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Niemandem zur Last fallen #Mut(Ich)

Lange Zeit habe ich niemandem mehr vertraut. War mir selbst am nächsten wenn es darum ging, Entscheidungen abzuwägen oder auch Vergangenes aufzuarbeiten. Nicht, weil ich nicht gern jemanden gehabt hätte, sondern weil ich niemandem meine Lasten aufbürden wollte. Habe den Personen die Chance genommen, für mich da zu sein, die Hilfe, die ich angeboten bekommen habe, nicht angenommen und stattdessen alles mit mir selbst ausgemacht.

Gelogene Wahrheiten

Ich hätte gerne jemanden gehabt, der da ist, mir zeigt, dass ich nicht alleine bin. Konnte die Gesellschaft anderer aber gleichzeitig auch nicht ertragen. Hab mir über die Jahre selbst Wahrheiten antrainiert, an denen ich festgehalten habe, an die ich mehr geglaubt habe, als alle Worte der anderen je aufwiegen könnten. „Du bist eine Last“, „Du bist anderen zu viel“, „So bleibt niemand bei dir“, „Du willst die anderen nicht belasten“,Sie verdienen es nicht, sich Sorgen zu machen“ sind nur einige Gedankengänge, an die ich festgehalten, nein, an die ich mich gekrallt habe. Weil ich es nicht ertragen konnte und wollte, dass ich jemandem etwas bedeute und es anderen wert war und bin, auch schwierige Zeiten gemeinsam zu meistern. 

Schon in meiner Kindheit habe ich immer versucht, mein Umfeld, besonders meine Familie glücklich zu machen. Versucht, Wünsche zu erfüllen, schon bevor diese überhaupt ausgesprochen wurden und Erwartungen gerecht zu werden, die viel zu groß für mich waren.
Wollte nicht zugeben, wie sensibel ich eigentlich bin und wie groß mir viele Kleinigkeiten erschienen. 

Natürlich hat das dazu geführt, dass ich viele Erfahrungen gemacht habe, bei denen meine Grenzen überschritten wurden. Bei denen ich mehr gegeben habe, als ich zu geben bereit war, geschweige denn zu teilen gehabt habe. Im Nachhinein hätte ich mir gewünscht, dass ich schon damals für mich selbst eingestanden hätte.
Ausgesprochen hätte, was mir zu viel ist und was zu wenig. 

Denn geholfen hat mein Schweigen niemandem.

Selbst bei Freunden habe ich meine Fassade aufrecht erhalten. Über die letzten Jahre, in denen es mir nicht gut ging und ich mich nicht getraut habe, mich auf jemanden zu verlassen, habe ich einige Freundschaften verloren, die mir viel bedeutet haben.

Weil es eben auch eine Last sein kann, wenn man nicht komplett ehrlich mit seinem Umfeld ist.

Im Nachhinein haben mir einige Personen rückgemeldet, dass sie das Gefühl hatten, ich würde ihnen nicht vertrauen. 
Weil sie gesehen haben, dass es mir nicht gut geht, ich aber jede angebotene Hilfe abgewehrt habe, mich zurückgezogen habe, als ich hätte auf sie zugehen sollen. 

Wieso Weshalb Warum

Zwar gibt es Freunde, mit denen ich mich auseinander gelebt habe, aber gleichzeitig habe ich bei einigen auch die Chance bekomme, zu erklären, wieso ich mich entfernt habe. Und dass es weder persönlich gemeint ist, noch durch fehlendes Vertrauen begründet ist. Im Gegenteil. Gerade Menschen, die mir viel bedeuteten, halte ich oft auf Abstand, aus Angst, sie zu belasten. Mittlerweile habe ich aber den Mut aufgebracht, offen zu kommunizieren, weshalb ich mich manchmal zurückhalte.

Und vor allem habe ich Menschen gefunden, denen ich vertraue. Genug vertraue, um zu wissen, dass sie mir sagen, wenn es ihnen zu viel ist. Was nicht heißt, dass es nicht auch Dinge gibt, die ich für mich behalte. Allerdings nicht mehr aus dem Versuch, jemanden schützen zu wollen, solange ich gar nicht weiß, ob die Person das überhaupt möchte. Meine Beweggründe haben sich geändert und ich entscheide, was ich für mich behalten möchte, ganz ohne Spekulationen. 

Immer wieder erinnere ich mich selbst daran, wie sehr ich mich freue, wenn Freunde mir etwas anvertrauen. Wenn ich merke, dass sie sich bei mir sicher genug fühlen, Schwieriges anzusprechen.

Ehrlichkeit in Freundschaften

Meine beste Freundin und Mitbewohnerin zum Beispiel kenne ich seit mehr 12 Jahren, das ist länger als mein halbes Leben. Wir waren zusammen in der Grundschule, waren gemeinsam auf der Gesamtschule und haben später beide die Schule zum selben Gymnasium gewechselt. Bereits zu dem Zeitpunkt ging es mir mental nicht sonderlich gut, aber anstatt darüber zu reden, habe mich immer weiter zurückgezogen, um niemanden in meine Probleme mit reinzuziehen. Denn wenn ich eins verhindern wollte dann, dass es meinen Freunden und Familien geht wie mir oder sie sich womöglich noch die Schuld daran geben, dass es mir schlecht geht.

