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Sorry not Sorry #gibmirwiderworte

Über die Unfähigkeit zur aufrichten Entschuldigung.

In einem längst vergessen Land, in dem es verboten war, sich zu entschuldigen, wurde gepöbelt, getreten und gekratzt. Es wurde sich nicht umgedreht nach dem hinterlassenen Trümmerfeld, und kein Blick verschwendet für den Scherbenhaufen, den die eigenen Worte der Taten verursacht hatten. 

Das vergangene Jahr hat viele gesellschaftliche Veränderungen angestoßen und neue Sensibilitäten geschaffen – für Minderheiten, Ungerechtigkeiten, ein faireres Miteinander. Diese Wendung, hin zu mehr gesellschaftlicher Achtung, würde vermuten lassen, dass sich ein inoffizieller journalistischer/politischer/öffentlicher Kodex entwickelt hat, der sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner beruft, möglichst wenig Individuen auf die Füße zu treten. Doch überraschen Medienhäuser, Pressesprecher:innen und Privatpersonen immer wieder aufs Neue mit unüberlegten und fragwürdigen Äußerungen, die in einen tiefen und dunklen gesellschaftlichen Abgrund blicken lassen. 

Ist es ein vorschnelles Vergeben und Vergessen, dass Wiederholung solcher Fehltritte nicht verhindern kann? Oder sind wir der öffentlich ausgeschlachteten Skandale und ihrer halbherzigen Konsequenzen einfach überdrüssig und nehmen diese daher einfach als ermüdende Tatsache hin? Erstere Erklärung scheint in Zeiten von Cancel Culture und großflächigen Boykotten unwahrscheinlich. Und auch Zweites spielt die Existenz und Wirkung von organisiertem, öffentlichen Entsetzen herunter. 

Fast wie nach einem Protokoll, folgen auf einen Shitstorm eine Stellungnahme, Posts der Reue und ein Rückzug der Angeklagten in die private Sicherheit. Es wird oft versprochen sich weiterzubilden, wacher zu werden, endlich aufzuwachen. Aber auch wenn gesellschaftliche Gegenwehr kurz den Wind aus den Segeln nimmt, vermag sie es anscheinend nicht die Flotten der Fehlformulierungen, Diskriminierung und Diffamierungen endgültig kentern zu lassen. 

Wer es trotzdem wagte sich leichtfertig zu entschuldigen, dem wurden alle Möglichkeiten zur Reflexion genommen. Alle Spiegel wurden verhangen oder ganz entfernt, jede reflektierende Oberfläche eliminiert. Diejenigen, die einst Reue empfanden, waren nun gefangen in einer Welt ohne Spiegelung – ohne Spiegelung ihrer selbst, der eignen Unverwechselbar- und Einmaligkeit. 

Achtung, ab hier wird es verantwortungslos

Für Personen des öffentlichen Lebens (im sozialen Mainstream) reicht es schon lange nicht mehr aus, sich auf Fernsehpreisen, Einladungen zu Talkshow-Runden oder einer gewissen Follower-Anzahl auszuruhen. Die Verantwortung, die mit einem lauten öffentlichen Sprachrohr einhergeht, wird zunehmend stark von der Gesellschaft eingefordert: wer eine Plattform hat, der soll sie nutzen. Denn wenn das, was vor der Kamera, am Mikrofon oder unter der Druckpresse thematisiert wird nicht die Gesellschaft widerspiegelt, sondern sie ungefragt karikiert, und sich dessen nicht mal bewusst ist, dann können aus informativen und unterhaltsamen Formaten recht schnell Paradebeispiele aus der Zeit gefallenen Gedankenguts werden. 

