Monate: März 2021

Wonderwall kriegt mich wieder

Dieser Winter fühlt sich länger an als die vorherigen. Seit Monaten stehe ich jeden Morgen auf, benutze zwei Make Up Produkte statt zuvor zehn und tausche meinen Schlafanzug symbolisch gegen die Jogginghose für das Homeoffice und Online Uni Veranstaltungen. In meinem Kleiderschrank gibt es mittlerweile einen extra Stapel neben den Pyjamas mit bequemen Klamotten für tagsüber. Die Stapel sehen sich zum verwechseln ähnlich. Das letzte Jahr hat für mich vieles verändert, wie für alle auch. Ich war schon immer ein sehr introvertierter Mensch. Mittlerweile verstehe ich das eher als eine offensichtlichere der vielen Seiten meiner Persönlichkeit, als als Label. Kinderfotos zeigen mich in der Regel komplett vertieft in irgendeine Sache und nicht lachend umgeben von Freunden. „Für dich muss so eine Pandemie doch Glück im Unglück sein!“ „Kommt so Menschen wie dir ein Lockdown nicht ganz gelegen?“ Diese Sätze habe ich in den vergangenen Monaten relativ oft von Familie und Freunden gehört und ähnliche Behauptungen geisterten auch durch die Medien, wenn es um den Umgang mit der Lage ging. Nach dem Motto für Stubenhocker, Nerds …

Die Macht der Pornografie mit Lea Röwer #ZwischenNeugierundBewunderung

Wahrscheinlich hat jeder von uns schonmal pornografische Inhalte konsumiert. Nicht selten auch regelmäßig. Doch was genau schauen wir uns da eigentlich wirklich an? Was hat das mit dem Menschen, unserer Gesellschaft und dem Patriarchat zu tun? Und was ist eigentlich Only Fans? Lea Röwer hat sich im Rahmen künstlerischer Praxis und einer Bachelor-Thesis intensiv mit der Pornografie auseinandergesetzt. Es entstand ein erkenntnisreiches Gespräch das kritisch reflektiert und dennoch nicht verteufeln möchte. Wenn wir über Pornografie sprechen, über was sprechen wir dann? Es gibt nicht die eine Pornografie. Es gibt tausend verschiedene Nischen. Es gibt feministische Pornografie, genauso wie es Fetisch-Pornografie gibt und professionell produzierte Pornografie. In dem Kontext interessiert mich nicht so, was die Hauptcharakteristika von Pornografie sind, das ist nur eine Facette, sondern vielmehr in wie weit sie unsere Gesellschaft prägt. Wie sie medial mit anderen Bereichen verbunden ist oder was sie abgrenzt. Wie sie unsere Realität formt und Einfluss auf unsere Fantasie nimmt. Was mit den Menschen passiert, die im Pornografie-Geschäft arbeiten. Wie sie dargestellt werden und gleichzeitig auch, wie die Konsumenten mit …

(Präsent) Sein

Im Dezember 2019: Einige Tage vor Silvester, stehe ich in einem Buchladen vor dem Regal „Lebensführung“. Ich möchte ausbrechen und aufbrechen in ein letztes Jahr Schule, ein Jahr, das mir das Erwachsenwerden beibringen würde, wie es kein Coming of Age-Film auf Netflix schaffen sollte. Ich stehe da, fahre mit meinem Zeigefinger über sämtliche Schriftzüge. Mein Blick wandert durch die Reihen, als mich eine Frau von der Seite anspricht: „Lies das.“ sagt sie und hält mir ein kleines, orangenes Buch entgegen. „Jetzt!“ von Eckhart Tolle heißt es.  Die Frau fügt hinzu: „Ich bin mir sicher, es wird dein Leben verändern. Wenn auch nur ein kleines Stückchen.“ Ich bin etwas überrascht, nehme das Buch aber entegen und bedanke mich zögerlich. Ich blättere in ihm herum und überfliege die Zeilen und als ich wieder aufblicke, ist die Frau schon verschwunden. Ich kaufe schließlich das Buch und merke mit jeder Seite, die ich in den nächsten Wochen lesen würde: präsent zu sein, darauf kommt es an. Das Leben im Moment zu erkennen, ist die Essenz, die uns mit ihm verbindet. …

