Für viele ist sie eine Ikone der Kindheit. Sie ist die Schöpferin der wohl bekanntesten Fantasybücher aller Zeiten: Die Rede ist von Joanne K. Rowling, Autorin der Harry-Potter-Buchreihe.
Es ist zwar schon eine Weile her und mittlerweile dürften es wohl die meisten mitbekommen haben: J.K. Rowling sieht nicht ein, warum ihre transphoben Aussagen so schwierig sind. Warum das aber ein Problem ist, darum soll es in diesem Artikel gehen.
In eine Welt abzutauchen, in der alles möglich ist, kann einem Halt gegeben.
Wie viele bin auch ich mit den Harry-Potter-Romanen aufgewachsen und kann ernsthaft behaupten, dass diese eine Zeit lang ein bisschen mein Leben waren. In eine Welt abzutauchen, in der alles möglich ist, wo es Zauberei, magische Geschöpfe und Zeitreisen gibt, hat mir Halt gegeben und mich von meinem Alltag abgelenkt. Diese Bücher waren und sind bis heute ein Stückchen Geborgenheit für mich. Darum fällt es mir umso schwerer, die Autorin hinter der zauberhaften Geschichte zu kritisieren.
Seit geraumer Zeit äußert sich Rowling nämlich online zu allem möglichen, darunter auch häufiger zu Genderfragen. Vor wenigen Wochen erst machte sich die Autorin über einen Online-Artikel lustig, in dem von „Menschen, die menstruieren“ die Rede war. Sie spielte darauf an, dass nur biologische cis-Frauen die Periode bekommen könnten, was natürlich Unsinn ist.
Dieser Kommentar brachte einen ordentlichen Shitstorm um die Autorin. Viele Menschen der LGBT+-Community empfanden Rowlings Aussage als ignorant und transphob. Und es war nicht das erste Mal, dass die Britin mit respektlosen Wortmeldungen auffiel. Erst im Dezember des letzten Jahres sprach Rowling ihre Unterstützung für Maya Forstater aus, eine Steuerspezialistin, die aufgrund transfeindlicher Ansichten ihren Job verloren hatte. Rowling solidarisierte sich mit Forstater, einer Frau, die davon überzeugt ist, dass es nur zwei Geschlechter gibt und die Trans*frauen als „männliche Personen“ bezeichnet.
Als Antwort auf die zahlreichen Diskriminierungsvorfwürfe verfasste Rowling vor etwa einem Monat einen Artikel auf ihrer Website, in dem sie über Genderfragen, aber auch über persönliche Erfahrungen sexueller Gewalt berichtet.
Bevor ihr weiterlest, meine Empfehlung: Lest vorher ihren Essay, damit Ihr Euch selbst ein Bild machen könnt. Denn ich werde nicht auf jedes ihrer Argumente eingehen können.
Im Allgemeinen geht es Rowling in ihrem Aufsatz darum, dass sie und alle anderen Menschen ihre Meinung frei äußern dürfen, ohne dass ein „Klima der Angst“ entstehe. Sie beharrt darauf, dass das biologische Geschlecht (engl. sex) als festes Kriterium für die Unterscheidung von Menschen bestehen bleiben soll. Denn sie befürchte, dass wenn insbesondere Trans*personen diese Einheit hinterfragen würden, die Lebensrealität von cis-Frauen ausgelöscht würde. Rowling selbst und „biologische Frauen“ seien durch diesen Trans*aktivismus angeblich benachteiligt und der Einsatz für die Gerechtigkeit der Geschlechter würde somit verhindert werden.
Ob das biologische Geschlecht als Einordnungskategorie sinnvoll ist oder nicht, sei hier mal außer Acht gelassen. Viel zentraler ist, dass Rowling in ihrem Text sehr stark verallgemeinert. Sie kritisiert nicht die Aussagen einzelner Trans*personen, sondern sie spricht von einer gesamten Trans*bewegung, von der sie glaubt, dass sie „nachweislich Schaden anrichtet, wenn es darum geht, die „Frau“ als politische und biologische Klasse zu untergraben“.
Das klingt erstmal heftig, ist aber, meiner Meinung nach, nicht viel mehr als eine sehr theoretische Behauptung. Denn viele, wenn nicht sogar die meisten Trans*menschen, teilen die Ansicht, dass das biologische Geschlecht „real“ ist. Aber auch die Geschlechtsidentität ist real, also das gefühlte (engl. gender) Geschlecht, was in ihrem Essay kaum Beachtung findet.
