Liebe & Triebe
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Grand Budapest Hotel

Wer als junger Mensch schon mal in Budapest war, kennt die Stadt vermutlich als Party-Hochburg, wo sich Erasmus-Studis und Backpacker auf den Hochbetten der Hostel-Mehrbett-Zimmer stapeln. Ich habe Budapest anders erlebt. Als Ehrenamtliche im Bereich der sozialen Arbeit in einem Vorort, brauchte ich eine knappe Stunde in die Stadt und meine Community dort musste arbeiten, was das Feiern doch ein wenig einschränkte. Ich lernte die Stadt ein bisschen anders und ein bisschen genauer kennen und verbrachte tolle Abende in gemütlichen, nicht ganz so touristischen Kerts (Biergarten im Budapest-Style) und hatte meine Geheimspots, die ich bis heute liebe. 

An einem Wochenende kam mich eine Freundin aus der Heimat besuchen, die zuvor schon mal als Backpackerin in Budapest war – natürlich auf einem Hochbett eines Hostel-Mehrbett-Zimmers mit 15 weiteren miefigen Low-Budget-Touristen. Ich brauche nicht weiter zu erläutern, wie empört sie darüber war, was ich für einen langweiligen Lifestyle in dieser schillernd-versufften Stadt lebte. Da sie auch nun wieder in einem Hostel in der City unterkam, ließ ich mich darauf ein, einen Abend, eine Nacht mit ihr zu verbringen. Wir kauften uns Tickets für eine Fahrt mit einem dieser berüchtigten Party-Boote, die nachts auf der Donau schipperten. 

Ein Boot, viel Alkohol und ungehemmte Hormone

Es floss viel Alkohol. So viel, dass ich kaum spannende Details erzählen kann. Zumindest nicht bis zu dem Zeitpunkt, an dem es wirklich spannend wurde. Wer schon mal auf so einem Party-Boot war, der weiß vielleicht, dass es dort eine Regel gibt: Wann immer unter einer Brücke hergefahren wird (Budapest hat viele Brücken…), muss mensch jemanden küssen. Die Agenda dieser ganzen Party war kristallklar. Nicht nur Alkohol, sondern auch die Hormone der jungen hippen Reisenden sollten fließen und unter keinen Umständen gehemmt werden. 

Nun, ich würde sagen diese Regel kam mir, als eher zurückhaltende Person, an diesem Abend zugute. An diesem Abend kamen meine Lippen geografisch gesehen mehr herum, als es der Rest meines Körpers bis heute tat. Ich küsste einen Kanadier, einen netten Mann aus Neuseeland, einen, mit dem ich nicht gesprochen hatte, doch der mit Sicherheit auch aus einem interessanten Land kam. Als gerade niemand anderes verfügbar war, küssten meine Freundin und ich uns. So viele Münder an einem Abend. Das erlebte ich kein zweites Mal.

Am Ende der Bootsfahrt waren Lippen, Hormone und andere relevante Körperlichkeiten ziemlich aufgeheizt. Endorphin, Serotonin und der hohe Alkoholgehalt in meinem Blut machten mich glücklich, zufrieden und sehr redselig. Während wir wieder an Land traten, machten wir uns mit zwei großen gutaussehenden Australiern bekannt. Zu viert schlenderten wir durch die in bunten Lichtern funkelnden Gassen der Stadt zum Fagos, wo die Anschluss-Party stattfinden sollte. 

Der namenloser Australier

Was soll ich sagen, einer der beiden Australier, dessen Namen ich beschämenderweise nicht mehr erinnern kann, hatte es mir einfach angetan. Das ganze Miteinander mit diesem Menschen war einfach hot. Wir redeten und lachten. Er war Ende 20, ich Anfang 20, er war groß und hatte eines dieser bunten Hipster-Retro-Hemden an, die in diesem Sommer jeder und jede trug. Ich hatte meine neue Jeansjacke mit den fancy goldenen Verzierungen an, die ich mir im angesagtesten Vintage-Shop Budapests gekauft hatte. Er war heiß, ich war heiß, beim Tanzen schmiegten sich unsere Körper aneinander, als hätten sie nie etwas anderes getan. Es war ein Abend, an dem der Moment einfach ausgekostet werden musste. Wir küssten uns und alles um uns herum war egal. Ich war wie in Trance und liebte es. 

