Wenn um mich herum regenbogenfarbenes Konfetti geworfen wird, mein Gesicht mit Glitzer vollgeschmiert ist, die Juni-Sonne gnadenlos auf mich prallt und an jedem Wagen ein anderer Song einer Pop-Queen läuft, ist „Pride“-Parade angesagt. Diese stellt jedes Jahr den Höhepunkt des Pride-Monats Juni dar, welcher an die Stonewall-Aufstände in 1969 in Manhattan erinnern soll. Der Stonewall-Aufstand gilt als Wendepunkt der Schwulenbewegung in den Vereinigten Staaten und wird bis heute im Juni mit Umzügen, Picknicks, Partys, Workshops oder Konzerten weltweit gefeiert, auch in Deutschland gibt es in fast jeder großen Stadt zumindest einen Christoper Street Day-Umzug.
Seit Oktober 2017 gibt es in Deutschland die „Ehe für alle“, 74% der Deutschen befürworten laut Wikipedia eine vollständige Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften und seit Oktober 2017 ist es außerdem möglich, dass gleichgeschlechtliche verheiratete Paare Kinder adoptieren dürfen.
Wir sind also schon ziemlich divers, oder? Brauchen wir den Pride-Monat dann überhaupt noch?
„Queere Menschen stehen immer noch im Schatten der Gesellschaft, viele können sich nicht willkommen fühlen und oder müssen sich verstecken. Der Pride-Month ist ihr Monat, auf CSD’s können sie sich „ganz normal“ fühlen, sie können ankommen.
Lukas
Da wir als queere Menschen heutzutage immer noch nicht akzeptiert sind, ist es wichtig, dass man uns diesen Monat „schenkt“. So können vielleicht auch Außenstehende sensibilisiert werden.„
Pride gibt LGBTIQ*-Personen die Möglichkeit, sich und die Weise, wie sie lieben, zu feiern: Ohne Ausnahmen, ohne Verstecken. Für mich ist dieser Monat ein ganz großes, prächtiges Fest der Liebe und Vielfältigkeit. Aber ich muss auch außerhalb meiner Blase schauen: Ich komme aus einem kleinen Dorf inmitten von Hessen, in dem alle Personen in heterosexuellen Beziehungen leben. Personen, die sich der LGBTQ*-Community zugehörig fühlten, sind grundsätzlich in größere Städte gezogen. Außerhalb meiner Blase ist es immer noch verwunderlich, wenn sich jemand als nicht heterosexuell outet. Auf Familienfeiern wird leiser gesprochen, wenn es um die Tochter von XY geht, „die ja mit einer Frau zusammenlebt“. Und so divers mein Freundeskreis auch sein mag: Außerhalb der Großstädte hat sich noch nicht viel geändert.
Wie viele Menschen kennst du, die nicht heterosexuell sind? Ist es nicht ein Bruchteil all der Menschen, die du kennst? Meinst du nicht, dass unter ihnen Personen sein könnten, die sich einfach nicht trauen, sich zu outen, weil sie Angst haben? Ist es nicht unglaublich schade, dass das in 2020 immer noch der Fall sein kann?

„Der jährlich stattfindende Pride Month ist wichtig, um an den Stonewall-Aufstand, der ausschlaggebend für den Beginn des Kampfes um Rechte für LSBTIQ* Personen war, zu erinnern und um ebenfalls an die PoC Trans-Aktivist*innen Marsha P. Johnson and Sylvia Rivera zu gedenken, die den Aufstand 1969 in New York initiiert haben. Außerdem dient der Pride Month nicht nur zu einer erhöhten Sichtbarkeit für queere Personen innerhalb der Gesellschaft, sondern auch in der Politik. Dadurch entsteht das Potential für einen stärkeren politischen Druck sowie öffentliche Diskussionen, was sich positiv auf geforderte Rechte und Gesetze, wie z.B. den neuen Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur Aufhebung des sogenannten Transsexuellengesetzes und die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes, auswirken kann.
Thale
Der Pride Month existiert nicht zur Erinnerung an bisher Erfolge zur Gleichstellung für LSBTIQ* Personen, sondern ist auch immer noch wichtig, um zum Kampf gegen immer noch bestehende Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen zu motivieren: Die Anzahl der Gewalt gegen Transpersonen, insbesondere gegen PoC, steigt weiter an, USA-Präsident Trump hat den Transgender-Gesundheitsschutz rückgängig gemacht und die britische Regierung plant, die Reform des Gesetzes zur Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit abzuschaffen und Transgender-Frauen daran zu hindern, Frauen-Toiletten zu benutzen.
