Dreihundertachtundvierzig.
Kilometer trennten uns für knapp eineinhalb Jahre.
Und damit hatten wir es noch relativ leicht. Es gibt Fernbeziehungen, die weit über die Grenzen Europas hinaus reichen und auch viel länger bestehen müssen. Doch eines haben sie anfangs alle gemeinsam: Unsicherheit und ganz viele entstehende Fragen.
Kann das denn überhaupt funktionieren, wenn wir uns nur ein einziges Mal im Monat sehen? Und dann ist unsere Zeit doch auch noch begrenzt, wie soll das gehen?
Der Versuch.
So lag ich nachts im grellen Licht des Handydisplays im Bett und recherchierte über eine Beziehungsform, die ich zuvor nur aus verzweifelten Posts auf Twitter kannte. Mit einem etwas mulmigen Gefühl tippte ich das Wort „Fernbeziehung“ in die Suchleiste. Ich weiß noch, dass all die Ergebnisse, die mir gar lieblos entgegengeschleudert wurden, mich nur noch mehr zweifeln ließen. Hätte ich auf die vielen Aussagen der Autoren und Blogger vertraut, so wäre ich auch heute noch der Meinung, dass Fernbeziehungen ohnehin zum Scheitern verurteilt sind, dass beide Parteien immer nur leiden und auch wenn man es schafft, die Beziehung spätestens mit dem Einzug in die erste gemeinsame Wohnung kaputtgehen würde.
Aber weil ich mich selten von der Meinung anderer einschüchtern lasse und viel zu neugierig war, ob das wirklich alles so wird, wie man sich das vorstellt, sprang ich ins kalte Wasser.
Oder eher in einen Strudel aus Gefühl, Liebe und ganz viel Sorge.
Das Kennen- und Liebenlernen.
Wenn einen hunderte von Kilometern trennen, gibt es nur sehr wenige Möglichkeiten, sich trotzdem nah zu sein. Und in einer Fernbeziehung versucht man alles, um dieses Gefühl der Nähe zum anderen entstehen und vor allem bestehen zu lassen. Das bedeutet aber auch, dass man sehr abhängig ist, von der Kommunikation über das Handy oder Ähnliches. Es wird versucht, sich regelmäßig Nachrichten zu schreiben, jeden Abend zu telefonieren.
Aber das „versucht“ steht hier nicht umsonst. Man darf nicht vergessen, dass beide neben Nachrichten und Telefonaten trotzdem noch ein eigenes Leben führen, das Aufmerksamkeit erfordert und viel Zeit in Anspruch nimmt. Das heißt natürlich nicht, dass man in diesem Leben keinen Platz hat, aber dass die Zeit schlichtweg begrenzt ist. Für mich war es sehr schwer, das zu akzeptieren, denn natürlich wollte man die Distanz bestmöglich überbrücken, indem man so viel Raum wie möglich im Leben des anderen einnimmt, ein Teil davon wird. Dass das nicht immer möglich ist, ist für viele die größte Herausforderung.
Viel mehr sollte man sich auf die Momente konzentrieren, die man letztendlich teilen kann. Es mag verrückt klingen, aber wenn man über Wochen hinweg nur über das Telefon miteinander redet, so beginnt man sich an Geräusche zu gewöhnen, die man dann nach dem Drücken auf den roten Knopf, dem Beenden des Gesprächs, tatsächlich vermisst. Raschelnde Bettdecken, nachdenkliches Schweigen, ja sogar das Grinsen des anderen vermag man gar zu spüren, zu sehen. Diese im Alltag banal wirkenden Geräusche sind es, die auf einmal bedeutend werden.
Das Rechtfertigen.
Oft musste ich mir anhören, dass eine Fernbeziehung „keine richtige Beziehung“ sei. Man sehe sich ja kaum, hätte viel zu selten Sex und wenn man sich dann sehe, sei man sich fremd. Unabhängig davon, dass sich das Wort „Beziehung“ auf unterschiedlichste Weise definieren lässt, konnte ich all den Argumenten nur selten widersprechen.
Es stimmt. Man hat, je nachdem wie häufig oder selten man sich sieht, wenig Sex. Wie soll man auch die Ferne überwinden? So bleibt vielen nicht mehr, als Zärtlichkeit so gut es geht über das Telefon zu vermitteln. Und auch das kurze Gefühl von Fremdheit beim Wiedersehen ist keine Seltenheit. Das ist aber, nachdem man wochenlang nur über Skype oder ähnliches miteinander gesprochen hat, auch völlig normal und sollte sich nach ein paar gemeinsamen Stunden wieder legen.
Ich hatte zum Beispiel oft das Gefühl, dass die Situation, in der ich mich gerade befinde und in der er wirklich neben mir läuft, ich ihn berühren kann, wann ich möchte, nicht real ist. Aber all diese Dinge sind letztendlich eingebettet in einen (kurzen) Zeitraum voller Liebe und gefühlt nie endender Aufmerksamkeit füreinander. Er ist von einer Intensität geprägt, die viele Paare im Alltag einer gewöhnlichen oder wohl besser gesagt „Nahbeziehung“ (Hallo Neologismus!) nur selten haben.
