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Kurzes, langes Leben – wenn Kinder sterben

Wir verdrängen jeden Tag das Thema Tod, doch sterben müssen wir alle. Du, Ich, ja sogar der nette Nachbar von nebenan. Wir alle sterben. Das ist gewiss. Gewiss und unaufhaltsam. Aber wir haben so große Angst davor, dass wir lieber verdrängen, als zu erkennen. Wir sind arrogant in unserem Denken, dass jeder Mensch ein Recht darauf hätte 80, 90, ja sogar 100 Jahre alt zu werden. Dieses Recht hat absolut niemand. Das Leben ist nicht unendlich, nein, das Leben ist endlich. Und es kann heute schon vorbei sein. In dieser Sekunde, in diesem Augenblick, stirbt ein Mensch. Ein Mensch, wie Du und Ich. Ein Mensch, der erst ein Gesicht, einen Namen, eine Bedeutung bekommt, wenn man ihn kennt. Ein Mensch, der geliebt wird. Ein Mensch, der Du sein könntest oder eben Ich. Und dieser Mensch stirbt. Jetzt.

In dieser Sekunde, in diesem Augenblick, stirbt ein Mensch.

Das sollten wir nie vergessen. Denn vergessen wir diese unaufhaltsam bedingt vorgeschriebene Tatsache, so laufen wir Gefahr, überheblich eine „Zukunft“ zu planen. Eine „Zukunft“, die es vielleicht nie geben wird. Aber wir resignieren lieber, als zu akzeptieren. Wir verschieben lieber alles auf Später. Aber was, wenn es kein Später gibt?

Die Uhr tickt.

Mein kleiner Cousin war fünf Jahre alt, als er gestorben ist. Er hatte einen sehr aggressiven Gehirntumor. Seit er vier Wochen alt war, kämpfte er gegen ihn an. Es waren harte, kräftezehrende und schmerzhafte Jahre. Jahre voller Hoffen, Bangen und Kämpfen. Kurz vor Weihnachten verlor er den Kampf jedoch. Einen Monat später wäre er sechs Jahre alt geworden. Und alles was am Ende übrig bleibt, sind Erinnerungen voller Liebe und der Schmerz seines Verlustes.

“Alle fünf Sekunden stirbt auf der Welt ein Kind unter 15 Jahren.“ ¹

In Deutschland allein sind mehr als 50.000 Kinder sterbenskrank. Ca. 1500 sterben jährlich von ihnen². Zwei Zahlen, die niemand kennt. Zahlen, die niemand hören möchte. Am 14. Februar ist Valentinstag, ein Datum, dass so gut wie jeder kennt. Aber dass am 15. Februar, nur einen Tag später, Internationaler Kinderkrebstag ist, weiß fast niemand.

Was auch fast niemand weiß, “der Tod kommt meist nicht plötzlich.“³
Oft gehen ihm jahrelange schmerzhafte, kräftezehrende Behandlungen und Krankenhausaufenthalte voraus⁴. Die Angehörigen, insbesondere Eltern der Kinder, wollen natürlich immer die bestmögliche Behandlung. Eben alles Menschenmögliche, was geht. Doch das bringt auch immer Entscheidungen mit sich. Entscheidungen, die über Leben und Tod bestimmen können. Oder über Schmerz und gegebenenfalls Linderung. Nicht jedes verabreichte Medikament hilft dem Kind. Manches verursacht sehr starke Schmerzen, andere wiederum können ganz neue Symptome hervorrufen. Diesen schmalen Grat zu betreten fällt Eltern nicht leicht. Besonders, wenn sie ihr Kind leiden sehen, aber nichts machen können, um ihm zu helfen. Sie sind machtlos und ohnmächtig.

Er fehlt so schmerzlich. Alles erinnert an ihn.
Ich würde alles geben, wenn ich nur noch einmal sein Lachen hören könnte.

