Ich glaube, ich würde über mich sagen, dass ich ein sehr nachdenklicher Mensch bin. Ein ewiger Durchdenker! Gedankenverloren, alle meine Gedanken verlieren sich immer irgendwohin. So kommt es, dass ich, bevor ich einen neuen Ort zum ersten Mal sehe, ihn mir immer schon ganz genau vorstellen kann. Obwohl ich noch nie dort gewesen bin, ist da irgendwie schon dieses verrückt klare Bild in meinem Kopf, wie es dort sein wird.
Südafrika war gleichzeitig so, wie ich es mir schon immer vorgestellt hatte und irgendwie auch ganz anders. Wie wahrscheinlich die meisten Plätze, ist das Land randvoll gefüllt mit Gegensätzen, schön, hässlich, arm, reich, laut, leise, modern und unfortschrittlich. Eben mehr Bilder als nur das Eine.

Eine Sammlung kleiner und großer Gegensätze
Es gibt diese fast unberührte Natur. Tiere, die in den riesigen Weiten der Landschaften so selbstverständlich und friedlich aussehen, dass es atemlos macht. Die salzige Luft, die vom Meer heraufweht. Die Spitze eines Berges und von Wolken umhüllt sein, wie in einer dicken Schicht Watte. Mitten in einem Wald stehen und sich vor lauter Grillen die Ohren zuhalten. Funktional zusammengezimmerte Wellblechdörfer an der Autobahn. Und Kinder, die mit Müll spielen. Familien, die an Straßenrändern hocken und darauf warten, mitgenommen zu werden. Wie lange schon, kann ich nicht sagen. Verfallene Häuser und viel Grau. Straßenhändler mit blinkenden Weihnachtsmannmützen. Immer ein mulmiges Gefühl. Nicht das Auto verlassen zu können, weil die Gegend unsicher ist. Eigentlich das Land. Das Auto besser auch von innen abschließen. Und vielleicht nicht im Dunkeln an Ampeln halten. Wahrscheinlich besser im Dunkeln zuhause bleiben. Frauen und Männer in Anzügen. Hochhäuser und riesige Kunstmuseen. Hippe Streetfoodmärkte und Segelboote. Laute Musik und Menschen, die singen und tanzen und lachen und glücklich sind. Manche von ihnen in traditionell südafrikanischen Kostümen, mit bunten Mustern, die noch eine Weile vor Augen flimmern.

Und ich denke immer wieder über Gegensätze nach. Oft verliere ich mich in den Details, in den Absurditäten, die sie kreieren zu scheinen. Wenn ich in unserem Mietauto durch die kurvigen Landstraßen Südafrikas fahre, fühle ich mich oft selbst wie ein Gegensatz. Ein ganz Lauter. Der schreit, dass er ein Zuhause hat, das auch noch sicher und behütet und sorglos ist. Der so viele Möglichkeiten hat, dass es fast zu viele sind. Der sie selten schätzt. Der in einem Land wohnt, in dem er viele Freiheiten hat und selten Angst. Für den all die Ungerechtigkeiten nur noch Erinnerungen sein werden. Der hat, wovon manche hier träumen.

Vieles läuft ziemlich falsch und ist sehr ungerecht, und ja, man weiß das. Wenn ich dann wirklich an dem Ort bin, dann ist das irgendwie anders, als zu wissen. Für mich ist es immer das Gefühl, als könnte ich die losen Fäden in meinem Kopf ein bisschen näher zusammenbringen, etwas verknüpfen, vielleicht verstehen. Es ist der Kloß in meinem Hals, der sich irgendwie einstellt. Mein Urlaub ist nicht der, bei dem man sich mal so richtig auf die faule Haut legt, sich die Sonne auf den Bauch scheinen lässt und tiefenentspannt zurückkehrt. Mag ich auch! Ich habe eher permanent dieses schlechte Gewissen. Und als ich wiederkomme, will ich verdammt doll irgendetwas ändern, weil hier Zuhause bei mir alles gut ist und weil es sehr, sehr viele Menschen gibt, bei denen nichts so richtig gut ist. Lange denke ich, ein Stück dankbarer könnte ich ja sein, aber irgendwie erscheint mir das eher falsch, Egoismus lässt grüßen! Um Ungerechtigkeit und Armut und Gegensätze zu sehen, muss ich nicht in ein anderes Land fahren, das ist sicher. Und reisen zu können, ist ein riesen riesengroßes Privileg, ebenfalls sicher. Aber manchmal fängt meine Welt ein bisschen an, klein zu werden, die altbekannte Blase, in der wir uns bewegen. Ich merke nicht, wie sehr sich da irgendwann alles gleicht. Aber wenn ich aus Südafrika wiederkomme, dann ist meine kleine Welt irgendwie anders geworden, meine Gedanken haben sich an einen anderen Ort verloren und ich glaube die Dinge danach ein bisschen besser verstehen zu können. Du weißt schon, warum die Menschen das machen, was sie machen und die Welt ist, wie sie ist.
Der Text ist von Hannah. Im Moment lebt sie ein Leben zwischen Schule und Ungewiss und genießt das meistens sehr. Wer sie ist, will sie eigentlich gerade herausfinden, aber irgendwie ändert sich das eh ständig und immerzu. Reisen ist ihre kleine Liebe!
Jeden dritten Samstag im Monat schreibt sie deshalb in ihrer Kolumne über ferne Orte, fremde Plätze, über ihre Gedanken und Gefühle dazu und darüber, warum sie findet, dass jeder ab und zu mal weggehen sollte, am besten dahin, wo es ganz anders ist als sonst so.