In dieser Zeit, in der Nachrichten von einem Virus, dessen Name zum Teil eine Zahl ist, uns bis in den Schlaf begleiten, in dieser Zeit, in der Zahlen von Neuinfektionen, angsteinflößenden Zukunftsvisionen, Bilder von Menschen mit Masken in elendig langen Supermarktschlangen, oder gefangen in ihren eigenen vier Wänden, tagtägliche Beobachtungen und Eindrücke sind, vergesse ich schon mal, dass gerade eigentlich die Zeit im Jahr ist, in der nicht nur Blumen, sondern auch mein Herz zu blühen beginnt.
Es ist die Zeit, in der mein ganzer Körper bis in die Fingerspitzen kribbelt, wenn ich morgens ganz früh aus der Haustür trete, den Blick gen Baumkronen gerichtet, wo die Vögel ihre Lieder singen, die Luft noch kühl und klar, wie das Mittelmeer, als ich vergangenen Herbst dort war, die vollkommene Stille, der Geruch von morgentaufeuchtem Gras und Sonnencreme vom Vortag, das Vertrauen in den Tag und dass gut wird, was gerade ist, dass alles ganz und gar gut wird.
Es ist die Zeit, in der mein Lächeln ein ständiger Begleiter von mir und meinem Ausdruck wird, in der die Sonne, die zuckerwattigen, langsam vorbeiziehenden Wolken und der leichte, seichte, zwanziggradwarme umarmende Wind mir mein Haar vor die Augen weht und somit ein wenig meine Sicht versperrt, meine Sonnenbrille plötzlich zu den vier Dingen zählt, ohne die ich nicht mehr das Haus verlasse, passe ich auch noch so sehr auf, wird doch jedes Jahr wieder selbst meine Haut etwas rot, wenn die Sonne mich ganz unerwartet wieder anlacht.
Es ist die Zeit, in der Nachmittage im Grünen, auf Gartenbänken und Stühlen oder am Wasser verbracht werden, mit Büchern und Blöcken, dem Lieblingskuli und Spielen, die bei einer frischen Brise nicht wegwehen, Kniffel zum Beispiel eignet sich hervorragend für meeresrauschende Tage gebettet in Strandsand, oder auf einer Zeitschrift als Unterlage, die fünf Würfel als Symbol für die Sommer meiner Kindheit.

Es ist die Zeit, in der die Nacht nicht mehr schlafen geht und es nie richtig dunkel wird, in der das offene Fenster am Abend die Grillen und Stimmen der Außenwelt hineinlässt, die Decke nur noch dem Gemütlichkeitsfaktor und keinesfalls mehr der Wärme dient, auf der Seite liegend zwischen den Knien, als Schutz vor sich selbst und dem Alleinsein.
Ich hatte vergessen, dass gerade jetzt diese Zeit ist und dass die Zeit überhaupt noch vergeht, sich nicht an die Regeln hält und nicht einfach stillsteht, das war mir entfallen.
Doch heute ist es mir wieder eingefallen.
Als ich meine verstaubten Birkenstocksandalen aus dem Regal nahm, um mit nichts als einem Stoffbeutel mit meinen Schlüsseln, dem Täschchen mit einigen Groschen und meiner Sonnenbrille ausgestattet, das Haus verließ, verträumt und sonnig lächelnd durch die Ladenstraße lief und Halt vor dem Blumenmeer meines Vertrauens machte. Zwischen Pfingstrosen und anderen botanischen Spirituosen, die mindestens genauso süchtig machen, blickte ich auf und entdeckte einen dunklen Lockenkopf auf der anderen Straßenseite. Nur eine Sekunde lang sah ich den geheimnisvollen Fremden an, wandte meinen Blick wieder dem Pflanzengeschehen zu, als in mir Schmetterlinge erwachten und sie brachten mich dazu, mich zu erinnern, an die Zeit, die jetzt gerade ist.

An alle vergangenen Sommer und deren Romanzen, an morgentaunassen Rasen und den Geruch von Sonnencreme, an Nachmittage mit einem Block und fünf Würfeln und Abende, die in halbdunklen Nächten enden. Ich lächelte, was vermutlich niemand hinter meinem Mundschutz sah, doch in mir war plötzlich eines ganz klar, dass die Zeit niemals stillsteht, und dass der Sommer nicht nur eine Jahreszeit, sondern ein Teil meines Herzens ist. Dass ich den Sommer in mir trage und gibt es Jahre, wie dieses, in denen die Welt den Sommer vielleicht mal vergisst, lebt er dennoch in uns weiter und wer weiß, vielleicht sieht man bald ja wenigstens lächelnde Augen in dieser sommervergessenden Zeit, in der Nähe als Fremdwort uns ständig begleitet wie die gemeinsame Einsamkeit.
Johanna ist ein gebürtiges Inselkind und lebt im Norden zwischen zwei Meeren und unzähligen Postkarten und Bildern ihrer liebsten Menschen und Orte. Sie hat eine Schwäche für Sprachen und Worte aller Art und liebt englische Adverbien fast so sehr wie Ozeanmetaphern.