Die Gefühle.
Traurige Abschiede am Bahnsteig gibt es viele. Aber genauso oft steigt man vor Freude zitternd aus dem ICE und schließt voller Euphorie in die Arme umeinander. Auch heute, nachdem wir schon eine Weile zusammen wohnen, die Fernbeziehung hinter uns liegt, löst der Bahnhof bei mir noch ein wohliges und zugleich melancholisches Gefühl aus. Man vermisst das Bahnfahren, das sich aufeinander Freuen. So ist es fast schon ein Zurückfallen in alte Muster, wenn einer von uns beiden dann doch wieder in die Heimat fährt und man (wenn auch nur für kurze Zeit) wieder voneinander getrennt ist. Es zeigt uns, wie viel stärker uns die Distanz gemacht hat, was wir durch sie lernen konnten, wie wir beide durch sie gewachsen sind.
„When you are missing someone, time seems to move slower, and when I’m falling in love with someone, time seems to be moving faster.“
Taylor Swift
Es ist nicht leicht, mit hunderten Kilometern zwischen einander immer Vertrauen zu geben, immer so zu reagieren, wie der andere es vielleicht erwartet. Es bleibt einem (leider) nur das Telefon, um miteinander zu kommunizieren und so ist es kein Wunder, dass auch dies Probleme in den Raum stellt. Es entstehen schneller Missverständnisse, als man fragen kann, wie es dem Gegenüber geht oder man ist genau deshalb sauer, weil sich nicht nach dem eigenen Zustand erkundigt wird. Der Mensch ist einfach nicht dazu in der Lage, Aussagen richtig einzuschätzen, wenn die dazugehörige Mimik und Gestik des Gegenübers fehlen und man somit einzig über die Stimmlage eine Chance hat, das Gesagte zu beurteilen.
Wovon man sich deshalb lösen sollte, ist der Gedanke, dass immer alles perfekt laufen muss, wenn man sich sieht. Denn Diskussionen, die am Telefon begonnen haben, zerfallen bis zum nächsten Aufeinandertreffen nicht zu Staub. Eher schweben sie wie eine dunkle grollende Wolke über einem. Gebt euch also auch Raum zum Streiten, denn auch das ist Teil einer Beziehung.
Die Eifersucht, der Endgegner vieler Beziehungen, tritt teilweise nämlich sogar verstärkt in Fernbeziehungen auf. Sie ist aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken und alles Erarbeitete über den Haufen zu werfen. Eher sollte sie ein Anlass sein, über alle auftretenden Probleme zu sprechen. Denn das macht einen großen Teil der Fernbeziehung aus: Über alles und jeden zu reden. Egal wie peinlich oder unbedeutend es erscheinen mag. Redet über euer Frühstück, die Uni, eure Zukunftsängste, eben alles Mögliche. Und noch viel wichtiger: Redet über eure Beziehung. Darüber, wie ihr euch damit fühlt, was euch stört oder was ihr am meisten vermisst. Gebt euch und euren Gefühlen gegenseitig und selbst viel Raum und Zeit.
Anfang und Ende – Ende und Anfang.
So kann ich persönlich heute stolz auf die Vergangenheit zurückblicken. Dass wir uns getraut haben, mutig waren, uns und der Distanz eine Chance gegeben haben und diese Erfahrung machen konnten. Denn es war jede einzelne Träne wert.
Natürlich verläuft jede Fernbeziehung ganz individuell und unsere ist auf keinen Fall ein Paradebeispiel. Aber das soll sie auch gar nicht sein. Vielmehr sollen diese Gedanken zeigen, dass es sich lohnt, mutig zu sein, in den sauer-süßen Apfel zu beißen und der Liebe auf Distanz eine Chance zu geben. Denn springt man verliebt in den Strudel der Fernbeziehung, so findet man sich vielleicht eines Tages angespült im Sand sitzend und breit grinsend auf das Meer und Vergangenes zurück blickend wieder. Zu zweit.
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Text und Foto von Dessany.
Dessany ist 21 und studiert Germanistik in Leipzig. Schon früh wurde das Schreiben zu ihrem Ventil. Über fast alles was sie erlebt, was sie über ihre Umwelt und sich lernt, führt sie Notiz. Nicht zuletzt, um das alles ein bisschen besser verstehen zu können.
Alle zwei Monate veröffentlicht Dessany einen Text zu ihrer Kolumne Zeitgeist*in. Darin setzt sie sich mit Themen auseinander, über die ehrlich zu reden vielleicht schwer fällt. Sie möchte ihre Leser*innen sensibilisieren und motivieren, für sich und andere einzustehen, offen zu sein. Auch bei Tabuthemen.
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