Das Anprangern falscher Informationen oder diskriminierender Äußerungen kann dann durchaus als gesellschaftliche Pflicht verstanden werden, die zu einer Besserung beitragen will und den gemeinsamen und gleichberechtigten Diskurs voranbringt. Die geschmacklosen Reaktionen auf eben solche Kampagnen spiegeln die eigentliche Schieflage aber oft noch viel besser wider als der geschehene Fehltritt an sich. Denn wer Menschenverachtendes und Diskriminierendes ungefiltert teilt, in dessen Verantwortung steht mehr als eine einfache Entschuldigung. Unser digitales Miteinander ist jedoch nicht dafür gemacht, zu aufrichtiger und nötiger Rechenschaft zu ziehen. Ob am anderen Ende nur halbherzig abgetippt oder einstudiert aufgenommen wurde, kann die „Community“ zu keinem Zeitpunkt nachvollziehen. Es bleibt so nur übrig blind zu vertrauen. Eben dieses Vertrauen ist aber nur begrenzt strapazierfähig und sollte fehlende Sensibilität nicht bis ins Unendliche verzeihen. 

Und so kam es, dass irgendwann alle Spiegel dieses Landes verhangen waren. Es existierte keine Fläche mehr, die die Wahrheit reflektierte und eine Möglichkeit zur Selbstwahrnehmung bot. Die Menschen fingen an sich selbst zu vergessen. Ohne die glänzende, reflektierende Oberfläche fehlte es ihnen an einem Mittel zur Selbsterkenntnis, statt des Lichts wurde nun das Bewusstsein absorbiert. 

Was Du gestern nicht gelernt hast, kann Du heute auch noch lernen

Schon von klein auf lernen wir, dass wir uns für unser Fehlverhalten entschuldigen zu haben. Ganz egal, ob ein wirklicher Schaden entstanden ist, oder das Getane oder Gesagte einen selbst innerlich zerfrisst. Sich nach einem Fauxpas aber zurückzulehnen, die aufgeregte Gesellschaft dabei zu beobachten wie sie sich selbst zerfleischt und mit einem gekühlten Getränk auf die guten alten Zeiten, in denen man noch alles sagen durfte, anzustoßen, entspricht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht der Verhaltensweise, die Generationen von Erziehungsberechtigten und Pädagog:innen uns mühevoll versucht haben anzuerziehen. 

Damit die ganze unerzogene Farce aber nicht zu sehr auffliegt, hat sich mit der Zeit eine neue Art der Entschuldigung entwickelt. Die Non- oder auch Faux-Pology dreht den Spieß einfach um, macht aus den Geschädigten die Schuldigen, aus dem Täter einen schlichtweg Unwissenden, der der Empfindlichkeit der anderen Partei zum Opfer gefallen ist. Diese Art der vermeintlichen Entschuldigung unterschlägt das Geschehene und den angerichteten emotionalen und irreparablen Schaden, verursacht durch die eigene Ignoranz und nicht-existentem Bedauern. Ungeschickt formuliert, maßt sich eine Non-Pology an, eine Gültigkeitsbedingung zu formulieren

Des eigenen Selbst beraubt, bot niemand mehr eine Angriffsfläche. Alle Menschen wurden austauschbar, durch das Unwissen über die eigene Person, welches sie miteinander verband. Auf der Suche nach ihren Identitäten fingen die Menschen an, andere Sinne als die einfache Spiegelung zu nutzen, um einander kennenzulernen. Es geschah ein Austausch, abseits der Erscheinung, erster Eindrücke und vorschneller Einschätzungen, an dem alle gleichberechtigt teilnehmen konnten. Die menschlichen Unterschiede wurden zu menschlichen Gemeinsamkeiten.

Ausnahmslos daneben benommen

Gefühle wurden verletzt, das ist durchaus Teil unserer ironisch-überspitzen Sendung. 

(So die Quintessenz der ersten Bayern3-Stellungnahme nach den Rassismus-Vorwürfen gegen den Moderator Matthias Matuschik. Nach heftigen Reaktionen in den sozialen Medien formulierte der Sender die Stellungnahme um.) 

Dass viele Menschen dies als massiv verletzend und rassistisch diskriminierend wahrgenommen haben, schmerzt uns sehr. 