Auf das was danach kommt bereitet dich niemand vor. Wenn die Beerdigung vorbei ist, alle gut gemeinten Ratschläge und Taten vollbracht sind, dann wirst du allein gelassen. Als wärst du für die Gesellschaft unsichtbar. Als würdest du nicht mehr existieren. Zu groß dein Leid, zu tief dein Schmerz. Also schließt der Rest lieber mit der gesamten Situation ab und lässt dich im Regen stehen. Allein. Dabei vergessen die meisten, dass du bereits allein bist: Natürlich kann man gemeinsam Trauern und es gibt viele, die deinen Schmerz teilen, aber deinen eigenen Schmerz, deine eigene Qual, kann dir niemand abnehmen. Das musst du ganz allein aushalten, da musst du ganz allein durch.

Zu groß dein Leid, zu tief dein Schmerz.

Jede Person trauert anders, auf ihre Art. Das ist in Ordnung. Umso wichtiger ist es jedoch, dass man die Betroffenen, insbesondere Eltern und Geschwister, nicht allein lässt. Man darf nicht plötzlich aufhören, über die geliebte Person zu sprechen. Oder sich aus Angst davor, etwas Falsches zu sagen, zurückziehen und abwenden. Das ist falsch und hilft auch niemandem. Stattdessen sollte man im Kontakt und im Gespräch bleiben. Über den Verlust zu sprechen, gemeinsame Erinnerungen zu teilen und versuchen, Trost zu spenden. Den Namen aussprechen, sich mit anderen Betroffenen austauschen und gegebenenfalls Hilfe suchen ist genauso wichtig, wie gemeinsam zu trauern. Natürlich kann es sein, dass die Angehörigen heute nicht darüber sprechen möchten. Das ist in Ordnung. Aber morgen kann das auch schon wieder ganz anders aussehen. Man darf nicht aufhören, füreinander dazu sein.

Es ist oft sehr schwer für Außenstehende, mit so einer Situation umzugehen. Sie ignorieren den Tod und das damit verbundene Gefühl, dass es in ihnen auslöst. Denn wenn man es zulässt, dann muss man ja auch akzeptieren das wir alle sterben. Auch man selbst. Und Spoiler alert – das werden wir.

Sterben müssen wir alle.

Was, wenn danach nichts kommt? Was, wenn wir für immer verloren sind? Was dann? Was ist dann der Sinn des Lebens? Ganz ehrlich, keine Ahnung. Aber wir sollten unsere Zeit nicht damit vergeuden, dem Leben einen Sinn zu geben oder danach zu suchen. Wir sollten einfach leben. Denn zu schnell kann es vorbei sein. Wir sollten lernen, zu akzeptieren, dass das Sterben ebenso zum Leben gehört, wie das Leben selbst. Der Tod ist ein gewissenhafter Begleiter. Ab dem Moment der Geburt steht er immer zur Seite und wartet nur darauf, eintreten zu können. Doch egal, wann es passiert. Egal, wie alt oder jung der Mensch war. Egal, wie viel er erlebt oder erreicht hat, es ist immer viel zu früh. Nicht wahr?

Also – hast du genug gelebt, geliebt, gelacht? Hast Du?

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Gastgedanken von Jessica. Sie ist eine 22-jährige Studentin aus Tübingen. Wenn sie nicht gerade mit ihrer besten Freundin neue Länder und Kulturen bereist, sitzt sie auf irgendwelchen Parkbänken, beobachtet Menschen, zeichnet, liest oder schreibt etwas. Ihr liegt sehr viel an Ehrlichkeit und guten Freunden. Eines ihrer größten Talente besteht darin, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Mit ihrer Katze Bella geht sie gerne auf abendliche Erkundungstouren, wenn sie mal wieder nicht schlafen kann. Jessica liebt das Tauchen, weil sie sich nur dabei wirklich frei fühlt.

Beitragsbild von Imina.

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