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Der Vorhang fällt, nichts dahinter #gibmirwiderworte

Scrollst Du auch manchmal durch die sozialen Medien oder machst die Nachrichten an und fragst Dich einfach nur: was war das denn gerade?
Genau dann bist Du nicht Zielgruppe einer klar ausgerichteten Politik, die diejenigen ansprechen soll, die zwischen den Zeilen und unter den Handzeichen lesen können, versuchen und wollen.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
das Trilemma der Menschlichkeit
Humanrecht, Naturzustand, Gesellschaftspflicht
unangestrengt realisierbar, sind sie nicht.

Visionen, Pläne, Wahlparteien,
prophezeien eine unerfüllbare Wirklichkeit.
Hirngespinste, Fantasien, Träumereien,
als die Waffen politischer Konstruierbarkeit.

Oft genug gelingt es mit einfachen Worten nicht, die Distanz zwischen Gesprächspartnern zu überwinden. Unweigerlich führt dies zu Missverständnissen, Fehlinterpretation oder auch Konflikten. 
Was auf der persönlichen Ebene halbwegs leicht zu beseitigen oder vorzubeugen ist, wird auf internationalen, politischen Bühnen immer wieder gerne ausgereizt und -genutzt, Kommunikation wird verdreht oder der größere Kontext vergessen. Wo das letzte Wort gesprochen oder das erste falsch betont wurde, kommt es zu berechnenden oder emotionalisierten Handlungen, die mit ihrem Symbolismus die täglichen Titelseiten förmlich erschlagen. 

Mit symbolischer Politik werden Gefühle erregt und eindeutige Zustimmung oder Ablehnung verlangt. Anders als eine Politik die Fakten schafft, und daher Nägel mit Köpfen macht, stellen sie Symbolhandlung dar und stehen damit jedem frei zur Interpretation. 
Wo Sachpolitik Opfer identifiziert und Gewinner profiliert, spekuliert symbolische Politik auf das Verständnis von Gleichgesinnten und treibt damit die Frontenbildung erst so richtig voran.  

Um politische Signale und Symbole zu interpretieren und werten zu können, ist eine emotionale Verknüpfung zu der betreffenden Situation notwendig. Symbolische Politik ist daher darauf aus, anzuknüpfen oder abzustoßen und damit eine identifizierbare Basis zu schaffen, die exklusives Verständnis bietet und für gesellschaftliche Abkopplung sorgt.

Viele demokratische Entscheidungsträger leiden darunter, dass ein Großteil der entschiedenen Politiken nur einen Bruchteil der Gesellschaft erreichen oder, dass die Früchte einer erfolgreichen Wahlperiode oft erst zu späteren Zeitpunkten geerntet werden können. Um die Bevölkerung und restliche Weltpolitik aber wachzurütteln und der eigenen Existenz und Wichtigkeit zu erinnern, kann man sich durchaus mit symbolschweren Maßnahmen behelfen.  

Eine bewährte Masche 

Ein historisches und oft-durchgekautes Beispiel dafür, ist die scharfe Emser-Depesche aus der Feder Otto von Bismarcks, die als Ursache des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 gilt. Mit Versand dieser, provozierte ein Kleinstaat wie Preußen eine Großmacht wie Frankreich, und erhielt als Antwort eine sofortige Kriegserklärung. Retrospektiv kann davon ausgegangen werden, dass hinter der Veränderung des Schriftstücks durch den preußischen Reichskanzler eine ausgeklügelte Politik stand, die die deutschen Länder vereinen sollte – gegen einen gemeinsamen Feind. 

Statt eindeutiger Kommunikation und Diplomatie, wurde sich an dieser Stelle vermeintlich plumper und mutiger Taktiken bedient, und eine provozierte Eskalation leichtfertig in Kauf genommen. Die Bloßstellung in der Öffentlichkeit, durch einen deutlich unbedeutenderen Verhandlungspartner und die dahinterstehende Debatte über die spanische Thronfolge, hätten wohl kaum weniger unausgesprochene Symbole beinhalten können. 

Vereinende Unterschiede

Die Vereinigung gegen ein Feindbild liegt in der Natur des Menschen und ist auch heute noch zu beobachten. Auf ständiger Suche nach Anerkennung, Verständigung und Zugehörigkeit zu einer Gruppe, findet sich ein negativer gemeinsamer Nenner oft schneller. Die Verbrüder- und -schwesterung auf Basis von Emotionen, die mit Ablehnung, Gegenpositionierung und eigener Komplementierung zu tun haben, fällt uns oft leichter und ist bedingungsloser zu erreichen.
Um zusammen konkret für etwas zu sein, bedarf es einer Sensibilisierung für Diplomatie und Diskussionsfreudigkeit, wie auch der Bereitschaft eine ausformulierte Herangehensweise und langfristige Vision zu verfolgen. 

Dem entgegenwirkende Prozesse lassen sich in modernen Gesellschaften immer wieder beobachten: Allianzen, die gegen das feierlich ernannte Böse kämpfen, deren Erfolg aber den ultimativen (und damit etwas widersprüchlichen) Fortschritt für die gesamte Gesellschaft versprechen. 

