Auf TikTok geht gerade (bzw. ging gerade – auf dieser Plattform kommen und gehen Trends ja eigentlich wöchentlich) ein Trend um, in dem ein Audio im Hintergrund abgespielt wird, in dem eine eingängige Klaviermelodie gespielt wird und eine junge Frau sagt: „You have to start romanticizing your life. You have to start thinking of yourself as the main character. Cause if you don’t, life will continue to pass you by and all of the little things that make it so beautiful will continue to go unnoticed. So take a second and look around and realize that it’s a blessing for you to be here right now.“
Über diese Audiospur schneiden tausende von Leuten (meistens weiß und im klassischen Sinne schön) Highlight-Reels ihrer letzten Monate/Jahre zusammen: Meistens sieht man schön drapiertes Essen, besondere Städtetrips, Feuerwerke, Händchen halten und vor allem Sonnenuntergänge. Alles ist gefiltert, bunt, wunderschön und glitzert. Dieser Trend wird auf unterschiedlichsten anderen Plattformen übernommen: Menschen stellen ihre Lieblingsprodukte zusammen, die „essenziell“ sind, um sich das Leben schön zu machen. In vielen Podcasts werden Tipps gegeben, wie man das eigene Leben am besten romantisieren kann.
An sich sind diese Gedanken eine schöne Idee. Wie umsetzbar sind sie, wie sehr setzen wir sie vielleicht auch schon unbewusst um? Wie viel ist dran an diesen mit emotionaler Musik hinterlegten Worten? Ich bin zwiegestalten, was diesen Trend angeht. Denn auf der einen Seite finde ich die Aussage sehr schön und wichtig, gerade in Zeiten von Social Media. Auf der anderen bin ich aber auch der Meinung, dass es Grenzen gibt (gerade in Zeiten von Social Media) und dass der Trend nicht so einfach und mit Klaviermusik angewendet werden kann.
„You have to start romanticizing your own life.“
Eigentlich ist diese Aussage schlichtweg eine Lüge – denn wir alle romantisieren unser Leben schon zu hauf in den sozialen Medien: Wir stellen in unseren „Highlights“ die besten Stories kategorisch zusammen, kuratieren unseren Feed farblich passend, können zwischen tausenden Face-Filtern auswählen die unser Gesicht schlanker und den Sonnenuntergang noch schöner machen. Daher stellt sich mir die Frage, woher der Gedanke kommt, dass wir nicht schon genügend romantisieren und fein-filtern würden und nochmal eine Erinnerung daran brauchen, jetzt endlich damit anzufangen.
Wenn ich an Romantisierung denke, kommen mir gleich irgendwelche Rom-Coms in den Kopf, oder diese Szene in Tatsächlich Liebe, wo sich all diese Menschen vor Weihnachten am Flughafen in die Arme fallen. Irgendwie geht es doch darum, das eigene Leben wie einen Film zu betrachten (der auf jeden Fall ein Happy End hat): Was ist dann, wenn die Dinge man nicht so laufen wie man das gern hätte? Verliere ich nicht irgendwann den Realitätsbezug, wenn ich die Dinge nur schön rede und mir Kerzen anzünde und eigentlich ja alles schön ist wenn ich mir die Bilder zusammenschneide, wie sie passen?
Diese Romantisierung hat, zumindest auf TikTok auch (wer hätte es gedacht) immer mit Kapitalismus zutun: Denn es geht in diesen Videos immer darum, eine schöne Reise zu machen oder ein riesiges Picknick oder zumindest irgendwas zutun, um Geld auszugeben um damit zu beweisen, wie geil das eigene Leben ist.
„We would rather choose to be ignorantly happy living inside the bubbles of romantic ideas of reality than living in the reality itself.“
@sangraminglama auf medium

„You have to start thinking of yourself as the main character.“
Eigentlich auch ziemlich klar formuliert: Es geht darum, den Hauptcharakter im eigenen Leben darzustellen – nicht zwanghaft das eigene Glück von anderen Personen abhängig zu machen, sich selbst & die eigenen Bedürfnisse ganz vorn anzustellen. Auf jeden Fall auch ein guter Ansatz, der wichtig ist, um ein erfülltes Leben zu leben.
Aber wird man hier nicht noch mehr dazu gedrängt, sich immer weiter zu individualisieren? Individualisierung ist ein riesiger Trend, es ist cool, sich von anderen abzugrenzen und anders zu sein „als alle anderen“. Eigene Freiheiten & Verwirklichungsmöglichkeiten werden durch Soziale Medien größer, die Digitalisierung gilt als Treiber von Individualisierung1. Es geht darum, anders zu sein und es anderen auch zu beweisen. Die Frage ist nur, ob es unbedingt in jedem Falle gut ist, wenn wir selbst die „main characters“ sind, aber aufhören, nach links oder rechts zu schauen und es verlernen, uns auch als Ganzes zu betrachten.
„Realize that it’s a blessing for you to be here right now.“
Wir romantisieren unsere Träume und das, was wir uns wünschen, immer. Natürlich ist es gut, sich das eigene Leben schön zu machen und es sich manchmal vielleicht auch schöner zu reden, als es eigentlich gerade ist.
„[…] romanticizing life, just like falling in love, is a choice to let reality (or a feeling in the second case) go to the edge of its potential.“
collegefashion.net/
Das Wichtige ist nur dann, den Träumen nicht mehr Platz im Leben einzuräumen, den Realitätsbezug nicht aus den Augen zu verlieren. Eine gesunde Balance aus beiden zu halten. Es sich schön zu machen aber auch zu akzeptieren, wenn’s mal scheiße läuft. Die Frage ist ein bisschen, ob ich mein Leben romantisieren muss, um es schön zu haben bzw. es zu lieben und wo der Unterschied zwischen beidem liegt.
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Worte & Grafik von Imina.
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