Solche Pauschalisierungen sind ungerecht und lassen keine differenzierte Diskussion zu. Rowling radikalisiert somit Trans*menschen im Allgemeinen, obwohl sie immer wieder ihre Solidarität und Liebe zu Trans*- und queeren Personen betont.
Im Herzen sieht sich die Autorin bestimmt als Verfechterin von LGBT+-Interessen; mit ihrer konservativen Haltung und unbedachten Tweets wie „ich kenne und liebe Transpersonen, aber…“ schießt sie sich jedoch selbst ins Aus. Und das ausgerechnet während des Pride-Monats. Ein Monat, in dem es um Zelebrierung und Anerkennung von queeren Gruppen geht.

Dass Rowling in ihrem Essay auch von eigenen Gewalterfahrungen als Frau erzählt, finde ich hingegen sehr mutig und verdient Respekt. Sinngemäß schreibt sie, dass ihre Erlebnisse und die vieler anderer Frauen anerkannt werden sollen als Ungerechtigkeit, die aufgrund des Geschlechts geschehen ist. Jedoch ist Rowling der Auffassung, dass Trans*menschen mit ihren Forderungen diese Realitäten zunichtemachen würden. Seltsamerweise erwähnt sie kein einziges Mal, wer konkret behauptet hätte, dass das biologische Geschlecht „nicht real“ sei. Darüber hinaus scheint die Autorin außer Acht zu lassen, dass Trans*frauen ebenfalls von Sexismus und dergleichen Verbrechen betroffen sind. Einmal mehr wird hier den Problemen von Trans*menschen kein Gehör geschenkt, sondern eine ganze Personengruppe über einen Kamm geschert.
In sehr ungünstigen Formulierungen plädiert Rowling dann für die „Sicherheit von Frauen und Mädchen“ und stellt im selben Zug Trans*frauen als potentielle Kriminelle dar; die übersetzte Textstelle lautet: „Wenn man Türen von Badezimmern und Umkleidekabinen für einen Mann öffnet, der glaubt oder sich danach fühlt, eine Frau zu sein, dann öffnet man die Tür für alle Männer, die hineinkommen möchten.“
So sehr ich auch versuche, ihren Gedanken hier ernst zu nehmen, so sehr schmerzt es mich, dass Leute anscheinend immer noch nicht verstanden haben, was trans* sein eigentlich bedeutet. Trans*sein ist keine Entscheidung. Natürlich wirken dann solche Gruselbilder umso abschreckender auf die Leute, die sich damit noch nicht auskennen. Ich frage mich, wie viele junge Menschen zu Rowling und ihren Büchern hinaufschauen oder was sie wohl über Trans*personen denken müssen, nachdem sie solche Zeilen lesen.
Feminismus bezieht alle Frauen ein. Auch Trans*Frauen.
Wenn sich Rowling für den Schutz von Frauenrechten ausspricht, aber damit ausschließlich cis-weibliche Menschen meint, ist das eher unlogisch. Denn Feminismus im Jahr 2020 bezieht alle Frauen ein. Auch Trans*frauen. Wenn J.K. Rowling das anders sieht, dann macht sie das nun einmal zu einer TERF. Dieser Begriff steht übersetzt für Trans-Exklusive Radikale Feminist_innen, also Menschen, die Trans*personen in ihren feministischen Bestrebungen kategorisch ausschließen und weder Trans*frauen, noch Trans*männer anerkennen.
Man darf eben auch nicht vergessen, dass Rowlings Text ein persönlicher Essay ist. Aber auch nicht mehr als das. Die Studien und Zahlen, die sie erwähnt, machen ihren Artikel noch zu keinem wissenschaftlichen Text. Zumal die genannten Daten sehr umstritten sind und kein einheitliches, verlässliches Bild über das Leben von Trans*menschen vermitteln. Im Grunde fing die Debatte ja damit an, dass Rowling sich über gendergerechte Sprache belustigte; jetzt redet sie aber von Jugendlichen, die mit ihrer Geschlechtsidentität hadern oder vermeintlich ins Trans*sein ‚gedrängt werden‘. Großer Irrtum, denn die Mehrheit der Wissenschaft ist sich einig: Personen können nicht trans* werden! Sie sind es oder sie sind es nicht. Die etwas abstrusen Thesen, die Rowling hier in den Raum stellt, waren auch schon Grund für zahlreiches Fact-Checking, unten sind einige Artikel verlinkt.
