Liebe & Triebe
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Alles nur vorgetäuscht

Es ist schon unzählige Male passiert.

Ich habe das Gefühl, sobald man einmal damit anfängt, wird es schwer, wieder damit aufzuhören. Ich kenne außerdem keine Person, der*die es nicht schon mal getan hat – sei es, um dem ganzen vorzeitig ein Ende zu setzen oder um dem Gegenüber ein gutes Gefühl zu geben. Auch ich habe das gut drauf: Mein Stöhnen verändert sich, ich kralle mich ins Laken und mache das berühmte Hohlkreuz – das ganze Programm. Ich bin eine richtig gute Schauspielerin im Bett.

Im heutigen ersten Beitrag unserer Sex-Kolumne „mit wem oder allein“ haben wir einige von Euch nach eigenen Erfahrungen mit vorgetäuschten Orgasmen gefragt.

Wer macht wen glücklich?

Theresa*: Ich kann mich gar nicht so richtig erinnern an die Male, bei denen ich vorgetäuscht habe. Wahrscheinlich habe ich es verdrängt. Es müssen ungefähr zwei Orgasmen bei dieser einen Beziehung gewesen sein. Es tat einfach zu weh und ich wusste, dass da unten alles zu taub war, als dass sich jemals etwas regen würde. Ich tat mein Bestes und spielte Genuss vor. Danach waren wir beide sichtlich erleichtert. Eigentlich war das gegen meine Prinzipien. Ich spielte Genuss vor, ja. Fast immer. Weil Sex für mich noch nie etwas richtig Genüssliches und immer mehr für meinen Partner war, als für mich. Aber einen Orgasmus vorzutäuschen – das kam für mich nicht infrage. Bis es dann doch infrage kam.

Ich bin traurig darüber. Darüber, dass ich nicht den Mut dazu hatte, ihm zu sagen, was und wie es mir gefällt. Immer war ich nur auf die Gefühle der Jungs aus. Wollte sie nicht verletzen. Weil ich schonmal was gesagt hatte und dann mit seiner schlechten Laune bestraft wurde. Und so fing ich an, nichts mehr zu sagen. Nach diesem vorgetäuschten Orgasmus wollte ich dann auch gar nicht mehr, dass er mich befriedigte. Wollte einfach nur, dass er sein eigenes Ding macht – in mir und mit mir – und fertig.

Heute finde ich das extrem schwach von mir. Die ganze Beziehung – beide Beziehungen – waren total toxisch und einseitig. Ich würde das nie mehr mit mir machen lassen. Mein Verhältnis zu Sex ist leider immer noch ein bisschen gestört, wenn auch deutlich besser als damals. Meine Angst und Scham sitzen so tief, mein Wille zur Befriedigung der anderen Person ist riesengroß.

Es macht mich glücklich, wenn sie glücklich sind. Wo ist ihr Wunsch nach meinem Glück?

Nichts wissen & viel erwarten

Mika*: Bei meinem ersten Mal bin ich natürlich nicht gekommen, aber ich habe auch nicht so getan als ob. Auch bei meinem zweiten und dritten Mal hatte ich keinen Orgasmus. Und dann haben langsam die Zweifel angefangen, dass da irgendwas bei mir nicht stimmt. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es für die meisten Frauen* quasi unmöglich ist, einen vaginalen Orgasmus zu bekommen. Ich wusste auch nicht, dass ich als Frau mehr Zeit brauche, dass ich komplett entspannt sein muss und dass vor allem meine Klitoris stimuliert sein muss. Ich wusste quasi nichts, aber das ist auch normal. Ich hatte extrem hohe Erwartungen an mich, an meinen Partner und meinen Orgasmus, sodass ich von Mal zu Mal immer gestresster wurde. Und das sind wirklich gar keine guten Vorraussetzungen für dieses wirklich krass schöne Gefühl namens Orgasmus. 

Weil ich meinen Partner nicht enttäuschen wollte, fing ich an, so zu tun, als wäre ich gerade gekommen. Ich wollte ihm zeigen, dass ich es doch eigentlich total schön finde. Ich wollte nicht, dass er schlechte Gefühle hat oder sich Gedanken um mich macht. Ich habe das Gefühl gehasst, zu wissen, dass mein Partner eigentlich kurz vor dem Orgasmus ist, aber ich noch nicht so weit bin. Ich habe mich gefühlt, als würde ich unter einem hellen Scheinwerfer mitten auf einer großen Bühne vor einem riesigen Publikum stehen. Innerlich war ich so angespannt. Und dann habe ich es eben lieber vorgetäuscht, um diesen innerlichen Stress zu entfliehen. 

„Immer wenn ich mal wieder vorgetäuscht habe, gekommen zu sein, frage ich mich sofort: Musste das jetzt sein?
Dabei ist es oft gar nicht so, dass ich will, dass es schnell vorbei ist. Manchmal will ich meiner Partnerin gar nicht unbedingt „zumuten“, dass es so lang dauert (was ja eigentlich ganz normal ist!). Manchmal will ich meiner Partnerin ein gutes Gefühl geben, dadurch, dass sie mich zum Höhepunkt gebracht hat (wow, ein fake-Höhepunkt).

