Es ist besser, ich halte mir die Liebe vom Hals.
Ich bin achtzehn und ungeküsst. Die meisten meiner Freunde sind bereits seit Jahren in festen Beziehungen und haben all ihre „ersten Male“ bereits hinter sich. Ich finde eh, das ist ein komisches Konzept und auch sonst habe ich mich daran gewöhnt, ewiger Single zu sein und zu bleiben. Es kommt eben wenn es kommt, sagte ich immer und immer wieder und obwohl viele mir nicht glauben, meine ich es.
Und dann kommt es.
Ich habe gerade mein Abitur hinter mir und kann endlich wieder aufatmen. Die Schule macht mich seit Jahren fertig, ich bin froh, sie endlich rum zu haben. Dank der Pandemie, sind mir sämtliche Partys deswegen erspart geblieben, ich musste nicht mal irgendwelche Ausreden erfinden, warum ich nicht gehen kann.
Also entscheide ich mich zum ersten Mal in meinem Leben, wirklich nur das zu machen, was ich möchte. Ich schlafe morgens aus, trinke zu viel Kaffee und verbringe meine Tage damit, nachmittags ehrenamtlich im Tierheim Gassi zu gehen.
Ich gehe bestimmt zwei Wochen täglich ins Tierheim bis Joshua mich fragt, ob ich eigentlich schon mal die Boxen der Hunde gesehen habe.
Joshua, der Tierpfleger, der mich immer so lieb anlächelt.
Bevor ich es realisiere, haben wir uns verabredet zum gemeinsamen Laufengehen (denn wir haben den selben Lieblingshund, passt doch)
Innerhalb einer Woche verändert sich alles und doch nichts.
Am Montag gehen wir zusammen laufen, er wartet schon auf mich als ich angefahren komme und wir sitzen zwei Stunden auf einer Picknickdecke, die er mitgebracht hat, weil Ailina keine Lust mehr zu hat sich zu bewegen und lieber gestreichelt werden will. Wir reden und lachen und er küsst mich nicht als wir uns verabschieden (ich habe also ganz umsonst „How to kiss“ auf youtube gesucht und extra Labello mit Kirschgeschmack gekauft, damit ich gut „schmecke“) dafür tauschen wir Nummern aus.
Am Mittwoch hole ich ihn von der Arbeit ab und wir gehen chinesisch essen. Er zahlt während ich auf dem Klo bin. Ich merke, dass mir die Zeit viel zu schnell umgeht, also ergreife ich die Initiative (was ich nie mache, vor allem nicht, wenn es um noch mehr sozialen Kontakt geht) und frage ihn, ob er noch etwas an unserem Dorffluss spazieren gehen will. Er freut sich und willigt ein. Eine Stunde später sitzen wir auf einer Bank im Dunkeln und machen rum. Ich bin nicht mehr ungeküsst und dafür umso glücklicher. Wir sitzen bis halb eins am Wasser, glücklich miteinander, und rennen dann praktisch zurück zum Auto, da keiner von uns gemerkt hat wie kalt es eigentlich inzwischen geworden ist.
Am Donnerstag fahre ich abends spät zu ihm nachhause und habe eine leise Vorahnung, was passieren könnte. Und es passiert dann auch. Er fragt mich mehrmals ob ich mir sicher bin, ich versichere ihm, dass ich es bin. Er betont, dass wir warten können, dass es ihm nicht darum geht und er sagt es so, dass ich es ihm glaube. Er weiß nicht, dass er mein erster ist, er weiß eigentlich kaum etwas über mich und ich fühle mich schlecht deswegen. Es tut nicht weh, wie alle es beschreiben und danach liegen wir noch lange zusammen. Er umarmt mich von hinten und hört nicht auf, kleine Küsse auf meinem Gesicht zu verteilen. Ich bin schon halb eingeschlafen, als er einen Kuss auf meine Schulter drückt und fragt, ob ich heute bei ihm schlafe. Ich murmel Ja zurück und füge schnell hinzu: „Wenn es okay ist.“ Er lächelt mich wieder so an und versichert mir, er würde es nicht anders wollen.
