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Cancel-Christmas

Ich gebe es zu – ich mag Weihnachten nicht besonders. Wo andere Besinnlichkeit, Geschenke und Familienzeit sehen, sehe ich Kitsch, sinnlosen Konsum und naja – Familienzeit. 

Es gibt so viele Gründe Weihnachten nicht zu mögen. Das Hauptargument ist wohl der sinnlose Konsum (jede:r durchschnittliche Deutsche gibt im Jahr 200-300 Euro für Weihnachtsgeschenke aus). Geschenke, die für immer versauern, werden an Verwandte geschenkt, die man sonst nie sieht. Deko und lustige Weihnachtspullover müssen gekauft werden, um sich so richtig festlich zu fühlen. Hand in Hand damit geht die massive Umweltverschmutzung durch Verpackungsmüll, Geschenkpapier und sinnlosen Konsum. Dazu kommt noch ein verstärkter Fleischkonsum, unzählige abgeholzte Bäume, die wir vor unseren Augen vertrocknen lassen, um sie dann aus dem Fenster zu werfen und die Ikonisierung der gesellschaftlich konstruierten, heteronormativen Kleinfamilie.

Meine persönliche Weihnachtsabscheu wurzelt tief. Anfangs wusste ich noch nichts von all diesen schlauen Argumente, mit denen ich mittlerweile meine Antipathie kontextualisieren kann. Als Kind einer katholischen Familie heißt es an Weihnachten nicht Punsch und Geschenke, sondern Mitternachtsmesse und Besinnung. Ich verinnerlichte dafür früh den ursprünglichen Gedanken von Heiligabend, der im krassen Widerspruch zum Jahreskonsumgipfel steht. 

Anfangs dachte ich immer, ich würde was falsch machen, ich würde nicht besinnlich genug sein oder christlich oder whatever. Jahr um Jahr hab ich versucht mich aus dem Weihnachtskarussell zu winden, bin regelmäßig erkrankt, habe mich beim Familienessen übergeben, versucht meine angeblich antikapitalistisch verwurzelte Weihnachtsabscheu zum Grund zu nehmen, wenigstens die Geschenke zu umgehen. Aber es. hilft. alles. nichts. Anscheinend ist immer Gegenteiltag, wenn man mit Leuten ausmacht keine, und zwar wirklich keine Geschenke zu machen.

Viele von meinen Freundinnen mögen Geburtstage nicht, weil sie sich nicht an einem zufällig ausgewählten Tag feiern lassen wollen. Ich will nicht an festgelegten Tagen besinnlich und entspannt sein – ich will nicht so tun müssen, als fände ich es angenehm mit meiner Familie stundenlang in einem viel zu warmen Raum zu sitzen und die vegetarische Beilage zu essen. Es gibt einen Grund warum manche Familien sich nur an Weihnachten und Ostern sehen – bestimmt nicht der christliche Glaube. 

Aber dieses Jahr, dieses beschissene 2020, wo Beziehungen endeten, Jobs verloren gingen, Freundschaften zerbrachen, Auslandsaufenthalte, Urlaube, Festivals ins Wasser fielen, ein großer Teil der Menschen zwischen 40 und 50 (wie Nena) völlig durchdrehten – dieses Jahr war Weihnachten ein Lichtblick für mich. Endlich hatte das Christkind mir meinen Wunsch erfüllt – Heiligabend im Lockdown. 

Keine Kirche, keine Familie, keine Geschenke, kein Last-Christmas-Ohrenbluten – just me myself and I, die vegetarischen Beilagen und Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. 

Anscheinend sind christliche Traditionen aber stärker in diesem Land als unsere Gesundheit (siehe Verhütung). Und so kommt es, dass Corona spontan Ferien macht und zwar witzigerweise genau über Weihnachten. Für viele Leute sind das gute Nachrichten, zwar nicht für Pflegekräfte, Ärzt:innen oder Menschen mit Vorerkrankungen, aber für die Familien, die jetzt nach diesem harten Jahr endlich wieder zusammen sein können. Leider bleibt es hart für alle, wenn über Weihnachten alle richtig schön mit unseren Familien drinnen sitzen. 