Aber genau das ist passiert, eben weil ich nicht darüber gesprochen habe. Nicht, weil ich ihr nicht vertrauen kann, sondern nur, um sie nicht zu belasten. Zwar habe ich gemerkt und gesehen, dass sie die ganze Situation mitnimmt, habe mir zeitgleich aber eingeredet, dass es das beste für alle ist, wenn sie so wenig wie möglich wissen. „So wenig wie möglich, so viel wie unbedingt nötig“ war mein Motto bezüglich Kommunikation. Die Jahre, in denen ich nicht zur Schule gehen oder bei meinen Eltern leben durfte, haben wir nur sporadisch Kontakt gehabt, weil da etwas zwischen uns stand. Weil sie gar nicht wusste, was eigentlich los ist und das, obwohl sie einer meiner engsten Vertrauten ist und auch damals schon war.

Der „richtige“ Weg

Mittlerweile sind Jahre vergangen und ich habe gelernt, mit meiner Vergangenheit umzugehen und dazu zu stehen, wie diese aussieht. Dass ich eben nicht den geraden „richtigen“ Weg gegangen bin, wie ich es so gerne gehabt hätte. Heute weiß meine beste Freundin, aus welchen Gründen ich weg war, wieso ich mich ihr nicht anvertraut und mich lieber zurückgezogen habe. 

Sie, genauso wie meine beiden anderen besten Freundinnen, kennt mich oft besser, als ich mich selbst.

Und wenn ich eins daraus gelernt habe, ist es, ehrlich zu sein. 
Mit mir, aber auch mit meinem Umfeld.

Ewig habe ich dieses Gefühl mit mir rumgetragen, dass ich nicht ganz ehrlich bin bzw. eigentlich gerne etwas hätte sagen wollen, und mich doch wieder daran zu hindern, weil mir der Mut fehlt oder ich andere Ausreden gefunden habe, es doch lieber nicht zu tun.

Dabei habe ich einiges verloren:
Zeit und auch eine Menge Nerven. Hinzu kamen Sorgen.
Auch Sorgen, die sich mein Umfeld gemacht hat, weil sie, in der Zeit, wo ich ihnen keine Antworten gegeben habe, sich ihre eigenen gemacht und spekuliert haben, was wohl ihre Rolle dabei ist. Und das, obwohl es oftmals gar nichts mit ihnen zutun hatte. Deshalb versuche ich, mich heute in solchen Situationen daran zu erinnern, dass mein vermeintliches Schützen meinem Umfeld nicht geholfen, sondern ihnen auch noch weh getan hat. Wie ich täglich mit Einsamkeit gekämpft und gleichzeitig Menschen von mir gestoßen habe, die ich so gerne bei mir gehabt hätte.

Was ich daraus gelernt habe

Aber alles was mir bleibt, ist es, es jetzt besser zu machen und zu erklären, was mir durch den Kopf geht. Wie wirr das manchmal auch sein kann.

Aus Angst die Menschen, die mir am meisten bedeuten zu verlieren, habe ich alles mit mir ausgemacht und beinahe genau das dadurch verloren. Denn schützen tue ich niemanden, wenn ich ihnen die Entscheidung abnehme, ob sie beschützt werden wollen. 

Es vergeht kein einziger Tag, an dem ich nicht dankbar dafür bin, Menschen in meinem Leben zu haben, mit denen ich alles teilen kann. Die mich nicht für all meine Zweifel verurteilen oder mich mit anderen Augen sehen, wenn ich von meiner Vergangenheit berichte.

Ich liebe jeden einzelnen von ihnen und ich liebe, dass ich so ehrlich sein kann. Dass ich mich immer und immer überwinde und selbst ermutige, offen auszusprechen, was ich befürchte und wovor ich Angst habe. 

Denn genau das verbindet.

Jacqueline ist 22 Jahre alt und lebt an der Ostsee. Sie liebt es, sich in Büchern zu verlieren, sich Gedanken über die kleinen und großen Dinge des Lebens zu machen und diese in Form von Wörtern oder Zeichnungen zu verarbeiten. In Ihrer Kolumne „Mut(Ich)“ soll es um den Umgang mit Herausforderungen des alltäglichen Lebens gehen. Zu lernen, über sich selbst hinauszuwachsen.

Lisa ist eine junge Illustratorin und Gestalterin aus Berlin. In Ihrer Kunst befasst sie sich mit Beobachtungen des alltäglichen Lebens und zieht Inspiration aus erlebten Situationen und Personen, die sie umgeben. Nebenher beschäftigt sie sich viel mit Musik und schmökert in Zines und guten Büchern. 
Instagram: @lisaschndlr

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