Träume sind verrückt. Meistens kann ich mich nach dem Aufwachen nur noch wage an meinen Traum erinnern und nach wenigen Minuten scheint das Geträumte ganz aus meinem Gedächtnis zu verschwinden. Dennoch bleibt oft ein einnehmendes oder komisches Gefühl, was mich noch den restlichen Tag begleitet. Und manchmal fällt mir plötzlich, mitten am Tag, wieder ein kleiner Ausschnitt aus meinen Traum ein, der dann aber überhaupt keinen Sinn ergibt und total unlogisch erscheint. Träume halt.
Die universale Sprache der Nacht
Träume sind wie eine zweite, universale Sprache, die wir alle sprechen. Sie kam zu allen Zeiten in der menschlichen Geschichte und in allen Kulturen vor. Die Traumsprache von Michael Jackson, der Queen und dir und mir ist fast ganz genau dieselbe. Und obwohl wir meistens vergessen, was wir geträumt haben und deshalb meinen, wir hätten nicht geträumt, träumen wir doch jede Nacht.
In unseren Träumen sprechen wir also eine Art Nachtsprache. Es ist, als ob wir Französisch nur in der Nacht sprechen würden und am Tag kein Wort verstünden. Außerdem sind Träume sehr symbolisch. Das bedeutet, dass wir im Traum zwar sinnliche, fast greifbare, sehbare Dinge sehen, diese jedoch innere Erlebnisse und Gefühle ausdrücken und für diese stehen. Es ist wie in der Dichtung. Wenn ein Schriftsteller sagt: „Die rote Rose macht mein Herz warm„, geht es nicht darum, dass die Temperatur ansteigt, sondern es geht womöglich um Liebe oder ähnliche innere Gefühle. Wir sollten also das, was wir träumen, nicht wortwörtlich nehmen. Wir träumen sozusagen in einer Art Geheimcode. Die wirkliche Bedeutung des Traumes wird nur dann verständlich, wenn wir diesen Code entziffern. Was Sigmund Freud Traumdeutung nennt, ist also im Grunde nichts anderes als eine Entzifferung.
Aber warum ist das überhaupt wichtig? Warum sollten wir unsere Träume deuten?
Erst einmal ist Schlaf unfassbar wichtig, um unseren Körper und unseren Geist zu regenerieren. Unser Energievorrat wird wieder aufgefüllt, während unsere körperliche Tätigkeit und sogar die Sinneswahrnehmung fast ganz aufhören. Das wichtigste ist jedoch, dass im Schlaf die Hauptfunktion unseres wachen Lebens aufgehoben ist: die Reaktion auf die Wirklichkeit durch Wahrnehmung und Handlung.
Es ist im Grunde ein Unterschied zwischen zwei Existenzen, dem Schlaf- und dem Wachzustand. Im Wachzustand reagieren wir sofort mit Gedanken, Gefühlen und Tätigkeiten auf unsere Umwelt. Die Hauptaufgabe in unserem wachen Leben heißt also, sich im Existenzkampf zu behaupten. Am Tag sind wir vernünftig. Wir denken nicht, was uns absurd erscheint. Wir machen nichts, was wir nicht machen dürfen. Wir tun, denken und fühlen meistens nur das, was man von uns erwartet.
Im Schlaf sind wir frei
Aber im Schlafzustand ist das anders. Im Schlaf brauchen wir nicht auf Eigenschaften achten, die für die Bewältigung der Wirklichkeit wichtig sind. Nachts sind wir frei, tragen keine Verantwortung für irgendwas. Wir müssen niemandem gefallen, tragen keine Konsequenzen. Da sind nur wir, alles ist rein subjektiv.
Wenn wir zum Beispiel das Gefühl haben, dass eine Person aus unserem Leben ein Feigling sein könnte, kann es sein, dass diese Person in unserem Traum in der Form von einem sprechenden Huhn erscheint. In der Realität wäre das natürlich total unlogisch, aber es geht eben nicht darum, das Geträumte wortwörtlich zu nehmen, sondern es zu entziffern. Wenn ich eine Person plötzlich in der Gestalt eines Huhns sehe, ist das eben meine ganz eigene Logik. Es ist die Logik, die meine Gefühle ausdrückt.
Vielleicht traue ich mich im echten Leben nicht zuzugeben, dass ich finde, dass diese Person ein Feigling ist. Vielleicht habe ich Angst vor der Reaktion anderer Menschen, weil alle andere diese Person total toll finden. Wir wissen im Traum viel mehr, als uns im Wachsein bewusst ist. Wir sind irrationaler, aber auch weiser. Vor allem sind wir befreit von gesellschaftlichen Erwartungen und können tun und lassen was wir wollen.
Große Einsicht in unser Inneres
Träume haben also so gesehen eine schöpferische Kraft. Sie sind wie eine Bühne für das Unbewusste, für das, was wir uns in der Wirklichkeit nicht trauen oder gar verdrängen. Sie bieten eine große Einsicht in das Innere eines Menschen. Oft wollen wir uns selbst nicht verstehen, weshalb uns Träume als unlogisch erscheinen und wir sie ganz schnell wieder vergessen.
Wir wissen mehr über uns und über andere, wenn wir anfangen, unsere Träume zu verstehen. Vielleicht ermöglicht uns Traumdeutung auch zu verstehen, was wir wirklich wollen und nicht weiter das anzustreben, was die Gesellschaft, Freunde oder Familie von uns erwarten.