es ist super schwierig, einen schambefreiten Umgang mit dem weiblichen* Geschlecht und anderen Elementen des Körpers zu lernen. Jeden Tag verstreuen wir unzählige Wörter in den Köpfen unserer Mitmenschen, manchmal ganz unbewusst. Zeit, ein paar dieser eingestaubten Begriffe zu überdenken und sie vielleicht einfach auf den inneren Wörter-Sperrmüll zu schmeißen. Dann ist wieder Platz für frische, respektvolle Bezeichnungen, die uns helfen, unseren Geschlechtern ganz liebevoll gegenüber zu treten. 

Die Sache mit dem Respekt vor Menschen mit Uterus wurde auch beim #pikygate zum Thema. Wenn zwei weiße cis-Männer davon reden, die Menstruation sei ein unhygienisches, stinkendes und in pinken Handschuhen zu versteckendes Phänomen, wird deutlich, dass wir noch richtig viel Arbeit vor uns haben. Die Gründer haben mittlerweile ihr Aus bekannt gegeben. Besser ist’s!

Apropos respektvoll: Beleidigenden Bezeichnungen wurde in diesem Artikel bewusst keine Aufmerksamkeit geschenkt, einfach um sie nicht zu reproduzieren. Sie existieren natürlich trotzdem und sind ebenso ein Fall für den inneren Wörter-Sperrmüll!


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Text von Dessany, Illustrationen von Luise.

Dessany ist 22 und studiert Germanistik in Leipzig. Schon früh wurde das Schreiben zu ihrem Ventil. Über fast alles was sie erlebt, was sie über ihre Umwelt und sich lernt, führt sie Notiz. Nicht zuletzt, um das alles ein bisschen besser verstehen zu können.

Alle zwei Monate veröffentlicht Dessany einen Text zu ihrer Kolumne Zeitgeist*in. Darin setzt sie sich mit Themen auseinander, über die ehrlich zu reden vielleicht schwer fällt. Sie möchte ihre Leser*innen sensibilisieren und motivieren, für sich und andere einzustehen, offen zu sein. Auch bei Tabuthemen.

Luise ist junge Gestalterin und Künstlerin und lebt und studiert in Berlin an der Universität der Künste. Sie mag traurige Musik, trashige Filme, laute Konzerte und komische Comics.

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