Sorry not Sorry #gibmirwiderworte

Über die Unfähigkeit zur aufrichten Entschuldigung. In einem längst vergessen Land, in dem es verboten war, sich zu entschuldigen, wurde gepöbelt, getreten und gekratzt. Es wurde sich nicht umgedreht nach dem hinterlassenen Trümmerfeld, und kein Blick verschwendet für den Scherbenhaufen, den die eigenen Worte der Taten verursacht hatten.  Das vergangene Jahr hat viele gesellschaftliche Veränderungen angestoßen und neue Sensibilitäten geschaffen – für Minderheiten, Ungerechtigkeiten, ein faireres Miteinander. Diese Wendung, hin zu mehr gesellschaftlicher Achtung, würde vermuten lassen, dass sich ein inoffizieller journalistischer/politischer/öffentlicher Kodex entwickelt hat, der sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner beruft, möglichst wenig Individuen auf die Füße zu treten. Doch überraschen Medienhäuser, Pressesprecher:innen und Privatpersonen immer wieder aufs Neue mit unüberlegten und fragwürdigen Äußerungen, die in einen tiefen und dunklen gesellschaftlichen Abgrund blicken lassen.  Ist es ein vorschnelles Vergeben und Vergessen, dass Wiederholung solcher Fehltritte nicht verhindern kann? Oder sind wir der öffentlich ausgeschlachteten Skandale und ihrer halbherzigen Konsequenzen einfach überdrüssig und nehmen diese daher einfach als ermüdende Tatsache hin? Erstere Erklärung scheint in Zeiten von Cancel Culture und großflächigen Boykotten unwahrscheinlich. Und …

Selbstfindung im 21. Jahrhundert

Meine Gedanken wie dreckige Fussel auf einer frischen Linse,Ich höre wie ich leise winsle, damit es niemand hört,Damit es niemanden stört. Es zählt nichts weniger als seine Hülle,Und trotzdem bringt es mich in so einer Fülle,Ab und an runter,Und benetzt mich ganz munter,Mit einem Schleier auf Zweifel,So fies wie ein Teufel. Es passt dies nicht, es passt das nicht,Dieses Bild widerspricht mal wieder meinem Gesicht,Und ich frage mich wann wird es enden,Dieses Verschwenden von negativen Einwänden. Ständiges Vergleichen, Abwertende Aussagen gespeichert als Lesezeichen,Und zum Ausgleichen umschleichen mich Komplimente von Liebsten,Die sich für meines Gleichen anhören wie Sonderzeichen. Sie sehen mich anders und nicht so wie ich,Ich bin einzigartig, so ganz unterm Strich,Habe Fehler und Macken, bin nicht perfekt,Und bemerke verschreckt, Ich bin der Architekt,Meines eigenen Lebens,Und versuche vergebens,Zu lieben wer ich bin,In diesem neuzeitlichen Wahnsinn. – Der Text wurde anonym eingereicht. Das Beitragsbild ist von Linda.Sie ist Grafikdesignerin und brennt für gute Gestaltung. Sie arbeitet gerne konzeptionell und legt den Fokus auf aussagekräftige Illustrationen. Neben Kunst und Design, liebt sie die Berge, Kaffee und ihr rotes Fahrrad …

Mit beiden Beinen auf dem Boden

Ich habe nie darüber nachgedacht, ob ich bodenständig bin. Vor einem halben Jahr bin mit einer Freundin auf das Wort gestoßen. Wir haben eine Woche lang alle möglichen Menschen gefragt, was sie unter Bodenständigkeit verstehen, ob sie bodenständig sind und ob das etwas Positives oder Negatives ist. Mich hat fasziniert, dass es keine eindeutige Definition gibt und Menschen so unterschiedliche Meinungen dazu haben. Für manche, vor allem für Menschen aus meiner Generation, ist sie die Spitze des Spießbürgertums. Bodenständigkeit repräsentiert für sie Unfreiheit und ein Gefangensein in den konservativen Moralvorstellungen ihrer Eltern und Großeltern. Für andere ist sie eine Tugend und Idealvorstellung eines unbesorgten Lebens.  Ist Bodenständigkeit ein Überbleibsel aus alten Zeiten oder ist sie ein Wert, der auch heute noch eine Rolle spielt? Lässt sich diese Frage überhaupt beantworten? Darüber habe ich in den letzten Monaten mit Freund*innen, meinen Eltern und Großeltern geredet. Am Ende habe ich die Soziologin Barbara Thériault interviewt, die dem Konzept Bodenständigkeit eher zufällig begegnete, als sie sich mit dem Alltag von Menschen der Erfurter Mittelklasse beschäftigte und das Buch …

