Während des Abiturs, war alles ganz klar: Nach dem Abi erstmal reisen, auf geht’s, ohne Plan in die große Welt, die voller Wunder und Geheimnissen steckt. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich meinen Abschluss mitten in einer Pandemie machen würde und damit das Reisen erstmal auf sich warten lassen muss. Gut, dann halt Planänderung: Auf in eine neue Stadt ziehen, Leipzig, die wunderschöne, Hippie-Studierenden-Stadt. Ich hatte lange gespart und liebe die Unabhängigkeit, also, auf in meine erste eigene Wohnung. Nice! Nur, was mache ich mit meiner ganzen Zeit? Ich möchte mich ja auch nicht unproduktiv fühlen. Schnell einen Job gesucht und noch ein spannendes Studium begonnen, für die ganzen Vorteile, die das Studierendendasein so mit sich bringt.
Ja, da saß ich nun also in meiner Wohnung. Von einer wilden Ausreißerin wurde ich auf einmal zu einer beinahe vorbildlichen Vorzeigestudentin. Es kommt ja immer anders als Mensch denkt.
Klar, natürlich war da noch der Drang in mir mich auszuprobieren, aber dieses Gefühl von Sicherheit, das war irgendwie gut, meine Familie war stolz auf mich und so begann langsam aber sicher ein alltäglicher Trott. Ich pendelte mich ein in dieses neue Leben, Uni, Wohnung, Job, neuer Freundeskreis. Mein Lebensstil bat wenig Reibungsfläche, weder zu Verwandten, noch mit meinem Gewissen gegenüber dem gesellschaftlichen Bild, noch finanziell. Doch war das wirklich das, was ich zu dieser Zeit wollte und brauchte?
Gerade wir jungen Menschen werden nach der Schule oft mit großem Druck konfrontiert, was wir denn machen möchten und dass es doch etwas Vernünftiges sein sollte.
Wir leben in einem Land und einer Zeit, in der uns so ziemlich alle Türen offen stehen. Es gibt tausende Ausbildungsberufe und Studiengänge – in dieser scheinbar endlosen Auswahl an Möglichkeiten findet sich bestimmt schnell das richtige, weil zu oft hin und her wechseln, das wirkt ja schlimmstenfalls noch schlecht im Lebenslauf und nun ja, Zeit ist Geld.
Was aber, wenn die aufgezeigten Wege mir nicht gefallen oder ich mir einfach noch nicht sicher bin? Oft wird Mensch dann orientierungslos und schiebt diese Entscheidungen vor sich hin. Oder Mensch fällt in einen Zustand der Akzeptanz ohne wirklich zu wissen, ob der gewählte Weg zu den eigenen Bedürfnissen, Fähigkeiten/Talenten und am wichtigsten zur eigenen größtmöglichen Freude beiträgt. Denn wer Freude an dem hat was er tut wird automatisch besser darin und hat auch noch Spaß daran sich weiter zu entwickeln.
Es stellt sich also die Frage, ob wir wirklich alle Wege bereits kennengelernt haben. Denn oft wird uns nicht vorgeschlagen, dass wir ja auch als Musiker:in auf der Straße unser Geld verdienen können. Oder Yogalehrer:in würde doch genau zu deinem Talent passen.
Sowas erfahren wir nur, indem wir Dinge ausprobieren und dabei einen beweglichen Geist bewahren.
Ich besitze nichts, außer mir selbst. Der Rest sind Dinge oder Lebewesen/Menschen, welche für längere oder kürzere Zeit an mich gebunden sind. Doch jeder Freund, jedes Kleidungsstück und jedes Handy können binnen Sekunden verschwinden, raus aus dem Leben, raus aus dem Umfeld. Dann bin da nur noch ich, so wie ich gerade bin, mit meinen Gedanken, Emotionen, Problemen und Träumen. Und eben weil ich das Einzige bin, was mit voller Sicherheit immer bleibt, ist es umso wichtiger herauszufinden, wie ich leben möchte. Was mich glücklich macht. Wo ich aufgehe, lernen und wachsen, lieben und mich entfalten kann. Was meine eigene Wahrheit ist und wie ich diese leben kann.