Um ein Maximum der Gleichgesinnten zu erreichen und ein Zeichen im Sinne der Bewegung zu setzen, eignen sich auch an dieser Stelle Symbole und bildgewaltige Taktiken. So geschehen im erst vor Kurzem so genannten „Sturm auf den Reichstag“, bei dem sich eine Gruppe von Corona-Politik-Gegner an den eindrucksvollen Bildern von 1945 orientierte. Der Angriff auf den Reichstag durch die sowjetischen Soldaten symbolisierte das Niederreißen des Faschismus und der Naziherrschaft. Eine rote Flagge auf dem Dach des Gebäudes sollte das ultimative Kriegsende für die sowjetische Nation darstellen.  

Heute wie Früher

Etwas anders motiviert waren die Stürmer im August 2020. Ob nun durchdacht und taktiert, oder spontan und übermütig, das ungehinderte Durchbrechen der Absperrungen und das Türmen auf die Reichstagsstufen ist als ein Angriff auf das vorherrschende System zu werten. Der Reichstag gilt immer noch als symbolträchtige Kulisse, die die politische Richtung bestimmt und die Werte der Republik beherbergt. Seine Ausstrahlung auf unser kollektives politisches Ich hat der Bau in seiner Geschichte schon mehrmals bewiesen. Einen Brand im Jahr 1933 und zwei sogenannte „Stürme“ systemzersetzender Individuen hat er überstanden, und steht, ganz unsymbolisch, noch immer fest auf seinen Grundmauern. 

Statt mit schwerverständlichen Fakten zu ermüden, greifen Symbole auf ein ansatzweise universelles Werteverständnis zurück und können sich ihrer angestrebten Wirkung in den meisten Fällen sicher sein. Symbole unterliegen jedoch gleichzeitig einer unbegrenzten Auslegungsfreiheit, die Extreme erlaubt und die Wirkung, die von den eigentlichen Urhebern kalkuliert wurde, durchaus verfehlen kann. 

Beispielhaft dafür steht die zunehmende Entschuldigungs-Politik ehemaliger Kolonial- oder Kriegsmächte, den Unterworfenen und Hinterbliebenen gegenüber. Historisches Unrecht und unverdiente Privilegien zu erkennen, kann nur symbolisch geschehen, da Täter und Opfer meist schon verstorben und nicht mehr zur Rechenschaft oder Entschädigung zu ziehen sind. Es liegt an der Tiefe der Wunden und einer taktvollen Herangehensweise, inwieweit geschehenes Unrecht reflektiert und respektvoll zu thematisieren, dabei nichts ungeschehen zu machen, aber Bürden gemeinsam zu teilen und sich der eigenen Position bewusst zu werden. 

Besonders mangelndes Bewusstsein lässt sich mit Symbolen, einem schönen Blumenstrauß oder einem hoch-inszenierten Staatsbesuch, übertünchen und vermeidet somit die nötige Konfrontation und Kommunikation. Das Vertrauen, welches in politische Signale gesteckt wird, ist abhängig von den Kosten des Absenders. Je riskanter die öffentliche Darstellung, je eindringlicher die Symbolwirkung, desto ernster werden Handlungen, und deren potentielle Folgen, genommen. 

Die Bilder symbolischer Handlungen weilen lange unter uns, werden teilweise in Büchern abgedruckt und breit in der Öffentlichkeit diskutiert, aber bei den Menschen, für die sie eigentlich gedacht sind, bleiben sie oft nur kurz im Gedächtnis und verfehlen ihr zugrunde liegendes Ziel: das menschliche Miteinander zu erleichtern. 

Weiterführende Links: 
Jessen, Jens. (2006). Symbolische Politik. 
Wolschner, Klaus. (2015). Politik und Symbole: Repräsentation, Aufklärung, Verschleierung.

Jasmin ist 22, studiert Politik und Wirtschaft und schreibt sich gerne mal woanders hin.

In Gib Mir Widerworte will sie Dich zur Auseinandersetzung mit der aktuellen Alltagspolitik animieren und für einen informierten Diskurs sensibilisieren. Gib Ihr Widerworte. 

Dieser Post wurde von Johannes gestaltet. Er ist 20, studiert Visuelle Kommunikation in Berlin, macht nebenbei Musik und schläft gern bis 13 Uhr. Er verbringt seine Zeit mit lieben Leuten und verliert sich manchmal in seinem Computer.

Über die Gestaltung:
„Die Visualisierung dieses Beitrages habe ich in Form eines 3D-Renderings umgesetzt. Die Bilder zeigen einen sich aufblasenden und wieder kollabierenden Ballon der, sozusagen symbolisch für die heiße Luft steht, für die oft sehr wagen politischen Aussagen, die Jasmin in ihrem Text kritisiert. Genau wie die sich darauf befindenden leeren Zitate („…..“), die im Kern oft sehr gleich und nichts aussagend sind.“

 

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