Gastgedanken, Selbst & Inszenierung
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Ich zweifle, Du zweifelst, Wir alle zweifeln.

Es sind solche Tage, an denen Du zu Hause oder in der Bahn hockst und durch Instagram scrollst. Du siehst die erfolgreichen Influencer:innen mit der guten Haut, die Ex-Kommiliton:innen mit dem tollen Job und der krassen Wohnung und dann … naja, dich, wie du mit fettigen Haaren versuchst, nicht sofort anzufangen in Tränen auszubrechen. Weil du zweifelst. Du zweifelst an dir und all deinen Entscheidungen, die du bis hier gemacht hast. Ob die Trennung wirklich das Richtige war, statt Literaturwissenschaften nicht vielleicht doch lieber Soziale Arbeit sinnvoller gewesen wäre und ob du statt dem bezahlten Praktikum – UGH – nicht doch lieber das unbezahlte Praktikum – NICE – hättest annehmen sollen. Ich habe zwei Dinge verstanden:
1. NIEMAND HAT DAS LEBEN IM GRIFF
und 2. HÄTTE HÄTTE, FAHRRADKETTE

Du bist nicht allein damit.

Ich erinnere mich noch an einen Smalltalk mit einer ehemaligen Kollegin zu Beginn letzten Jahres. Gerade frisch aus dem Auslandssemester hatte ich keine Kohle, keinen Job und sah mich die nächsten Monate jammernd in der Bib sitzen, Masterarbeit schreiben und das Studium verfluchen. „Ich muss mein Leben erst mal wieder auf die Reihe bekommen“ sagte ich und stieß – statt wie normalerweise auf ein Lachen oder „Kriegst du schon hin“ auf ein nüchternes: „Niemand kriegt sein Leben auf die Reihe.“ Erster Impuls war natürlich das Bedürfnis sofort mit dem Jammern anzufangen. Ja, aber… Ja, aber was? Ja, aber bei allen anderen sieht es so einfach aus? Ja, aber alle anderen haben ein einfaches Leben? Unterm Strich wissen wir doch, dass alle ab und an strugglen. Warum haben wir also immer das Gefühl, ganz allein mit den Ängsten, Zweifeln und Unsicherheiten zu sein?

Niemand möchte nach außen hin zugeben, Probleme zu haben. Wir wollen stark und unabhängig wirken, so tun als hätten wir alles im Griff. Und nur den engsten Freund:innen erzählen wir, was eigentlich wirklich abgeht. Dabei wäre es ganz hilfreich, einfach mal zuzugeben, dass es einem schlecht geht. Der Clique einfach mal absagen, weil man gerade in Selbstzweifel versinkt. Gerade heraus erzählen, dass man jetzt in Therapie geht und es gut tut und ja, vielleicht auch einfach vor dem Bewerbungsgespräch zugeben, dass man nervös ist. Würde uns das nicht alle ein bisschen menschlicher, nahbarer und vor allem weniger allein machen? Wenn wir verstehen, dass wir nicht die einzigen und vor allem nicht die ersten mit solchen Problemen sind, merken wir, dass es grundsätzlich machbar ist. Wir merken aber auch, dass es eben nicht nur an einem selbst liegt, wenn man die eine Sache auf der To-Do-Liste heute nicht geschafft hat. Anderen geht’s genauso. Warum sollten wir also strenger mit uns sein als mit anderen?

Das Problem ist Strenge.

Und das meine ich so. Das Problem mit unserer Unsicherheit ist meistens die innere Strenge, die wir in uns selbst heranzüchten. Ob sie so klingt wie unsere Mama, unser/e Lehrer:in oder der eine Selbsthilfe-Artikel von letzter Woche: Die strenge Stimme hat ständig etwas an uns auszusetzen. Ob unsere Haare nicht gut liegen, wir zu wenig Geld verdienen oder einfach den falschen Berufsweg eingeschlagen haben – wir kritisieren uns selbst und vergleichen uns mit auferlegten Vorstellungen. Die sind zum einen gut, weil sie uns eben vorantreiben. Aber sie werden zur Katze, die sich selbst in den Schwanz beißt, wenn wir uns ihretwegen fertig machen.