Dass das nicht so einfach ist, den eigenen Weg zu finden und zu gehen ist klar, doch hier geht es um mich als Individuum, dafür darf ich einstehen, für mein Glück und Talent. Oftmals muss erst herausgefunden werden, was Mensch alles nicht will, um zu sehen, was Mensch dann will. Das Leben ist ein sich ständig wandelnder Prozess und das Individuum verändert sich mit ihm. Erst aus Fehlern lernen wir. Wir dürfen geduldig mit uns sein und uns Umentscheiden, unsere Meinung und unsere Richtung ändern, wenn wir der Überzeugung sind, dass dies das Richtige ist. Leben heißt auch Fehlschläge, scheitern, gewinnen, lernen, lieben, lachen, fühlen. Wer offen bleibt und groß träumt, für die Person öffnen sich manchmal die wundersamsten Möglichkeiten.
Und klar, selbst wenn Mensch gefunden hat, was einem Spaß macht, wird der Weg niemals einfach sein und das Leben stellt uns immer vor Herausforderungen. Doch es geht darum, diese mit Freude zu meistern.
Ein paar Fragen, welche nicht außer Acht gelassen werden sollten sind:
Was will ich damit erreichen? Was gibt mir mein Weg?
Will ich Geld verdienen, um mir meine einigen Träume erfüllen zu können? Warum?
Oder vielleicht: Will ich meinen Mitmenschen/Tieren/Umwelt helfen?
Will ich ein Vorbild für andere sein?
Ich für meinen Teil habe recht schnell gemerkt, dass ich jetzt gerade noch nicht bereit bin, mich festzulegen. Ich bin im Oktober kurzerhand – geplant waren 4 Tage, daraus wurden 2 Monate – in die Waldbesetzung im Dannenröder Forst gezogen und habe gesehen, wie viel mehr ich an diesem Ort gerade über das Leben und mich selbst lernen konnte. Ich habe gelernt, wie wenig Bock ich doch eigentlich momentan auf Studium und Sicherheit habe. Ich habe Lust auf Abenteuer, liebe die Gemeinschaft und die Musik und habe ein riesiges Interesse am menschlichen Körper und Geist entdeckt und diesen mit alternativen Methoden zu heilen. Ausprobieren ist mein Weg, zumindest jetzt, irgendwann möchte ich eine Osteopathie-Ausbildung machen, aber wer weiß schon, was in 1-2 Jahren ist? Also ich nicht und das ist gut so. Wer weiß, vielleicht kommt ja sogar noch etwas viel Schöneres auf meinem Weg, ich bleibe flexibel.
Es bleibt weiterhin spannend, die Welt ist groß und voller Möglichkeiten. Wir dürfen auch unser inneres Kind weiterleben lassen, in all der Offenheit und Neugier, der Art aus Fehlern zu lernen und uns an den kleinen Fortschritten und Erkenntnissen zu erfreuen.
Es gilt, den Blickwinkel zu erweitern. Sich nicht in eine vorgegebene Schublade zu stecken und sich immer wieder neu entdecken zu dürfen. Entscheidend ist das sich Loslösen davon, was als richtig und als falsch gilt und seine eigene Schublade zu bauen, wenn möglich mit abnehmbaren und erweiterbare Teilen. Vielleicht sogar aus Knete.
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Der Text ist von Emilia. Sie ist 19 Jahre alt und steckt ihre Seele in was auch immer sie so tut. Das kann alles Mögliche sein, tanzen, Gitarre spielen, die Begegnung mit Menschen, Tieren und der Natur. Sie sitzt lieber auf dem Boden als auf dem Stuhl und findet, Regeln und Normen sind dazu da, um überprüft zu werden.