Körper & Bewusstsein
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Wir haben verlernt, uns zu langweilen

Ich bemerke es meistens erst, wenn es sowieso schon zu spät ist und ich mich selbst dabei ertappen muss, dass ich die ersten 10 Minuten meines Tages auf den Bildschirm meines Smartphones gestarrt habe. Welche Bilder alle an mir vorbeigeflogen sind und wem ich Likes gegeben habe, habe ich mir nicht gemerkt. Es ist mir eigentlich auch total egal. Morgens ist es das Erste, was ich tue. Und abends, kurz bevor mir die Augen zufallen, ist es das Letzte. 

Seit einigen Wochen beobachte ich mich nun selbst und ich finde es unfassbar erschreckend, wie viel Zeit ich an meinem Handy verbringe. Am meisten jedoch auf Instagram. Meine Benachrichtigungen für diese App habe ich schon seit längerer Zeit ausgestellt. Außerdem folge ich nur noch Menschen, die mir wirklich gut tun und mich positiv beeinflussen. Meine ich zumindest.

Trotzdem fällt es mir schwer, direkt nach dem Aufwachen das vermeintlich glückliche Leben unzähliger Menschen ins Gesicht gedrückt zu bekommen. Natürlich beeinflusst es mich, wenn ich sehe, wie voll der Terminkalender von Daria Daria heute ist, bevor ich überhaupt einmal aus meinem Fenster geschaut habe, um zu sehen, ob heute die Sonne scheint oder nicht. Natürlich vergleiche ich mich mit ihr, natürlich ist mein Tag nicht so verplant. Direkt tauche ich also in die virtuelle Welt ab, bevor ich überhaupt in der realen Welt ankommen kann. Natürlich habe ich schon versucht, mein Handy einfach mal weg zu legen, aber so leicht ist das leider nicht.

Ich stecke im Automatismus fest

Das Schlimmste an der ganzen Sache ist jedoch, dass ich es oft gar nicht so richtig bemerke. Mir ist nie wirklich langweilig, weil ich vorher schon wieder auf mein Handy starre. Reflexartig aktualisiere ich in jeder freien Minute meinen Feed und schaue, ob es etwas Neues gibt. Laut einer Studie verläuft so mehr als die Hälfte unserer Smartphonenutzung. Es ist ein Automatismus, den wir erlernt haben und nun immer wieder und wieder ausführen. Jede:r von uns kennt sicher das Gefühl, wenn wir unser Handy zücken und eigentlich gar nicht so wirklich wissen, was wir gerade nachgucken wollen. Beim Warten auf die Bahn oder im Restaurant zum Beispiel. Wir haben uns einfach viel zu sehr daran gewöhnt, in jeder freien Minute das Smartphone anzuschmeißen, um auf den nächsten Dopamin-Kick zu warten. 

Dopamin sorgt für Glücksgefühle

Denn das Scrollen durch den Newsfeed schüttet Glückhormone aus. Ähnlich wie bei Alkohol, Nikotin oder durch Zucker kann auch durch zu viel Zeit am Handy oder Social Media zu viel Dopamin ausgeschüttet werden. Dieser Botenstoff stimuliert unser Belohnungssystem und sorgt für ein echt tolles Gefühl der Zufriedenheit. Erschreckend. 

Ich habe verlernt, mich zu langweilen

Ich habe verlernt, mich zu langweilen. Ganz egal, ob es beim Warten auf den nächsten Bus, im Wartezimmer beim Arzt oder an einem verregneten Sonntag ist – mein Handy habe ich immer dabei. Das Gefühl der Langeweile hat überhaupt keine Chance mehr. Und obwohl unsere Hirnaktivität bei Langeweile nur minimal abnimmt, kommt es zu einem entscheidenden Prozess, den man in der Psychologie als Gedankenwandern bezeichnet. Wer sich langweilt, schafft Platz im Kopf. Das bringt neue Ideen, weil die Gedanken sprichwörtlich in Hirnwindungen wandern, die sie sonst nie betreten hätten.

