Selbst & Inszenierung
Schreibe einen Kommentar

Zeit, erwachsen zu werden #heiterbiswolkig

Meine ganze Kindheit und die meiste Zeit meiner Teeniejahre, hatte ich eine sehr genaue Vorstellung davon, was es bedeuten würde, erwachsen zu sein und vor allem, wie ich mein Leben gestalten würde wenn ich endlich erwachsen wäre.

Erwachsene sind die, die bestimmen, die Regeln vorgeben, das letzte Wort haben und für sich selbst entscheiden können. Ich konnte es kaum erwarten, das auch endlich zu dürfen.

Frei von Pflichten wie Schulaufgaben oder Helfen im Haushalt, Sperrstunde und Internetverbot, endlich machen können was, wann und wie ich es will, klang ziemlich gut.

Und zuerst war es das auch. Ich erinnere mich gut an die erste Zeit nachdem ich von Zuhause ausgezogen war. Mein neues, selbstbestimmtes Leben fing gerade an und ich fühlte mich großartig. Allein in meiner eigenen Wohnung die gefüllt war mit Dingen die nur mir gehörten, fühlte ich mich frei und unabhängig. Ich konnte endlich nachts spazieren gehen ohne dass irgendjemand sich Sorgen machte und es war aufregend die völlige Freiheit zu haben, wie ich meine Tage und meinen Lebensraum gestalten will. 

Tatsächlich führte ich die ersten paar Monate mein absolutes Traumleben. Ich kochte so viel und gesund wie nie zuvor, fing an täglich Yoga zu machen, zu gärtnern, malte und musizierte viel und war insgesamt voller Freude am Leben. Mir fiel es so leicht, Entscheidungen zu treffen, alles ergab sich wie von selbst. Rückblickend fühlt sich dieser Abschnitt meines Lebens fast ein bisschen zauberhaft an.

Jetzt wo ich schon ein paar Jahre von Zuhause ausgezogen bin, merke ich, dass dieser Zauber irgendwo zwischen dem letzten Umzug und den letzten 3 Jahren Studium auf der Strecke geblieben ist. Es ist nicht mehr aufregend erwachsen zu werden, sondern einfach mein Leben. Und so langsam merke ich, dass das was mir am Anfang meines Erwachsenwerdens so viel Energie gegeben hat, langsam zur Last wird. 

In meine Freiheit haben sich immer mehr Verpflichtungen eingeschlichen, die sich am Anfang noch nicht so angefühlt haben. Jetzt ist es zur Arbeit gehen und Geld verdienen müssen, statt einfach jobben zu dürfen. Kontakte halten müssen, statt einfach nur die Freunde die ich treffen will, dann wann ich will zu treffen. Sachen für die Uni machen müssen, statt endlich den ganzen Tag zeichnen zu dürfen. Alles was ich für mich entschieden habe, fühlt sich nicht mehr wie Freiheit, sondern wie Pflicht an. Ich habe mir alles ausgesucht – wo ich wohne und arbeite, welche Verpflichtungen ich mir auferlege und auferlegen lasse. Trotzdem fühlt es sich an, als hätte mein Leben mich im Griff, statt anders herum.

Ich frage mich, ob es allen anderen, ob es dir genauso geht?

Ist das ein Phänomen, mit dem alle Menschen oder alle Erwachsenen zu kämpfen haben?

Wann hören wir auf, unser Leben als einen riesigen zauberhaften Spielplatz zu sehen ?

Eigentlich ist das auch egal. Was mich wirklich beschäftigt ist, wie ich dieses Gefühl zurüchbekomme. Die Gestaltungsfreiheit, den Zauber der Möglichkeiten. Kann ich mein Pflichtgefühl und die Fesseln meines Alltags irgendwo dagegen eintauschen?

Die Antwort ist ja, bei mir selbst.

Egal was ich sage und hoffe, in meinem Leben wird sich nicht viel ändern, wenn ich nicht dafür sorge. Ich habe das meiste in der Hand und ich kann jede Entscheidung rückgängig machen wenn ich das will. Aber was am allerwichtigsten ist – ich kann in jeder Sekunde meines Lebens entscheiden, wie ich eine Situation betrachten will. Lasse ich mich darauf ein, wie die meisten Menschen darüber zu jammern, dass ich zur Arbeit gehen muss? Vielleicht freue ich mich stattdessen dass ich fürs Kochen bezahlt werde, die Werte des Ladens vertrete und mit wundervollen Menschen zusammenarbeiten darf. Vielleicht fühlt sich Uni nicht wie Pflicht an, wenn ich dankbar dafür bin, mich jeden Tag in meiner Leidenschaft weiterbilden zu können. Und vielleicht höre ich einfach mal auf, mir selbst sozialen Stress zu machen, und erfreue mich stattdessen an den vielen tollen Menschen, die genauso Lust haben, Teil meines Lebens zu sein wie ich von ihrem.

Ich allein habe in der Hand, wie sich mein Leben anfühlt. Wirklich.

Egal was ist, ich kann es verändern. Ich bestimme, ich mache die Regeln.

Und wenn sich mein Leben mal nicht zauberhaft genug anfühlt, ändere ich meine Regeln einfach.

Und wenn ich das nicht vergesse, wird erwachsen werden sehr viel schöner sein.

Carolin ist 24 und lebt in Kassel, wo sie an der Kunsthochschule studiert und zwei Nebenjobs arbeitet. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten mit Musik, lieben Menschen und damit, sich und ihre Umgebung zu beobachten, zu zeichnen und zu verstehen.

In ihrer Kolumne heiter bis wolkig setzt sich Carolin mit dem Thema Erwartungen auseinander. Was erwarten wir von uns, von anderen, von der Welt? Wo merken wir vielleicht gar nicht, dass wir etwas erwarten und wie werden wir von all dem beeinflusst?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert