In der Schule wurde mir nur wenig Raum gegeben, meine Gedanken frei zu äußern, mir eine Meinung zu Themen zu bilden. Trotzdem rang ich immer wieder darum, trotzdem irgendwie zu Wort zu kommen – Ein Erfahrungsbericht darüber, wie ich versuchte aus dem System herauszubrechen. Dass nicht ich diejenige war, die dabei auf ganzer Linie versagte, realisierte ich erst später.
Der Drang
Ich hatte schon mehrmals Texte für oder über die Schule geschrieben. Meist waren sie nur das Ventil für Wutausbrüche zu Notengebung, Rassismus und Armutsdiskriminierung. Selten hatte ich die Möglichkeit, sie vorzulesen. Wenn doch, war es dann meist nur Prosa, die ich aus der Inspiration eines Buches heraus geschrieben habe. Wenig politisch, nichts sonderlich spannendes.
In der Abschlussklasse kam es dann anders. Wir bekamen die Aufgabe, einen Text über einen sozialen Missstand zu schreiben. Während andere tagelang recherchierten, war mir sofort klar: Ich schreibe über die Tamponsteuer. Menstruation war sowieso ein Thema, das keiner meiner Lehrer*innen seit dem Sexualkundeunterricht mehr auch nur in den Mund hatte nehmen wollen. Die Petition für die Senkung hatte ich erst wenige Tage zuvor unterschrieben und geteilt.
So begann die intensive Phase der Recherche, bei der ich irgendwann mehr in dem Thema drinsteckte als in meinen Hausaufgaben. Ich hörte Podcasts, las Artikel und Erfahrungsberichte in Foren. Je mehr ich las, desto größer wurde die Wut und damit der Drang, über das Thema zu sprechen. Ich schrieb diesen Text, überarbeitete ihn über einen Monat lang fast jeden Tag. Teilweise sogar zusammen mit Nanna-Josephine Roloff, die gemeinsam mit Yasemin Kotra die Petition zur Senkung der Tamponsteuer ins Leben gerufen hatte und es letztendlich auch geschafft hat, diese im Bundestag durchzusetzen.
Geschriebenes wird zu Gesprochenem
Als der Text dann stand, entschied ich mich sogar, ihn der Klasse vorzulesen. Ich zitterte ziemlich, war mir aber sicher, dass ich jedes meiner geschriebenen und nun ausgesprochenen Worte genau so meinte. Gewiss ahnte keine*r meiner Klassenkamerad*innen, dass nun drei Seiten folgen würden, die so richtig auspackten: Gebärmutterschleimhaut, Toilettenpapier- Situation an Raststätten und Koks – und wie das wirkte. Ich blickte in erstaunte, aber wohlwissende Augenpaare.
Der Text hing schließlich noch mehrere Wochen im Schulflur aus. An einer Reißzwecke baumelte sogar ein Tampon. Das war mein Zeichen zu sagen: „Das ist nichts Ekeliges, nichts was man in der Hand verstecken muss“. Am nächsten Tag war er verschwunden.
Spätestens als mich Lehrer*innen, die nicht mal meine Klasse betreuten, auf dem Flur ansprachen und ihre Begeisterung ausdrückten, hätte ich merken müssen, dass ich etwas getan hatte, das sich in dieser Form noch nie eine Schülerin getraut hat. Niemand zuvor hatte es gewagt, diese Worte überhaupt auf Papier zu bringen und schlussendlich öffentlich sichtbar auf eine Pinnwand im B-Trakt anzubringen.
Das reicht nicht aus
Wenig später schlug ich meiner betreuenden Lehrkraft in einer Mail vor, ich könne den Text doch am Tag der offenen Tür lesen und im Anschluss noch Fragen zum Schreibprozess und zur Petition beantworten. Ich erhielt lange keine Antwort, bis sie mich irgendwann mal kurz aus dem Klassenzimmer holte, um mit mir zu sprechen. Sie teilte mir mit, dass ich den Text unter keinen Umständen lesen dürfte. Politische Positionierungen an einem Tag, der die Schule nach außen hin in einem „guten Licht“ erscheinen lassen müsse, seien nicht angebracht.
Meine Reaktion war erstaunlicherweise sehr unauffällig. Resigniert und vielleicht etwas enttäuscht von meiner Naivität ging ich zurück in den Unterricht. Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, was da eigentlich genau passiert ist. Mein Text wurde gecancelt. In eine alte, staubige Schreibtischschublade gesteckt. Aus der anfänglichen Enttäuschung schöpfte ich dann doch irgendwie noch Motivation, den Text an unterschiedlichen Stellen zur Veröffentlichung einzureichen. Und siehe da: Vier Monate später erschien genau dieser Text auf tierindir.de als Gastgedanken-Beitrag. Was für mich den Startschuss als Autorin bei TIERINDIR bedeutete, war gleichzeitig der Beweis, dass dieser Text nicht nutzlos ist, dass er gehört werden muss.
