Körper & Bewusstsein
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Der Wahnsinn #Reisegedanken

Von dem Wahnsinn, der nur bei Tageslicht erscheint

Während ich ganz verrückt daran glaube, dass jeder auf seine Weise schön ist und Schönheit ja wohl außerdem im Auge des Betrachters liegt, erstelle ich in meinem Inneren eine Liste, was ich denn so mache, um mich schön zu fühlen und frage mich, ob das alles für mich passiert oder da vielleicht doch so etwas ist, wie ein Bild, eine diffuse Vorstellung von dem, was Schönsein eigentlich bedeutet. Klar liegt das sich Schönmachen schon immer irgendwo zwischen der Natur und Kultur des Menschen, aber die Idee keine unabhängige Vorstellung von Schönheit zu haben, sondern immer irgendwie, irgendwo durch ein gesellschaftlich konstruiertes Ideal beeinflusst zu sein, ist spätestens seit Emanzipation & Individualisierung, unbequem unerwünscht. 

Allerdings taucht so dann und wann der Gedanke auf, ob nicht ein Ideal schuld ist, dass Menschen ihren Körper nicht gerne mögen, Essstörungen entwickeln, sich Schönheitsoperationen unterziehen und schlechte Gedanken haben. Dass wer schön sein will, leiden muss. Schmerzhafte Haarentfernungsmethoden, Frieren im Winter und unbequeme Jeans lassen mich zweifeln, an meiner gänzlichen Unabhängigkeit. In den meisten Momenten würde ich frei heraus schmettern, ja natürlich, sonnenklar, mach ich alles ganz allein für mich! und manchmal da bin ich mir plötzlich nicht mehr so sicher. Ganz ehrlich gesagt, erscheinen mir viele der Dinge bei Tageslicht schon ein bisschen wahnsinnig.

Wie lächerlich dieser ganze Wahnsinn ums Schönsein eigentlich ist, hab ich zum ersten Mal gedacht, als ich in Thailand war. Vielleicht lag es daran, dass man auf Reisen sowieso aufhört, sich Gedanken um sein Äußeres zu machen, spätestens dann, wenn die Duschen so ekelig sind, dass man dankend verzichtet. Vielleicht aber auch daran, weg zu sein. Weg, nicht nur aus dem eigenen Haus, sondern auch aus Deutschland, aus Europa, aus der westlichen Kultur und den gesellschaftlichen Einflüssen, denen man doch ziemlich ausgesetzt ist. 

Von dem Wahnsinn, der plötzlich auf der Hand liegt

Weg von meinem Alltag und der westlichen Kultur im Gesamten, schaute ich mit ein bisschen Abstand auf eine ganz andere Kultur, mit anderen Idealen und einer anderen Vorstellung von Schönheit und der Wahnsinn lag plötzlich auf der Hand. 

Ganzkörperbadeanzüge bei vierzig Grad am Strand, blinkende Werbetafeln von gewiss nicht ganz unschädlichen Hautbleichmitteln und viele, sehr viele Gesichter, die mit einem mehlähnlichen weißen Puder bedeckt waren, erschreckten mich nicht, weil ich sie nicht kannte, sondern weil sie mich erinnerten an Solarien und orangene Selbstbräuner, die dich ebenfalls zu niemandem machen können, der du gar nicht bist. Ich habe den Zirkus um Sonnenstudios und Selbstbräuner zwar noch nie so ganz verstanden, vermutlich einfach, weil ich zu faul für so viel Tamtam bin, aber sich im Urlaub unter die unangenehm knallende Sonne zu legen, um zu hoffen, dieses mal ein bisschen gebräunter zurückzukehren, kenn ich doch besser als ich mir vielleicht eingestehen will. Ich denke daran, wie ich mich freue, wenn jemand sagt du bist aber braun geworden und frage mich, wieso. Ist es, weil ich mich so schön finde oder weil das in unserer Gesellschaft als schön gilt? Weil mir Medien erzählen braungebrannt sein, ist schön und gesund, bleich sein eher wie Käse, weil alle meine Freund*innen sich auch freuen, wenn jemand sagt du bist aber braun geworden? Weil es ab unserer Kindheit, angefangen mit unseren Eltern, immer neue Vorbilder gibt, die das schön finden, einfach weil alle das so machen und das dann nun halt mal so ist?

Von dem Wahnsinn, der wohl nie ganz geht

Zurück im gewohnten Deutschland, mit meinem gewohnten Umfeld und den gewohnten Medien, muss ich manchmal noch an den Wahnsinn denken. In Gesprächen, in Filmen, in Magazinen, in der Social Media Blase und in meinen ganz eigenen Gedanken. 

Dann weiß ich, dass wir uns wohl nie ganz frei machen können. Frei von Schönheitsidealen, frei von anderen Menschen und ihren Meinungen. Wir wollen uns selbst gefallen und wir wollen anderen gefallen, nicht jedem Hans, sondern vielleicht denen, die uns auch gefallen. Ich glaube nicht, dass der Punkt ist, immerzu unabhängig zu sein, sondern zu akzeptieren, dass es manchmal nicht so ist und uns selbst und die Dinge, die wir so finden, ständig zu hinterfragen. Vielleicht sollten wir alle mehr, so wie man das beim Kleiderschrankausmisten auch macht, unsere Gedanken, Verhalten & Muster rausschmeißen, anschauen und durchsortieren. 

Ich sage nicht, wenn wir alle mehr nachdenken würden übers Schönsein, wären Schönheitsop’s zu verurteilen und Essstörungen weggezaubert. Ich sage nicht, wir alle würden uns grenzenlos lieben und akzeptieren, jeder schlechte Gedanke wär ausradiert. Und ich sage auch nicht, dass nur weil ich in Thailand war und hier erzähle die ganze Sache mit der Schönheit und den Idealen durchschaut zu haben, ich von dem Wahnsinn befreit bin. Ich glaub der Wahnsinn geht wohl nie so ganz. 

Trotzdem bin ich tierisch dankbar, für den Schockmoment, für diese riesen Sache, die sich plötzlich als einziges Halligalli entzauberte. Und ich denke, dass ich’s genau deshalb so mag reisen zu gehen, weil man manchmal mit Distanz viel besser Dinge erkennen kann und weil wir Menschen ja zwar alle unterschiedlich, aber dann doch irgendwie ziemlich gleich sind, erkennen wir uns manchmal selbst besser wieder in Fremdem. Ein Grund von vielen. Natürlich!

Der Text ist von Hannah. Im Moment lebt sie ein Leben zwischen Schule und Ungewiss und genießt das meistens sehr. Wer sie ist, will sie eigentlich gerade herausfinden, aber irgendwie ändert sich das eh ständig und immerzu. Reisen ist ihre kleine Liebe!

Jeden zweiten Monat schreibt sie deshalb in ihrer Kolumne über ferne Orte, fremde Plätze, über ihre Gedanken und Gefühle dazu und darüber warum sie findet, dass jeder ab und zu mal weggehen sollte, am besten dahin, wo es ganz anders ist als sonst so.

Die Bilder sind aus der Serie „Fremde“ von Martin Wunderwald.

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