Die Systemrelevanten

Anmerkung: Ich habe in den letzten Wochen an verschiedenster Stelle den Hinweis wahrgenommen, dass die Bezeichnung „Weltfrauentag“ teilweise problematisch ist, da das Lexem „Frau“ nicht umfassend genug für alle Spektren sei und andere Personengruppen, die unter dem Patriarchat leiden, ausschließe. Die Schreibweise des Wortes „Frau“ mit Gender-Sternchen, wie ich sie in meinem Text letztes Jahr auch verwendet habe, da ich diese für spektrumsübergreifend hielt, sei demnach auch falsch. Leider habe ich bisher keine andere, adäquate Schreibweise ermitteln können, die niemanden ausschließt und so im nachfolgenden Text die einfache Schreibweise „Frau“ gewählt, ohne die Absicht, ein Spektrum damit benachteiligen zu wollen. Über Hinweise bezüglich einer passenden Schreibweise wäre ich dankbar. Seit meinem Text zum Weltfrauentag 2020 hat sich die Welt verändert. Neben all den negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie, gibt uns die Krise aber auch Chancen, neue Bewusstseinsperspektiven zu entwickeln – auch für ohnehin schon bestehende Problematiken, deren Dringlichkeit sich durch die Krise verstärkt.  Der Weltfrauentag 2021 ist wichtiger wahrzunehmen als je zuvor, denn ein Jahr in der Pandemie hat gezeigt, dass es Frauen sind, die unsere Gesellschaft …

380 Tage Hanau #wir

TW: Rassismus, Rechtsextremismus, Rassistische Gewalt, Tod Heute vor 380 Tagen wurden neun Menschen bei dem rassistischen und rechtsextremen Anschlag von Hanau ermordet. Auch heute erinnern wir daran.Auch heute gedenken wir: Hamza Kurtović Gökhan Gültekin Vili-Viorel PăunFerhat UnvarMercedes KierpaczFatih SaraçoğluSedat GürbüzSaid Nesar HashemiKaloyan Velkov 19-02-2020 Es ist der 19. Februar 2020.Ich bin in meiner Wohnung und gerade aufgewacht als ich davon erfahre. Ich weiß noch immer, was ich an diesem Tag getan habe. Was hast du an diesem Tag getan?Ich weiß noch genau, wie ich auf meinem Sofa saß und versucht habe, mit Tränen in den Augen zu essen.Ich weiß noch immer, wie ich versucht habe zu funktionieren.Ich weiß noch immer, was ich gefühlt habe. Ich kann es heute noch immer fühlen.Was hast du an diesem Tag gefühlt?Ich weiß noch immer, wie Menschen um mich herum lachten und sich amüsierten als wäre nichts gewesen.Ich weiß noch immer, wie mein Herz Stück für Stück zu brechen begann.Wie ging es deinem Herzen?Dieser Tag, der 380 Tage zurückliegt, fühlt sich gar nicht so weit weg an. Als wäre es …

Kreativität im Lockdown finden

Als im Oktober letzten Jahres langsam der zweite Lockdown einsetzte, hätte ich niemals gedacht, dass dieser für mich eine Quelle der Inspiration werden würde. Vielmehr war er am Anfang von Sorgen und Ängsten geprägt. Mir war bewusst, dass dieser Lockdown den Winter begleiten würde und man sich nicht wie im ersten Lockdown immerhin auf den Sommer und warme Tage freuen konnte. Dazu kamen die hohen, stetig- ansteigenden Infektionszahlen, die mir mehr ins Gewissen redeten als zuvor, weswegen ich mich in meinen Kontakten wieder mehr einschränkte. Das verstärkte das Gefühl der Isolation und zum Teil auch der Einsamkeit, welches sich im Winter sowieso manchmal einschleicht. Bereits gegen Ende des Sommers hatte ich angefangen, mir über den kommenden Winter Gedanken zu machen, weil ich nicht nochmal so einen Winter wie davor, erleben wollte. In dem Jahr hatte ich gerade die Schule beendet und nicht wissend, was ich machen oder werden wollte, war ich einige Zeit in der Welt und der Trübheit des Winters verloren. Als Maßnahme bewarb ich mich daher kurzfristig doch noch auf einen Studienplatz und …