Heute, knapp eineinhalb Jahre später, frage ich mich immer noch, was an diesem Text politische Meinungsmache war. Tatsächlich beschäftigt er sich mit einem Thema, das die Politik zum Handeln – konkreter zur Senkung der Tamponsteuer – auffordert. Er setzt sich zwar für dieses Thema ein, betreibt aber keinesfalls etwa Parteiagitation oder ähnliches. Was also für meine Schule eine Möglichkeit gewesen wäre, mit gutem Beispiel voranzugehen, Vielfalt und Weitblick zu beweisen, steckte sie lieber in die erwähnte, staubige Schublade.
Was systematische Tabuisierung anrichten kann
Dieses Erlebnis verdeutlicht nur noch mehr, wie umfangreich einige Themen systematisch tabuisiert werden. Dabei braucht es gerade beim Thema Menstruation so viel mehr Offenheit für Diskussion und Aufklärung als das, was unser Bildungssystem gerade bietet. Gerade von und in Schulen.
Wie angsterfüllt junge Menschen seien können, weil sie nie richtig und vor allem offen (!) aufgeklärt wurden, zeigen die Google-Bilder-Suchergebnisse, wenn man „Blutkoageln Periode“ eingibt. Was zuerst vielleicht ein eher unangenehmerer Anblick sein könnte, ist für menstruierende Menschen teilweise Alltag. Es handelt sich dabei um ein Blutgerinnsel, das sich bei der Menstruation teilweise mit ablöst und in Farbe, Größe und Form stark variiert.
Als solch ein Gerinnsel das erste Mal bei mir selbst auftrat, war ich so schockiert und verängstigt, dass ich lange niemandem davon erzählte, mich in Panik wiegte und durch Foren arbeitete. Was ich also in den Ergebnissen in Foren vorfand, waren Bilder von eben diesen Koageln auf sorgfältig gefaltetem Toilettenpapier. Kaum vorstellbar, wie viel Überwindung es diese jungen Menschen gekostet haben muss, es zu fotografieren und ins Internet zu stellen. Manchmal sind Foren jedoch die einzige Anlaufstelle, um nach Rat zu fragen, ohne gleich verurteilt zu werden. Eben anonym und sicher.
Die Schule ist für viele junge Menschen kein sicherer Ort, um persönliche, intime Fragen zu stellen. Denke ich an meinen Aufklärungsunterricht zurück, erinnere ich mich nur an ein primäres Thema: die Pille. Nie haben wir gelernt, wie viel bzw. wenig Flüssigkeit da eigentlich aus uns raus kommen kann, wenn wir menstruieren. Wie viele verschiedenen Mengen, Konsistenzen und Farben unseren Körper auf diesen Weg verlassen. Was „normal“ ist und wann wir damit lieber eine*n Gynäkolog*in aufsuchen sollten.
Laut bleiben
In einer Sache bestätigt mich diese Erfahrung also letztlich erneut: Wir sollten nie aufhören, offen über solche Themen zu sprechen, etwas zur Enttabuisierung von so wichtigen Themen wie Sex, Geschlechtskrankheiten und eben Menstruation beitragen. Daran ist nichts Verwerfliches, nichts Ekeliges und nichts Anmaßendes. Und vor allem nichts Unangebrachtes. Es ist wichtig, es gehört zum Leben sehr vieler Menschen dazu und wird immer dazu gehören.
„Aus den Augen, aus dem Sinn“ zählt hier nicht. Es muss überall ankommen: in den Augen, den Ohren und grundsätzlich auch im Kopf. Denn nur so kommen wir weiter.
Mir ist bewusst, dass ich mit Texten wie diesen die Lücken des Aufklärungsunterrichts niemals schließen werde, aber ich kann auf genau diese Lücken aufmerksam machen. Denn es braucht Verständnis für diese Themen. Für all die jungen Menschen, die uns umgeben und auch für die, die nach uns kommen werden. Für eine aufgeklärte, offene Generation, die es sich nicht verbieten lässt, tabuisierte Themen und die eigene Meinung laut auszusprechen.
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Den erwähnten Artikel findest du hier zum Nachlesen. Weitere Informationen sind im Text verlinkt.
Text von Dessany, Illustrationen von Luise.
Dessany ist 22 und studiert Germanistik in Leipzig. Schon früh wurde das Schreiben zu ihrem Ventil. Über fast alles was sie erlebt, was sie über ihre Umwelt und sich lernt, führt sie Notiz. Nicht zuletzt, um das alles ein bisschen besser verstehen zu können.
Alle zwei Monate veröffentlicht Dessany einen Text zu ihrer Kolumne Zeitgeist*in. Darin setzt sie sich mit Themen auseinander, über die ehrlich zu reden vielleicht schwer fällt. Sie möchte ihre Leser*innen sensibilisieren und motivieren, für sich und andere einzustehen, offen zu sein. Auch bei Tabuthemen.
Luise ist junge Gestalterin und Künstlerin und lebt und studiert in Berlin an der Universität der Künste. Sie mag traurige Musik, trashige Filme, laute Konzerte und komische Comics.