Vergangen ist vergangen.

Nach dem Abi waren die meisten meiner Freund:innen und ich einfach nur LOST. Was jetzt? Ausbildung, Studieren, Praktikum oder doch einfach anfangen zu kellnern? Die zahlreichen Optionen und keine Ahnung, wo man anfangen soll. Ich hatte gehofft, dass das nach dem Studieren klarer wird, was wir vom Leben, wo wir arbeiten und wer wir sein wollen. Aber es ist genau das Gegenteil: Es ist noch schlimmer, weil wir bereits verschiedenste Entscheidungen getroffen haben, die wir potenziell bereuen können. Hätte ich doch nur das studiert, dann wäre ich jetzt weiter. Hätte ich bloß nie diesen Weg eingeschlagen… Ja gut, Leute, das können wir jetzt stunden-, tage-, wochenlang so weiterführen. Aber was bringt es jetzt, uns selbst zu bemitleiden? Um es in poesiebuchartigen Worten zu sagen: The past is the past. Focus on the future. Sternchen, Sternchen, Herz. Damit meine ich nicht, dass alles in Glitter getaucht und damit wieder gut wird. Sondern zu rallen, dass es vielleicht wirklich hätte anders laufen können, aber dass das auch nicht das Ende der Welt ist. Und dass eben auch andere Wege nach Rom führen.

Alles was wir machen, bringt uns weiter. Klingt billig, ist nur leider wahr. Das habe ich spätestens im Auslandssemester gelernt.  Auslandssemester haben mir vielleicht nicht dabei geholfen, in der Regelstudienzeit fertig zu sein, aber bereut habe ich sie nie. Auch wenn manche Wege wie ein Umweg aussehen, entstehen dabei Erfahrungen, die uns weiterbringen, selbst wenn sie auf den ersten Blick erstmal nicht so wirken.

Obwohl ich in letzter Zeit viel zu oft apathisch bin, mir zum hundertsten Mal eine Folge New Girl nach der anderen reinziehe und am liebsten das wärmende und behütete Bett nie mehr verlassen möchte, muss ich mir genau jetzt, hier und mit diesem Text mal wieder in den Arsch treten (Ja, ich sage Arsch!) Denn es wird auch irgendwann langweilig, sich selbst zu bemitleiden, wenn man sich auch genauso gut mit seinen Freund:innen einen Carrotcake reinziehen und über die Welt rumheulen kann. Das macht nicht nur sogar ein bisschen Spaß, sondern kann bestenfalls noch zu einer Lösung der Probleme führen. Wie ihr wisst, geben gute Freund:innen auch oft sehr gute Ratschläge. Gute Freund:innen erzählen aber auch ähnliche Geschichten von ähnlichen Rückschlägen, Selbstzweifeln und dem Gefühl, verloren zu sein. Selbst Power Mama hat mir deutlich gemacht, dass nichts im Leben einfach ist. Da kann man auch davon ausgehen, dass die Influencer:innen mit der guten Haut ihre ganz eigenen Probleme haben werden. Also an alle, die gerade an sich selbst zweifeln: You are not alone in this. Tut, was euch gut tut! Ob das noch eine Woche Comfort Binge Watching ist oder eben doch den Kontakt zur Außenwelt zu wagen. So oder so. Es ist okay.

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Gastgedanken von Linh. Sie hat „irgendwas mit Medien“ studiert und liebt gute Pommes mindestens genauso wie Serien aus den 90ern. Am liebsten macht sie lange Spaziergänge mit ihrer Analog-Kamera oder geht in Kunstausstellungen, ob wegen der Kunst oder der großen weißen Räume, weiß sie aber auch noch nicht genau.
Die Bilder sind auch von Linh.

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