Das Problem ist eigentlich, dass man sich mit jedem fake-Orgasmus weiter von einem richtigen entfernt.

Klara*

Mein Partner dachte natürlich, dass alles perfekt für mich ist. Das war es aber ganz und gar nicht. Unser Sexleben wurde immer mehr zu einer Qual für mich, zu einer nervigen und fast schon eklige Verpflichtung, auf die ich eigentlich nicht wirklich Lust hatte. Ich wurde an Stellen angefasst, die mir überhaupt nicht gefielen und war oft mit meinem Kopf gar nicht anwesend. Aber vor meinem Partner überspielte ich all dies. Er wusste nichts davon, es war ein Teufelskreis. Hätte ich doch einfach mal mit ihm darüber geredet, hätte er Sachen ändern können. Wir hätten darüber sprechen müssen, was uns gefällt und was nicht, hätten ehrlich zu einander sein müssen. Aber ich hatte einfach viel zu große Hemmungen. Rückblickend denke ich, dass er es gespürt haben muss. Früher oder Später merkt jede*r, wenn Gefühle nur unecht oder vorgetäuscht sind. Aber wir beiden waren noch so jung und wussten es einfach nicht besser. 

Einen echten Orgasmus hatte ich bei ihm nur ein oder zwei Mal. Ich dachte, dass das vielleicht so gehört oder das es normal ist. Er kam fast immer. Auch das war für mich zu diesem Zeitpunkt total normal. 

Irgendwann trennten wir uns dann, ich hatte neue Partner*innen und fing langsam an, offener über das Thema zu reden. Ich fand es total doof, dass ich keine Freude am Sex hatte und wollte das unbedingt ändern. Was gefällt mir und was nicht? Was habe ich für Vorlieben? Worum geht es mir wirklich beim Sex und was sind nur irgendwelche Bilder in meinem Kopf, die überhaupt nicht der Wirklichkeit entsprechen? Es dauerte sehr lange, bis ich verstand, dass es okay ist, darüber zu sprechen, an welchen Stellen ich gern berührt werde, auch wenn das ein unheimlich großes gegenseitiges Vertrauen brauchte. 

„Worüber auch niemand spricht: Erst dadurch, dass ich angefangen habe, mich selbst an mir selbst auszuprobieren, sei es mit Händen, Kissen, Sextoys oder dem Duschkopf, habe ich gemerkt, was mir wirklich gefällt und auch ein Selbstbewusstsein dafür entwickelt, meiner Partnerin zu zeigen, was ich gern habe und was nicht.“

Klara*

Kommunizieren & ausprobieren

Und ich habe dann bemerkt, dass es mir eigentlich gar nicht um den Orgasmus geht. Dieses wunderbar warme Gefühl ist natürlich ein nettes Nebenprodukt, aber darum sollte es nicht hauptsächlich gehen. Viel zu oft habe ich einfach nur stumpf auf den Orgasmus hingearbeitet, aber immer mehr habe ich mir mich festgestellt, dass es mir einfach nur um die Nähe zueinander geht. Es geht um den Spaß, das Anfassen, spielen, miteinander schlafen, ausprobieren und Lust empfinden. Ich finde es unfassbar schön, einer Person, die man liebt, so nah sein zu können, dass einen physisch fast nichts mehr von einander trennt.

Inzwischen spreche ich sehr viel über Sex. Kommunikation ist unfassbar wichtig. Wir sind interessiert daran, was uns wirklich gefällt und was nicht. Ich möchte, dass mein Partner richtig gute Gefühle hat und dass er sich sicher fühlen kann. Erwartungen, Druck und Stress gehören nicht ins Bett. Wir wollen, dass Sex etwas ist, was wir gern machen. Wir wollen lachen und nichts muss perfekt sein. 

Manchmal erwische ich mich trotzdem ab und an noch dabei, mich wieder so zu fühlen, wie auf der hellerleuchteten Bühne vor dem großen Publikum. Manchmal fühle ich mich immer noch so, als müsste ich jedes Mal einen Orgasmus haben, damit ich es richten Sex nennen kann. Aber manchmal fühle ich mich einfach nicht danach. Manchmal habe ich auch einfach keine Lust, aber möchte nicht, dass mein Partner sich vor den Kopf gestoßen fühlt, weil es wirklich nicht an ihm liegt. Manchmal täusche ich dann immer noch einen Orgasmus vor. Oft passiert das aber nicht mehr, ein Glück. Ich hatte inzwischen auch schon einige Male Sex, bei dem ich dann einfach gar nicht gekommen bin. Schön war es trotzdem und das ist die Hauptsache. 

Welche Erfahrungen habt ihr mit dem Thema Orgasmus vortäuschen gemacht? Geht es Euch ähnlich? Was habt ihr geändert? Lasst es uns gern in den Kommentaren wissen!

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* Texte anonym eingereicht und Namen von der Redaktion geändert.
Photos von Luka. Bearbeitung von Imina.

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