Mut und Ich. Mal passen diese Worte mehr zusammen, mal überhaupt nicht.
Als ich angefangen habe mir Gedanken darüber zu machen, womit ich diese Kolumne beginnen möchte, habe ich eine Entscheidung getroffen: Vollkommen ehrlich zu sein.
Mit euch und mit mir. Dort zu beginnen, wo ich sonst allzu gerne überspringe, mich verstecke hinter einer Wahrheit, die ich mir selbst geschaffen und mich davon überzeugt habe, dass diese der Realität entspricht.
Schon seit einigen Jahren leide ich an psychischen Erkrankungen, unter anderem an Depressionen. Habe immer gehofft und versucht, mein Umfeld glücklich zu machen, und mich dabei vergessen.
Über die Jahre habe ich viel Hilfe angeboten bekommen, die ich mir nicht anzunehmen erlaubt habe. Weil ich es mir selbst nicht wert war. Und ich Angst hatte, alles zu verlieren, was mir Sicherheit gebracht hat. Was mich letztlich ausgemacht und den Menschen geformt hat, der ich heute bin. Loslassen tut weh. Zu jedem Zeitpunkt schien mir das Risiko der Veränderung zu hoch. Über die Jahre wurde mir Hilfe aufgezwungen.
Ich bin von Klinik zu Klinik gereist, weil meine Eltern sich Sorgen gemacht haben, ich mich wie eine Belastung gefühlt und geglaubt habe, dass es das Beste wäre, nicht dort zu sein. Meine Familie nicht weiter zu belasten. Als Minderjährige können Ärzte diese Entscheidung treffen. So konnte ich mir immer selbst einreden, dass es nicht meine Entscheidung war, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Dass ich nicht die Verantwortung dafür tragen muss, mir eine Pause zu erlauben, um festzustellen, dass es so nicht weiter geht. Aber um ehrlich zu sein war all das Schein.

Wie eine Marionette habe ich nach den Bewegungen getanzt, die andere mir vorgelebt haben. Habe versucht, mein Leben von anderen bauen zu lassen, um nie in die Situation kommen zu können, etwas zu bereuen. Denn es kann nicht meine Schuld sein, wenn ich nicht entschieden habe. Oder doch?
Ist die Entscheidung abzugeben letztlich nicht auch eine?
Es ist kein Tag vergangen, an dem ich mir nicht gewünscht habe, zu leben statt nur zu existieren. Mir einen Alltag aufzubauen, der durch mich bestimmt ist und mich erfüllt. Aber ich stand mir selbst im Weg. Meine Selbstzweifel haben jahrelang dafür gesorgt, dass ich mich nicht getraut habe, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Veränderungen einzuleiten, damit es besser werden kann. Denn eins wusste ich:
Damit es besser werden kann, muss es anders sein.
Mit der Zeit haben sich meine Ängste verschoben. Statt der Angst, Entscheidungen zu bereuen und Fehler zu machen, wurde eine Angst täglich präsenter:
Die Angst, dass alles so bleibt.
Genau diese Angst hat es gebraucht, den Mut aufzubringen, die Verantwortung für mich zu übernehmen.
Festzustellen, dass meine Wahrheiten eben nur meine sind und keine Fakten, ich die Chance habe sie zu ändern und es an mir liegt, mich im sicheren Hafen zu wiegen und unglücklich zu sein oder zu wagen, dass es anders wird. Dass anders sein nicht immer schlecht ist und Veränderung kein Rückschritt. Mutig sein bedeuten kann, Hilfe anzunehmen, zuzugeben nicht weiter zu kommen, anstatt es gar nicht erst zu versuchen.
Manches ist einfach zu groß, um es alleine zu schaffen. Vielleicht repräsentiert unsere Angst nicht nur ein Hindernis, sondern zeigt uns auch eine Chance auf. Eine Möglichkeit, über sich selbst hinauszuwachsen, dazuzulernen und Erfahrungen zu machen, die man ansonsten nie erlebt hätte.

Nach wie vor bin ich in Therapie, erlerne einen Umgang mit meiner Vergangenheit und auch was es heißt, Hilfe anzunehmen. Nicht nur das, sogar darum zu bitten. Und glaubt mir: Es tut so gut, selbst zu entscheiden was man tut. Wie mein Tag aussieht, wo ich mich aufhalte und wie sehr ich mich von Einflüssen von außen einschränken lasse.
Mit der Zeit habe ich geschafft, für mich einzustehen.
Für mich selbst zu kämpfen, an mir zu arbeiten und mich herauszufordern. Es war nicht leicht, es ist noch nicht vorbei, aber ich habe gelernt, dass Veränderung manchmal nicht nur positiv, sondern vor allem auch notwendig ist. Dass es Mut braucht, neue Wege zu gehen, aber dass man oft nur durch diese Erfahrungen ans Ziel gelangen kann. Dass es vielleicht nicht darum geht, ein eben dieses zu erreichen, aber sagen zu können: Ich habe mein Bestes gegeben. Und genau das könnt ihr auch: Am Ende bereut man immer die Dinge, die man nicht gemacht hat. Hört sich wie leicht dahin gesagt an, steckt aber voller Wahrheit.
Ihr seid es wert, so glücklich zu sein, wie ihr eben könnt und ein eigenes Leben aufzubauen.
Traut euch. Was kann im schlimmsten Fall passieren? Und vielleicht fragt ihr euch, statt was es zu verlieren gibt auch mal: „Was gibt es zu gewinnen?“

Nichts ist unveränderlich.
Nehmt die Angst wahr, aber lasst sie nicht der Grund sein, dass ihr etwas nicht tut.
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Jacqueline ist 22 Jahre alt und lebt an der Ostsee. Sie liebt es, sich in Büchern zu verlieren, sich Gedanken über die kleinen und großen Dinge des Lebens zu machen und diese in Form von Wörtern oder Zeichnungen zu verarbeiten.
In Ihrer Kolumne „Mut(Ich)“ soll es um den Umgang mit Herausforderungen des alltäglichen Lebens gehen.
Zu lernen, über sich selbst hinauszuwachsen.