Anmerkung: Ich habe in den letzten Wochen an verschiedenster Stelle den Hinweis wahrgenommen, dass die Bezeichnung „Weltfrauentag“ teilweise problematisch ist, da das Lexem „Frau“ nicht umfassend genug für alle Spektren sei und andere Personengruppen, die unter dem Patriarchat leiden, ausschließe. Die Schreibweise des Wortes „Frau“ mit Gender-Sternchen, wie ich sie in meinem Text letztes Jahr auch verwendet habe, da ich diese für spektrumsübergreifend hielt, sei demnach auch falsch. Leider habe ich bisher keine andere, adäquate Schreibweise ermitteln können, die niemanden ausschließt und so im nachfolgenden Text die einfache Schreibweise „Frau“ gewählt, ohne die Absicht, ein Spektrum damit benachteiligen zu wollen. Über Hinweise bezüglich einer passenden Schreibweise wäre ich dankbar.
Seit meinem Text zum Weltfrauentag 2020 hat sich die Welt verändert. Neben all den negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie, gibt uns die Krise aber auch Chancen, neue Bewusstseinsperspektiven zu entwickeln – auch für ohnehin schon bestehende Problematiken, deren Dringlichkeit sich durch die Krise verstärkt.
Der Weltfrauentag 2021 ist wichtiger wahrzunehmen als je zuvor, denn ein Jahr in der Pandemie hat gezeigt, dass es Frauen sind, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Gerade weil das viel beschworene Wort „systemrelevant“ und die privaten und beruflichen Leistungen von Frauen in unserer Gesellschaft nicht voneinander trennbar sind, dürfen diese nicht die Verliererinnen sein, wenn es um entsprechende Maßnahmen zur Milderung der Krisenfolgen geht.
Ausnahmesituationen wie die Corona-Pandemie, verstärken bereits bestehende Ungleichheiten und verursachen gesundheitliche und ökonomische Folgen für benachteiligte Gruppen, zu denen weltweit in allen Gesellschaften Mädchen und Frauen immer noch zählen. Dass wir nicht dazu neigen dürfen, gesellschaftspolitische Themen wie die Gleichstellung in einer Krisensituation hinten anzustellen und als in diesem Moment weniger relevant einzustufen, hat sich im bisherigen Corona-Jahr in vielfacher Weise verdeutlicht, wenn man die Folgen der Pandemie für Frauen in verschiedenen Bereichen näher betrachtet.
Bei dem Personal der Berufsgruppen, die in der Krise als unverzichtbar eingestuft werden, arbeiten weltweit gesehen zu 70% Frauen. Neben der zusätzlichen Kapazitäts- und Stressbelastung im Beruf durch an Corona erkrankte Menschen, sind Frauen, die als Krankenpflegerinnen und Ärztinnen an vorderster Stelle arbeiten, einem enorm höheren Infektionsrisiko mit dem Virus ausgesetzt. Der Job als Kassiererin, der in hohem Anteil von Frauen ausgeübt wird, birgt trotz Hygienemaßnahmen im täglichen Kontakt mit verschiedensten Personen die selben gefährdenden Infektionsrisiken. Durch geschlossene Kitas und Schulen sind viele Elternteile auf Notbetreuungen angewiesen, da sie selbst ihrem Beruf nicht für die Kinderpflege fernbleiben können. In diesem Sektor sind es wieder vor allem Frauen, Erzieherinnen, die diese Last abfangen.
Neben der Tatsache, dass all diese Berufsgruppen ein wichtiges Fundament für unsere funktionierende Gesellschaft bilden, haben sie vor allem gemeinsam, dass sie als sogenannte „Frauenberufe“ schlecht bezahlt werden. Die Last der zusätzlichen Care-Arbeit, die Frauen unbezahlt im privaten Bereich leisten und die bereits vor Corona wenig geschätzt und wahrgenommen wurde, hat sich im Zuge der Pandemie verstärkt. Frauen stehen momentan vor großen Herausforderungen im häuslichen Bereich: neben der eigenen Arbeit, der man im Homeoffice nachgehen muss, gibt es möglicherweise noch Kinder, die wegen Schul- und Kitaschließungen daheim betreut und bei den Schulaufgaben unterstützt, sowie Angehörige, die möglicherweise gepflegt und versorgt werden müssen – die sonstige in einem Haushalt anfallende Arbeit kommt zusätzlich zum Tragen.