(Ein zusammengefasster Ausschnitt der Stellungnahme des WDR-Moderators Steffan Hallaschka via Twitter. Für die fehlende Anerkennung der unanfechtbaren Tatsache, dass die WDR-Talkrunde ‚Die letzte Instanz‘ nicht nur subjektiv rassistische und verletzende Äußerung hervorgebracht hat, wurde er in den Kommentaren lautstark kritisiert.) 

Ich entschuldige mich für das Missverständnis, […] für meine Leidenschaft kann ich mich nicht entschuldigen. 

(Dies lies der Republikaner Ted Yoho, Abgeordneter des Repräsentantenhauses, unteranderem in seiner Entschuldigung an die demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez nach einem an sie gerichteten verbalen und sexistischen Angriff, in einer offiziellen „Entschuldigung“ verlauten. Im Eifer des politischen Gefechts kann es demnach zu erhitzten Äußerungen kommen, den Vorwurf der Beleidung wies er vehement von sich.) 

Diese drei eindrucksvollen Beispiele menschlicher Überheblichkeit zeigen auf, wie leichtfertig Verantwortung heruntergespielt und somit eigenverursachtes Chaos und Unrecht verharmlost werden können. Direkt an die zu Schaden Gekommenen oder verbal und mental Verletzten wandte sich in diesen Fällen keiner der Verantwortlichen. 

Nun, da kein Spiegel mehr über vermeintliche Andersartigkeiten lügen konnte, wurden Entschuldigungen gänzlich hinfällig. Mit Abschaffung der Spiegel und sozialer Wertungen hatten Entschuldigungen ihre Grundbedingung verloren: das menschliche Fehlverhalten. 

Für Hoffnung ist es nie zu spät

Anders als uns Streitschlichter und Mediatoren mit viel Mühe versucht haben klar zu machen, passiert der schadensminimierende Diskurs in den meisten Fällen eher einseitig, oder eben gar nicht, und geht nicht selten mit noch mehr verbalen Geschossen einher. Diejenigen, für die sich unsere heutige Welt zu schnell entwickelt und Werte sich verschieben und verändern, seien eingeladen sich einfach mal zurückzulehnen, Pause zu machen, zuzuhören und anzufangen mitzukommen. Aufmerksamkeit gebührt denjenigen, die uns die Welt erklären können, nicht denjenigen die Tatsachen mit Meinungen gleichsetzen. 

Was in der Öffentlichkeit gang und gäbe zu sein scheint und für reichlich Zündstoff sorgt, passiert genauso auch im Privaten und verletzt damit unbewusst oder auch ganz absichtlich. Wirklich gegen Non-Apologies wehren kann man sich nicht. Man kann sie aber erkennen, sie kontextualisieren und sich zunehmend bemühen, die eigene Meinung und Emotionslage nicht mit der anderer gleichzusetzen. Unser Verzeihen an individuelle Bedingungen zu knüpfen, würde der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs wieder näherkommen. 
Was im Alltag zu einer Kündigung oder dem Ende einer Freundschaft führen kann, muss auch auf der öffentlichen Bühne wieder harte Konsequenzen mit sich bringen, sofern nicht für das eigene Fehlverhalten eingestanden wird. Eine breite Aufarbeitung von Diskriminierungs-Vorwürfen jeglicher Art ist im breiten Interesse unserer Gesellschaft, um sich zu bessern, den Schritt in eine gerechtere Zukunft zu wagen und der Unfähigkeit zuhören zu wollen, vorzubeugen. 

Jasmin ist 22, studiert Politik und Wirtschaft und schreibt sich gerne mal woanders hin.
In Gib Mir Widerwortwill sie Dich zur Auseinandersetzung mit der aktuellen Alltagspolitik animieren und für einen informierten Diskurs sensibilisieren. Gib Ihr Widerworte. 

Dieser Post wurde von Johannes gestaltet. Er ist 21, studiert Visuelle Kommunikation in Berlin, macht nebenbei Musik und schläft gern bis 13 Uhr. Er verbringt seine Zeit mit lieben Leuten und verliert sich manchmal in seinem Computer.

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