Körper & Bewusstsein, Tabuthema?
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Blau ist das neue Rot #Zeitgeist*in

„Always trocken. Always sauber. Und mit Sicherheit ein gutes Gefühl.“, schreit mir eine energische Stimme entgegen, während ich mir Unmengen Puffreis in den Mund schaufle. Ich bin dreizehn, habe meine Liebe für tieftraurigen Deutschrap entwickelt und neuerdings auch meine Periode. Wie wunderbar. 

Abgesehen davon, dass ich mit dieser Veränderung in meinem Körper, den Schmerzen, dem Blut erst einmal klarkommen musste, irritierte mich schon damals etwas an diesen Werbespots für Tampons, Binden und Co. enorm. Ich saß vor dem Fernseher, Wärmflasche auf dem Unterbauch liegend, halb getrockneten Blutfleck im Slip. Und die Frau in der Werbung? Strahlend hüpft sie durch den Park, der weiße Rock wirbelt stürmisch um ihre Beine. Den Fakt ausgenommen, dass das ein größtenteils völlig verqueres Bild davon zeigt, wie man während seiner Periode aussieht und agiert: Wo bleibt da das Blut?  

Schnitt. Die lachende Frau ist verschwunden. Eine schwebende Binde erscheint. Und dann folgt das Unrealistischste, das Fernsehzuschauer wohl je zu Gesicht bekommen werden: Aus dem Nichts wird blaues Gel auf eine Binde gegossen, um ihre („ultra“) Saugfähigkeit unter Beweis zu stellen. Bitte was? 

Always / Giphy / via betty.me

Eine Notwendigkeit

Indem in Werbespots die Menstruation thematisiert wird, wird nicht nur für absolut notwendige Produkte geworben, sondern auch ein natürlicher Vorgang gezeigt, mit dem nahezu jeder Mensch, der eine Gebärmutter im Körper trägt, früher oder später konfrontiert wird. Ja, es braucht diese Produkte, um Kleidung zu schonen und den Alltag trotz (teils massivem) Ausfluss bestreiten zu können, denn unsere Gesellschaft ist noch lange nicht an dem Punkt angelangt, an dem die Menstruation wirklich als Einschränkung für Menstruierende wahrgenommen wird. Dies ist aber nur ein weiterer Faktor, der zeigt, dass noch ein weiter Weg der Enttabuisierung vor uns liegt.  

Man erkennt also, dass die Werbung für Monatsprodukte durchaus eine legitime Form der Information für Verbraucher*innen sein kann. Doch die Art und Weise der Darstellung stellt heraus, wie stark die Menstruation nach wie vor tabuisiert wird.  

Das ist auch der Grund, weshalb der britische Monatsprodukt-Hersteller Bodyform in einem Werbespot unter dem Titel „Blood Normal“ mit dem Slogan „periods are normal. showing them should be too.“ im Herbst 2017 massive Kritik erhielt. Doch Bodyform zeigt genau das, woran sich deutsche Hersteller ein Vorbild nehmen sollten. Neben dem Fakt, dass (endlich) dunkelrote Flüssigkeit in die Binde gegossen wird, zeigt das Video zum Beispiel einen jungen Mann, der im Supermarkt eine Packung Binden kauft. In der nächsten Szene sieht man den Oberschenkel einer menstruierenden Person unter der Dusche, an welchem neben Wasser auch Blut in kleinen Rinnsalen hinunterfließt. Zuletzt hüpft eine als blutige Binde verkleidete Person durch das Bild.

Im Herbst 2019 brach dann ebenfalls eine Welle an Beschwerden über die australische Schwesterfirma Libra hinein, die unter anderem auch die oben aufgeführten Szenen in einem zweiminütigen Werbespot zu einer gemeinsamen Kampagne zusammenführte. Zuschauer empfanden den Werbespot als “beleidigend” oder “ekelhaft”. Doch die australische Regulierungsbehörde reagierte bekräftigend und wies die rund 600 Beschwerden zurück. Sie seien der Auffassung, dass die Botschaft hinter den Darstellungen zur Entmystifizierung der Menstruation beitrage und damit die Gleichstellung fördere. Auch verstoße der Spot nicht gegen den Ethikkodex der Branche. Der Vorwurf “es sei zu keiner Tageszeit angemessen, blutende Mädchen im Fernseher zu zeigen”, wies sie ebenfalls bewusst zurück.  

Periode normalisieren

Libra selbst äußerte sich, dass die Werbung bewusst ein Tabu brechen würde und jene Schamgefühle beseitigen sollte, die viele Menstruierende empfinden, wenn sie ihre Periode haben. Sie solle “normaler” werden.  

Warum Hersteller hierzulande also immer noch vor einer Neukonzeption zurückschrecken, ist fraglich.
Denn wenn Hersteller eines Nasensprays einen Werbespot konzipieren, in dem Menschen niesen, sich mit einem Taschentuch die rote Nase reiben und mit glasigen Augen in die Kamera sehen, dann wird damit ein relativ wahrheitsgetreues Szenario dargestellt. Der Rezipient wird dabei nicht vor dem Anblick laufender Nasen bewahrt. Aber würde man ein junges Mädchen zeigen, das sich vor Schmerzen krümmend aus dem Bett steigt und dann auf einen roten, getrockneten Blutfleck auf ihrem Bettlaken gezoomt werden, wäre es ein Skandal im deutschen Fernsehen und wahrscheinlich bald verboten. Bisher hat sich aber schlichtweg noch kein Hersteller getraut, sodass man sich den Eklat nicht vollständig ausmalen kann.  

Eine Frage bleibt dennoch: Wie sollen vor allem junge Menstruierende einen selbstbewussten Umgang mit ihrem Körper und seinen Vorgängen erlernen, wenn die Werbung aus bunten Blümchen, Konfetti und blauer Farbe besteht?  

Es ist 2020 und damit längst an der Zeit, das Tabu und den schambesetzten Umgang mit der Menstruation Geschichte werden zu lassen. Schon kleine Schritte, wie etwa das Ersetzen blauer durch rote Flüssigkeit wäre ein riesiger Schritt in Richtung Enttabuisierung der Menstruation, denn sie ist das Normalste der Welt und gehört nun mal einfach dazu. 

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Text und Foto von Dessany

Dessany ist 21 und studiert Germanistik in Leipzig. Schon früh wurde das Schreiben zu ihrem Ventil. Über fast alles was sie erlebt, was sie über ihre Umwelt und sich lernt, führt sie Notiz. Nicht zuletzt, um das alles ein bisschen besser verstehen zu können. 

Alle zwei Monate veröffentlicht Dessany einen Text zu ihrer Kolumne Zeitgeist*in. Darin setzt sie sich mit Themen auseinander, über die ehrlich zu reden vielleicht schwer fällt. Sie möchte ihre Leser*innen sensibilisieren und motivieren, für sich und andere einzustehen, offen zu sein. Auch bei Tabuthemen.

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