Die Harry-Potter-Bücher und -Filme haben weltweit einen großen Einfluss, gerade auf junge Menschen. Sie geben den Lesenden das Gefühl, angenommen und respektiert zu werden, egal wie außergewöhnlich man ist. Wenn die Autorin allerdings diskriminierende Haltungen einnimmt, bringt das das Publikum in einen Zwiespalt. Rowling selbst versucht seit einigen Jahren, der Potter-Welt ein inklusives, diverses Image zu verpassen, indem sie Figuren als queer oder als people of color darstellt. Umso widersprüchlicher erscheinen dann ihre transfeindlichen Standpunkte.
Daniel Radcliffe, der Harry Potter in den Verfilmungen gespielt hat, äußerte sich in einem Artikel an die Fans folgendermaßen: „wenn ihr in diesen Geschichten etwas gefunden habt, das zu euch spricht und euch zu irgendeinem Zeitpunkt in eurem Leben geholfen hat – dann ist das zwischen euch und dem Buch, das ihr lest, und es ist heilig“.
Auch der restliche Hauptcast bezog Stellung zu Rowlings fragwürdigen Aussagen. Rupert Grint und Emma Watson sprachen sich für die Trans*-Community aus. So positionierte sich die Hermine-Darstellerin auf Twitter: „Trans-Menschen sind, wer sie sagen, dass sie sind, und verdienen es, ihr Leben zu leben, ohne ständig infrage gestellt zu werden.“ Da sage ich: Danke, hundert Punkte für Gryffindor!
Salz in die Wunden
Ein bisschen hatte ich mir erhofft, dass Rowling vielleicht Einsicht für die verletzende Wirkung ihrer Statements zeigt und sich eventuell sogar dafür entschuldigt. Stattdessen macht sie es mit neuen Tweets nur schlimmer. Erst vor wenigen Tagen verglich sie die Hormontherapie – die viele Trans*menschen zur Angleichung an das gefühlte Geschlecht wählen – mit einer „neuen Art der Konversionstherapie“… Ja, richtig, Konversionstherapien sind diese pseudo-Therapien, die Homosexualität angeblich ‚heilen‘ sollen.
Rowling ist nämlich besorgt, dass „Jugendliche, die mit ihrer psychischen Gesundheit zu kämpfen haben, Hormone verabreicht bekommen oder Operationen durchführen lassen, die möglicherweise nicht in deren Interesse sind“. Okay, zum einen hat das nichts mit Konversionstherapien zu tun und zum anderen wird durch ihre Behauptung lediglich der Fokus von einem Problem auf ein anderes verschoben. Selbstverständlich ist es fatal, wenn Menschen falsch behandelt werden. Aber ein viel größerer Anteil an Trans*personen ist auf Hormontherapien angewiesen, um überleben zu können. Und dass gegengeschlechtliche Hormone generell unfruchtbar machen, ist sowieso ein Mythos.
Trotz alledem ist wichtig zu betonen, dass J.K. Rowling nicht zum absoluten Feindbild erklärt werden sollte, wie ich auf Social Media öfter den Eindruck hatte. Natürlich streut sie unnötig Salz in die Wunden einer Community, die ohnehin um Sichtbarkeit und Akzeptanz ringt. Nichtsdestotrotz setzt sich Rowling weder aktiv gegen Trans*rechte ein, noch ist sie eine Person in einem rechtlichen oder öffentlichen Amt. Ihre Worte tun weh, aber haben keine direkten politischen Auswirkungen. Um als Community wirklich Verbesserungen zu erwirken, wäre der Blick in die Politik und Parteien sinnvoller, die schlussendlich die Anliegen unserer Gesellschaft vertreten. Denn dort darf sich gerne noch einiges tun.
Die Trans-Aktivistin Munroe Bergdorf kommentierte Rowlings Standpunkte auf Twitter passend mit den Worten: „J.K. Rowling ist keine Wissenschaftlerin. Sie ist keine Ärztin. Sie ist keine Expertin in Sachen Gender.“, weiter schrieb sie: „Wenn Ihr wissen wollt, was für Trans-Menschen am besten ist. Hört Trans-Menschen zu.“
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Weiterführende Links zum Thema:
Eine Analyse des Essays von zwei Doktorant_innen.
Ein ausführlicher Artikel von Insider.
Ein Artikel von Rolling Stone.
Ein Post von einem Instagrammer.
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Text und Bilder von Emi.
Emi ist 20, Tagträumerin, Studentin und lebt in einem grünen Stadtteil Berlins. In ihrer Kolumne #Facettenreich geht es um Menschen und Themen, die unsere Gesellschaft prägen und bereichern. Sie geht der Frage nach, was uns ausmacht, ‚anders‘ macht und was Diversität bedeuten kann.