Der Pride Month ist dazu da, um auf diese aktuellen Probleme vermehrt aufmerksam zu machen und zum Allyship aufzurufen — natürlich auch alle anderen 11 Monate im Jahr.“
Wir brauchen Pride und es gibt genügend Gründe dafür.
Wir brauchen Pride, weil es immer noch Personen gibt, die nur an solchen Orten und bei solchen Veranstaltungen wirklich sie selbst sein können.
Wir brauchen Pride, weil heterosexuelle Personen fragen, warum sie denn selbst keinen Pride-Month bekommen.
Wir brauchen Pride, weil immer noch von Anfang deines Lebens davon ausgegangen wird, dass du heterosexuell bist („Everyone is straight until they’re not.“).
Wir brauchen Pride weil Ärzt*innen und Versicherer in den USA Trans-Personen jetzt die Gesundheitsversorgung verweigern können (eine Reform, die Barack Obama in die Gänge gebracht hatte, die von Donald Trump zurückgerufen wurde).
Wir brauchen Pride, weil der polnische Staatspräsident Andrzej Duda LGBTIQ* als eine „Ideologie“ betitelt und behauptet, dass deren Angehörige keine Menschen seien. Diese Ideologie sei in seinen Augen zerstörerischer als der Kommunismus (friendly reminder an dieser Stelle: Polen gehört zur EU). Leider sagt selbst Deutschlands Außenminister Heiko Maas beim Staatsbesuch in Warschau einfach nichts dazu, aus Rücksicht auf seinen Wahlkampf, wollte er ihn doch eigentlich öffentlich für die Äußerungen verurteilen.
Pride ist wichtig, weil es gerade im Moment wieder so viele Rückschritte gibt und unsere Welt zu verblassen scheint, anstatt bunter zu werden. Weil wir uns selber einengen, uns selbst nicht den Raum lassen, um all das zu sein, was wir sein könnten. Weil wir den Blick davor verschließen, was wir vielleicht auch sein könnten wenn wir es zulassen würden. Weil wir Angst haben, so zu sein, wie wir wirklich sind.
„Ich empfinde den Pride Month als wichtig. Einfach damit man einen Anlass hat, die Historie der LGBTQ+-Community nochmal zu fokussieren und darauf aufmerksam zu machen, was es für Misstände auch heute noch gibt.“
Marci
„Pride wurde maßgeblich von der schwarzen Transfrau Marsha P. Johnson ins Leben gerufen und begann als Aufstand. Auch wenn besonders weiße Cis-Personen Pride heute vor allem als Party wahrnehmen, sie ihren Platz in der Gesellschaft gefunden haben, ihre Identität zelebrieren, sollte gerade für den anderen Teil der LGBTQIA+-Community mehr Platz geschaffen werden. Pride sollte wieder mehr genutzt werden, um aufzustehen, auf die Straße zu gehen für diejenigen, denen immer noch nicht der verdiente Platz in der Gesellschaft und in der queeren Community gegeben wird.“
Lena
Pride ist wichtig, weil es nicht nur darum geht, wo wir schon hingekommen sind oder was wir schon alles geschafft haben sondern einfach auch darum, den Raum nutzen zu können um das zu feiern, was wir erreicht haben und was/wie wir sind – in allen Facetten.
Der Tag endet damit, wie ich aus der Bar stolpere und umgeben von meinen Freund*innen oder einer Person, die ich im Gewusel dieses bunten Tages kennengelernt habe, den Heimweg antrete. Ich habe noch „Dancing On My Own“ von Robyn im Kopf weil es der letzte Song war, der in der Bar lief (obviously – the gays just know exactly what it feels like). Ich habe ein dickes Grinsen im Gesicht weil ich mich so freue, wie verschieden wir alle sind und wie sehr wir uns trotzdem lieben, aber gleichzeitig bin ich auch traurig wenn ich an die vielen Personen denke, die immer noch das Gefühl haben, nicht sie selbst sein können.
Ich denke an euch alle. Ich werde es niemals verstehen, warum man es hasst, wenn Menschen anders lieben als man selbst.
Liebe ist das Schönste, egal in welcher Form.
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Text und Collage von Imina.
Zitate von Lukas, Thale, Marci und Lena.