Wenn ich sagen sollte, wie oft ich mir schon anhören musste: ‘’Du kannst so toll zeichnen’’, ‘’Ich würde das auch gerne können’’, ‘’Ich wäre gern so talentiert’’, ich könnte es nicht sagen. Unzählige Male.
Ich habe nie verstanden, wieso so viele Menschen erwarten, dass man das einfach kann. Als wäre man begabt vom Himmel gefallen.
Früher hat es mich oft verwirrt, aber mir auch ein bisschen geschmeichelt. Ich habe dann so etwas gesagt wie: ‘’Du musst einfach nur viel üben’’ oder ‘’Jeder kann zeichnen’’, aber mich auch ein bisschen stolz gefühlt, dass ich das so besonders gut kann.
Aber ich bin natürlich nicht begabt vom Himmel gefallen. Und ich würde mich keineswegs als talentiert bezeichnen. Ich habe mein Leben lang einfach gerne gezeichnet. Es ist das, was meine Hand macht, wenn ihr langweilig ist, das Natürlichste der Welt. Ich habe nie erwartet, Künstlerin zu sein oder irgendetwas daraus zu machen. Ich habe es einfach gemacht. Es war wie Atmen.
Und trotzdem, rückblickend gesehen habe ich krass viel Zeit damit verbracht, diese Fähigkeit auszubauen und mich weiterzubilden. Ich habe abgezeichnet, abgepaust, bin meiner Fantasie gefolgt, habe unzählige Summen Taschengeld in Hobbyläden gelassen, x-tausend Geburtstagskarten gezeichnet und einfach jede freie Minute am Schreibtisch verbracht.
Ich habe daran gearbeitet. Ja, Kunst ist Arbeit.

Aber immer noch muss ich mir Floskeln von Menschen anhören, die sagen, dass ich einfach ein Talent dafür hätte und deswegen an der Kunsthochschule angenommen wurde.
Diese Menschen sehen nicht, wie viel Arbeit und Mühe in den Fähigkeiten, die ich heute besitze, steckt. Sie erwarten einfach, dass manche Menschen als Künstler*innen geboren werden und manchen diese Gabe einfach nicht zusteht.
Sie erwarten, dass die Talente einfach anderen zufliegen, die diese dann ausleben und etwas aus sich machen. Und damit schieben sie die Verantwortung, in sich selbst zu horchen von sich weg. Die Erwartung, dass alle anderen begabt sind und man selbst nicht, ist das Todesurteil für kreative Sprösslinge.
Dabei bin ich mir sicher, dass jeder einen solchen in sich trägt.
Aber man muss bereit sein, ihn regelmäßig zu gießen, zu pflegen und zu lieben.
Durch das Spähen zum Nachbargarten wird der eigene nur vernachlässigt.
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Carolin ist 24 und lebt in Kassel, wo sie an der Kunsthochschule studiert und zwei Nebenjobs arbeitet. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten mit Musik, lieben Menschen und damit, sich und ihre Umgebung zu beobachten, zu zeichnen und zu verstehen.
In ihrer Kolumne heiter bis wolkig setzt sich Carolin mit dem Thema Erwartungen auseinander. Was erwarten wir von uns, von anderen, von der Welt? Wo merken wir vielleicht gar nicht, dass wir etwas erwarten und wie werden wir von all dem beeinflusst?