Wir werden manipuliert

Unterstützt wird das ganze vom sogenannten Addictive Design, welches bewusst versucht, Suchtverhalten zu verursachen. Dafür manipulieren die Designer:innen der Nutzeroberflächen sozialer Netzwerke gezielt die Neurochemie der Nutzer:innen. So sind zum Beispiel die wichtigsten Buttons immer am Daumen ausgerichtet, um schnell auf das Wesentliche zu reagieren. Das Hauptziel ist, so viel Zeit, wie es nur geht, auf Social Media zu verbringen und die App im besten Fall gar nicht mehr zu verlassen. Na klasse. 

Ständige Ablenkung

Ich habe ein wenig über das Thema recherchiert und bin zu erschreckenden Ergebnissen gekommen: Wir schauen rund 56 mal am Tag auf unser Smartphone, was bedeutet, dass wir durchschnittlich alle 15-20 Minuten unser Handy zucken. Das klingt vielleicht harmlos, ist es aber leider nicht. Wir schauen regelmäßig in unsere Social Media Accounts oder unser Mail-Fach, nicht, weil dort tatsächlich immer eine wichtige Nachricht ist, sondern weil sie dort sein könnte. Immer wieder sind wir gespannt darauf, ob nicht doch etwas Großartiges auf uns wartet. Doch schon dieses kurze „Checken“ sorgt dafür, dass wir jedes Mal von unserer eigentlichen Tätigkeit abgelenkt werden und unser Tagesablauf zerteilt wird. Immer wieder verlassen wir kurz unser reales Leben, um nur mal kurz? Ja, was denn eigentlich? 

Ich nehme mir keine Zeit mehr, um mal wirklich nachzudenken oder zu reflektieren. Immerzu lasse ich mich berieseln, um bloß nicht mehr selber denken zu müssen. Kann ich mir überhaupt noch eine eigene Meinung bilden? Wie fühlt sich Langeweile an? Mein Fokus ist online, ich bin ständig so weit weg von mir selbst. Ich möchte das alles nicht mehr. 

Was kann ich tun?

Zunächst habe ich angefangen, Instagram und anderen Social Media Apps einen anderen Platz auf meinem Handy zu geben, um den Automatismus zu durchbrechen. Vielleicht werde ich die Apps bald komplett von meinem Smartphone löschen. Ich könnte mich auch von meinem Laptop aus einloggen, ein etwas bewussterer Umgang.

Außerdem kann inzwischen auf fast jedem Handy eine Zeitsperre eingerichtet werden, die uns daran erinnert, dass wir schon heute schon 30 Minuten auf genannten Kanälen verbracht haben.

Morgens und abends ist handyfreie Zeit. Ich gebe meinem Smartphone einen ganz neuen Platz, der eben nicht mehr direkt unter dem Kopfkissen ist, sondern am besten in einem ganz anderen Raum. Morgens versuche ich erst nach ein oder zwei Stunden mal auf mein Handy zu schauen. Abends ganz genau so.

Das habe ich zwar selbst noch nicht geschafft, aber ich möchte versuchen, einen handyfreien Tag in der Woche einzubauen. Um es mir einfach zu machen, kann ich mir zunächst einen Tag auswählen, an dem ich sowieso viel zutun habe und ohnehin wenig Zeit am Handy verbracht hätte. Es muss ja nicht direkt ein ganzer Tag sein. Das Handy einfach mal zu Hause lassen, ist auch schon ein ganz guter Anfang.

Wenn ich bemerke, dass ich gerade nur zum Handy greifen würde, um mir auf Instagram belanglose Unterhaltung anzusehen, ersetze ich das Handy ganz schnell durch ein Buch. Lesen ersetzt die Zeit auf Social Media.

Im Großen und Ganzen kostet uns das ganze auf den Bildschirm starren so viel kostbare Zeit unseres Lebens. Ich möchte versuchen, diese Zeit sinnvoller zu nutzen. Und das meine ich gar nicht im toxisch-produktiven Sinne. Ich möchte mich wieder Langweilen, meinen Gedanken freien Lauf lassen können, Tagträumen und einfach mal das machen, was mir spontan in den Sinn kommt.

Der Text und das Beitragsbild sind von Luka.

„Das Dilemma mit den sozialen Medien“ auf Netflix.

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