Ich bin am Samstag das nächste mal bei ihm, als ein Freund ihn anruft und fragt, ob er heute abend auch kommen würde. Er lehnt ab und begründet es damit, dass er lieber mit seiner Freundin chillt. Ich bin mir nicht sicher, wann wir zusammengekommen sind aber jetzt ist es wohl so. Ich bin in einer Beziehung, so fühlt sich das also an. Später an dem Tag, zeigt mir seine Mama wo sie die Zahnbürste, die sie für mich gekauft hat, hingestellt hat.
Am Sonntag bin ich wieder bei ihm. Es ist das sechste oder siebte mal, dass wir miteinander schlafen, als er mir sagt, dass er mich liebt. Ich sage es zurück, obwohl ich es nicht meine und er kommt.
Die Woche darauf gehen wir zusammen ins Kino, so richtig als Freund und Freundin. Am nächsten morgen verschüttet er das restliche Popcorn im Bett und wir lachen stundenlang darüber. Er richtet eine extra Bettdecke für mich, da er die eine die wir uns bis dahin geteilt haben, im Schlaf immer zu sich zieht, aber nicht möchte dass ich friere. Bald kriege ich neben Zahnbürste und Decke auch noch ein Handtuch. Ich werde Freunden vorgestellt und zu Familienfeiern eingeladen, die ich bis jetzt geschickt umgehen kann. Wenn wir nachts zusammen im Bett liegen, flüstert er mir immer wieder ins Ohr, wie sehr er mich liebt, dass es sich anders mit mir anfühle und ich etwas ganz Besonderes sei. Er sagt mir immer wieder, er lasse mich nicht mehr gehen.
Ich weiß, ich werde sein Herz brechen.
Vor ein paar Tagen hatten wir unser Einmonatiges. Anhand des Datums weiß ich jetzt, dass wir wohl an dem Abend auf der Bank zusammengekommen sind. Ich verspreche, ich komme an dem Tag vorbei, und er ist so verständnisvoll als ich es doch nicht schaffe. Ich kriege eine rote Rose geschenkt. Seine Mama erzählt mir, er habe noch nie einer Freundin Blumen geschenkt. Generell erzählt sie mir, sie habe ihn noch nie so glücklich gesehen. Es passt einfach.
Sie hat recht, es passt schon irgendwie. Ich bereue nichts. Er ist der perfekte erste Freund. Ich liebe ihn nicht. Ich bin davon überzeugt, man könne niemandem nach einem Monat lieben. Ich bin noch gar nicht sicher, ob Liebe nicht nur eine Illusion ist.
Was ich weiß: Ich bin noch nicht bereit, geliebt zu werden. Ich will keine Beziehung. Zum ersten mal verstehe ich Jamie (aka Mila Kunis) in Friends with Benefits, die einfach nur guten Sex wollte und keine Beziehung. Der Unterschied ist, dass ich mich am Ende nicht dem perfekten Freund hingeben werde.
Ich muss Schluss machen, aber ich habe schreckliche Angst davor, ihm das Herz zu brechen.
Wenn ich nachts neben ihm liege, frage ich mich manchmal, was eigentlich falsch mit mir ist. Ich lege meinen Arm um ihn und fange an, seinen Rücken zu streicheln und er zieht mich sofort näher. Ich bin schon glücklich, er schafft es mich zum lachen zu bringen. Wir lachen eigentlich die ganze Zeit. Ich fühle mich auch so wahnsinnig wohl mit ihm. Es scheint eigentlich perfekt. Ich bin mir sicher, jemand anderes wäre unendlich glücklich mit ihm.
Ich bin es auch, aber ich kann nicht mit ihm zusammen bleiben.
Ich fühle mich schlecht deswegen, aber ich sehe ihn nicht in meiner Zukunft. Ich möchte in eine Großstadt ziehen, reisen, ich möchte daten und One Night Stands haben. Ich will leben. Ich will meine große Liebe nicht mit achtzehn finden.
Liebe macht mir Angst. Jemandem zu zeigen, wer man wirklich ist, macht mir Angst. Vielleicht, weil ich es selber noch nicht weiß. Ich lerne, das ist okay.
Ich plane immer und immer wieder in meinem Kopf, wann ich Schluss mache und er sagt mir immer und immer wieder, wie sehr er mich liebt.
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Gastgedanken von Julia. Sie ist achtzehn und junge Künstlerin. Sie träumt davon, Kommunikationsdesign in Berlin zu studieren und liebt Kunst, Hunde und Vodka.
Foto von Fritzi. Bearbeitung von Imina.
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