Natürlich ist es schön für alte Menschen, nicht so viel alleine zu sein, aber will man wirklich das Risiko eingehen, seine Großeltern anzustecken? Und wieso gibt es entweder Lockdown oder man darf Weihnachtsbäckerei spielen? An den jüngsten Corona-Maßnahmen ist einiges unsinnig, wie dass Museen zu sind, aber Shoppingmalls ohne Besucher:innengrenze offen, hello capitalism. Und natürlich ist eine Regelung, die Familien mit vielen Kindern berücksichtigt auch richtig, aber muss man einer eh schon vom Lockdown genervten Bevölkerung hinwerfen, es wäre jetzt ok, eine Woche lang jeweils 10 Menschen zu treffen? Hat mal jemand darüber nachgedacht, wie viele Menschen eine einzige Person so anstecken kann?

Anfang Dezember hat in Berlin die Corona-Ampel ein weiteres Mal auf rot geschaltet – die Anzahl von freien Intensivbetten ist kritisch. Aber es ist doch Weihnachten! Seit wann entsprechen 10 Menschen eigentlich der christlichen Kleinfamilie? Wie kann unser Land behaupten, kein säkularer Staat zu sein, wenn die Gesundheit breiter Bevölkerungsteile weniger wert ist als ein christlicher Feiertag?

Und es geht doch auch anders. Wieso bleiben nicht die geltenden Kontaktbeschränkungen bestehen, alle bekommen zwei Wochen früher Ferien oder die Garantie auf ein Mindestmaß Homeoffice (ja, das bedeutet auch kürzere Arbeitszeiten und finanzielle Unterstützung durch den Staat) und die Leute die mit vielen Haushalten feiern wollen, gehen vorher in Quarantäne? Vielleicht kann das alles auch als Einladung genommen werden, Weihnachten mal ganz anders zu gestalten. Hier sind meine Tipps für ein Corona-sicheres Weihnachten. 

Spazieren mit Glühwein

Ihr wollt euch besinnungslos mir eurer Familie einen reinsaufen und langsam in politische Debatten abdriften. Wieso keinen Ausflug machen? Packt den Glühwein ein, setzt den Haselnussschnaps auf und zieht los – in jeder Stadt gibt es so viel zu entdecken. Sucht euch am besten eine Gedenkstätte und stratzt mit eurer Familie dahin. Für die Eltern eignen sich DDR-Denkmale und wolltet ihr nicht schon immer mal wissen was eure Großeltern vor 1945 gemacht haben?

Geld wärmt auch

Shoppen ist gerade das einzige, was noch geht. Wieso immer so tun als würde man den anderen was Schönes geben wollen? Kauft einfach alle den größten Trash (alles für die Wirtschaft) und macht einen großen Scheiterhaufen, das verbindet und ihr habt mehr davon, als wenn der Fotoschal und der selbstgebastelte Kalender unterm Sofa vergammeln. Spätestens beim gemeinsamen Lagerfeuer sollte sich die gewünschte Besinnlichkeit einstellen.

Zoom mit der Familie

Mein persönlicher Weihnachtstraum. Videotelefonie statt Wohnzimmerschimmeln. Auch viel umweltfreundlicher. Sobald die Verwandten Fragen an dich richten, kannst du sie mit dem Wechseln des Hintergrundbildes ablenken, oder mit einem Standbild so tun als wärst du eingefroren. Wenn alle Stricke reißen – uups Verbindung abgebrochen. 

Alternativer Gottesdienst

Wieso immer Krippenspiel? Weiß doch eh jeder, wie’s ausgeht – Stellt doch über Zoom die Punk-Messe von Pussy Riot für eure Verwandten nach oder schaut zusammen “Das Leben des Brian”.

Besinnlichkeit

Die selbstgewählte Isolation, kann auch so viele Möglichkeiten bringen. Nutzt die Zeit, alles aufzuschreiben was ihr an euren Verwandten mögt und vermisst und wer weiß, vielleicht wird Ostern dadurch umso schöner!

Clara lebt in Berlin und studiert Kunstwissenschaft an der Technischen Universität. Neben der Uni schreibt sie über ihre spöttischen Gedanken, liest alles was sie über zu Unrecht vergessene Künstlerinnen finden kann und legt Tarotkarten. Mit ihrer Arbeit will sie Perspektiven außerhalb des Kunstkanons aufzeigen und Andere zum Handeln animieren.

Mit Collagen von Imina.

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