Irgendwann hauchte er mir ins Ohr: „I wanna take your clothes off“… Huiiii, in was für einem Film spiele ich hier gerade mit? Wo sind die Kameras? Ab diesem Moment stand das Drehbuch für die nächste Szene fest. Ich suchte meine Freundin, die auch vor hatte mit einem Typen ins Hostel zu gehen. Sie machte solche Aktionen öfter, ich nicht. Sie gab mir noch mit auf den Weg, dass ich nichts tun sollte, was ich nicht wollte. Ich versicherte ihr, dass ich klarkam und verschwand mit dem Namenlosen.

Auf dem Weg unterhielten wir uns; über was, kann ich nicht mehr genau sagen. Ich meine im Nachhinein zu erinnern, dass er mir erzählte, Redakteur beim Vice Magazine Australia zu sein. So richtig glauben kann ich mir das bis heute nicht, muss mir aber eingestehen, dass mein Gedächtnis mich selten belügt und auch Alkohol keine absoluten Filmrisse verursacht. Dass ich es mir nicht glauben kann, liegt wohl einfach an der absoluten Surrealität dieses ganzen Abends. Alles was geschah, vom Anfang bis zum Ende, war weit, sehr weit von meinem gewöhnlichen Sein entfernt. Was es aber auch 1000-mal aufregender machte!

„Es muss sein!“

Mr. Vice Magazine hatte allerdings auch nur ein Etagenbett in einem Party-Hostel angemietet. Mein Bett stand in einem Vorort, eine Stunde entfernt, in einem Zimmer, das ich mir mit einer anderen Ehrenamtlichen teilte. Wo gehen zwei Menschen hin, die unbedingt in dieser Nacht miteinander schlafen mussten? Wir wollten es beide und wussten es. Es war ein inneres „Es muss sein!“, das von uns beiden ausging. 

So fand ich mich nach einem nächtlichen Spaziergang an der Rezeption eines Fünf-Sterne-Hotels wieder an der Seite dieses großen Mannes. Der Rezeptionist teilte uns mit, dass er noch ein Zimmer mit einem grandiosen Ausblick auf die Skyline der Stadt frei hatte. In seinem Gesicht war abzulesen, dass er wusste, was abging. Wir waren offenkundig betrunken und sahen aus wie bunte Hippies, die nicht in dieses elegant glänzende Etablissement des Hotels passten. Der Australier zahlte umgerechnete 100 Euro für unsere Sex-Suite und ich sah mich nicht in der Verantwortung, ihn davon abzuhalten. 

Wir fuhren mit dem Fahrstuhl hinauf und fielen wieder übereinander her. Oben angekommen, legten wir alles ab und er sagte Dinge wie „You look so damn sexy“ und ich fragte mich wieder, ob ich hier in einem Film gelandet war. Die Realitätsklatsche kam, denn wir hatten kein Kondom. Er zog sich daher nochmal an und ging raus, um welche zu besorgen. Ich hielt mich bei Laune und als er wieder kam, wurde die Szene abgedreht. 

Abgekühlt im Keller der Hormone

Der nächste Morgen war ernüchternd. Die Hormone in mir hatten sich wieder auf einem niedrigeren Level eingependelt, mein Körper hatte sich abgekühlt und das grelle Sonnenlicht nahm die romantisch-filmische Stimmung. Es war 8 Uhr morgens und ich wollte nichts als weg. Langsam zog ich mich an und hoffte, dass er mich nicht hören würde. Ich weiß, dass das ein ziemlich unreifer Move ist und doch kommt auch hier der filmische Charakter der Geschichte zum Vorschein. Leider ging mein Plan nicht auf und er fragte verschlafen, wieso ich denn schon gehen wollte. Ich stotterte etwas von Arbeit und dass er sich ein Luxus-Frühstück gönnen sollte. Wir sagten beide, dass es ein schöner Abend war, küssten uns ein letztes Mal und ich ging zur massivhölzernen Hotelzimmertür hinaus. 

Verträumt und perplex nahm ich meinen Weg in den Vorort auf. In der Tram, in der Metro, auf dem Fußweg konnte ich die letzten 10 Stunden meines Lebens nicht fassen. Ich hatte den ersten One-Night-Stand meines Lebens mit einem Australier in einer 5-Sterne-Hotelsuite mit Blick über die Dächer von Budapest. Da werden meine Freunde wieder was zu lachen haben. Denn wenn ich mal eine Geschichte zu erzählen habe, dann eine dieser Art!

Der Text wurde anonym eingereicht.

Die Fotografien sind von Jule Heinrich. Sie ist 21 Jahre alt, lebt in Hamburg und studiert an der HfbK. Es gilt der Versuch Ungreifbares greifbar erscheinen zu lassen, Gefühle und Gedanken sichtbar zu machen und bloß nichts Erlebtes zu vergessen. Das Fotografieren begleiten sie dokumentarisch durch den Alltag.

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