Bereits vor Corona waren es in 90% der Fälle Frauen, die diese unbezahlte Care-Arbeit verrichteten. Dieses klassische Rollenverständnis wird durch die Corona-Pandemie weiter verfestigt. Hinzu kommt die Tatsache, dass viele Frauen durch die Last unbezahlter Care-Arbeit nicht mehr in der Lage sind, vollständig den Aufgaben ihrer bezahlten Arbeit gerecht zu werden, was die persönliche, finanzielle und ökonomische Sicherheit bedroht. Auch die ersten Entlassungswellen zu Anfang der Pandemie betrafen vor allem Sektoren wie den Einzelhandel oder das Gast- und Tourismusgewerbe, in denen nachweislich Frauen stärker vertreten sind.
Wie immer in Fragen der Frauenrechte muss man auch bei den Folgen der Corona-Pandemie zwangsläufig über den europäischen Tellerrand hinausschauen und vor allem die Länder betrachten, die wirtschaftlich schwach und von einer schlechten medizinischen Versorgung betroffen sind. Das unzureichende Gesundheitssystem wird durch die Corona-Krise zusätzlich (über)fordert; die bestehenden Kapazitäten werden auf die Bekämpfung des Virus konzentriert, wodurch der ohnehin schon ungenügende Zugang zu bspw. Reproduktionsmedizin für Frauen erheblich eingeschränkt wird und die Mütter- und Kindersterblichkeit erhöhen kann.
Auch der Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung wird erheblich eingeschränkt, da regelmäßige Besuche bei Ärzt:innen, sowie soziale Kontrollinstanzen wie Schule oder Freizeitaktivitäten wegfallen. Durch den verminderten Zugang zu Hilfs- und Beratungsmöglichkeiten wird es für betroffene Mädchen nahezu unmöglich, Unterstützung zu finden. Das sind nur wenige der Folgen, die vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern durch die Corona-Pandemie verursacht werden. Für genaue Fakten über die Auswirkungen der Krise auf Mädchen und Frauen in diesen Ländern lohnt es, sich auf der Seite des Kinderhilfswerks „Plan International“ mithilfe dieses Textes zu informieren: https://www.plan.de/kampagnen-und-aktionen/girls-get-equal/corona-auswirkungen-auf-maedchen-und-frauen.html
Was schon zu Anfang der Pandemie vermutet wurde, hat sich im Laufe des Jahres ebenfalls als drastische Folge der Corona-Krise bestätigt.
Existenzielle Sorgen, finanzielle Not und häusliche Isolation führen zu einem Anstieg der häuslichen Gewalt, deren Leidtragenden in den meisten Fällen Frauen sind. Durch die eingeschränkte Bewegungsfreiheit sind sie der gewaltausübenden Person stärker ausgeliefert; Social Distancing, Homeoffice und Schulschließungen haben zur Folge, dass von Betroffenen nur sehr schwer persönliche Hilfe gesucht werden kann und mögliche Verletzungen nur wenigen Leuten auffallen. Frauen, die durch private Care-Arbeit finanzielle Einbußen verzeichnen müssen, sind so verstärkt von ihrem Partner, der oft die gewaltausübende Person ist, abhängig und können der gefährlichen Situation noch schlechter entkommen. Viele Institutionen zur Hilfe und Beratung für Frauen sind ohnehin schon überlastet und können während der Krise oft nicht genügend Kapazitäten für Bedrohte bieten. Auch die hochfrequentierte Nutzung des Internets im Freizeitkontext oder für die Schule setzt Kinder, besonders Mädchen, einem verstärkten Risiko für Cyber-Mobbing, -Grooming oder sexuelle Belästigung aus.
Dies alles ist jedoch nur ein Bruchteil der Folgen und Gefahren, die die Corona-Krise für Frauen und die Gleichberechtigung mit sich bringt. Egal, was die Zukunft nach der Pandemie bedeutet: Es muss (schon jetzt) die Einsicht und den Willen geben, die Gleichstellung weiter voranzutreiben und Frauen weltweit entsprechend ihrer ökonomischen und sozialen Umstände eine ihren Leistungen entsprechende und geschlechtergerechte Verteilung der Mittel zu gewährleisten. Schon unter normalen Bedingungen ist eine Gesellschaft ungleich und an ihrer Belastungsgrenze, wenn ihr wesentliches und essentielles Rückgrat maßgeblich Menschen bilden, die schlecht bezahlt, in doppelter Hinsicht belastet und von Gewalt bedroht sind.
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Dominik lebt in Halle an der Saale und studiert dort Deutsche Sprache/Literatur und Kunstgeschichte. Neben diesen beiden großen Leidenschaften liebt er das Schreiben, das Klavierspielen, das Fotografieren, gutes Essen und all die kleinen ästhetischen Offenbarungen, die das Leben bietet.
Collage von Imina.