Du & Ich
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Frühstück ohne Oma

Dieser Gastgedanken-Text ist als Antwort auf das Interview „Frühstück mit Oma“ entstanden.

Der Tee in der Tasse vor mir dampft. Die Tasse hat ein Rosenmuster, wie so vieles im Besitz meiner Oma. Es ist nur eine Tasse Tee, nicht zwei, denn ich bin alleine in meiner WG. 

Auf TIERINDIR ist vor Kurzem ein Text von Imina erschienen, ein Interview mit ihrer Großmutter. Beim Lesen bedauerte ich sehr, diese Möglichkeit eines guten und differenzierten Gesprächs mit meiner Oma nicht zu haben. Die hatte ich leider auch schon nur bedingt, als meine Oma noch lebte. 

Der Text machte mich traurig: So oft denke ich an meine Oma und wünsche mir, ihr etwas erzählen oder mich mit ihr austauschen zu können. Das sind meistens kleine Dinge: Ich male Blumen an die Wand in meinem Zimmer und würde sie ihr gern zeigen; ich sehe ein Café, das ich gern mit ihr besuchen würde; ich lese ein Buch das ihr gefallen könnte … 
Manchmal sind es auch Momente, in denen ich erwarte, sie müsse gleich um die Ecke biegen und einen typischen Satz sagen oder eine bestimmte Miene ziehen. 

Vor Kurzem habe ich angefangen, in einem niedlichen Laden Schokolade zu verkaufen und dort denke ich ab und zu: „Eigentlich müsste jetzt meine Oma vorbeikommen, denn sie hätte den Laden geliebt.“

Im Jahr vor ihrem Tod hat sie nämlich noch angefangen, Philosophie zu studieren, in einer Art Seniorenstudium. Dazu musste sie einmal die Woche in die Stadt fahren, in der ich jetzt wohne und arbeite. Ich denke immer, wie schön es wäre, wenn sie mich nach einer ihrer Vorlesungen zur Mittagspause abholen und mit mir essen gehen könnte und ich würde ihr aus dem Laden, in dem ich arbeite, Trüffel mitbringen. 

Wenn ich so darüber nachdenke muss ich weinen, das passiert öfter. So ist Trauern und das gehört dazu. Doch ich finde es nicht schlimm weil es ein wichtiges Weinen ist und ich glaube, meine Oma guckt mir dann auch über die Schulter und weiß, dass ich an sie denke.

Einige Eigenheiten meiner Oma sind bei ihrem Tod auf mich übergegangen. Zum Beispiel konnte ich vorher nie etwas mit Pflanzen anfangen. Als sie starb, war ich die, die sich um die 2000m² Garten kümmerte – und als ich von Zuhause auszog, füllte sich mein WG-Zimmer langsam, aber stetig mit Zimmerpflanzen. 

Meine neue Liebe für die Farbe Gelb kommt auch von Oma – und die Art, wie es mich mit Wärme füllt, wenn das Licht morgens durch meine gelben Vorhänge auf mich lugt.

Meine Oma hatte diese großartige Freude an kleinen Dingen. Morgens wanderte sie im Bademantel mit einer Tasse Tee durch den Garten und sprach mit ihren Blumen: Sie freute sich fast kindlich über jede Knospe, jede Hummel, jeden Sonnenstrahl. Sie wirkte fast verliebt in die Erde, auf der sie wandelte. Und ich weiß nicht, wie ihr das möglich war. 

Über ihre Kindheit ist mir nicht viel bekannt, sie sprach darüber nur sehr wenig und wenn, dann mit einem sarkastischen Unterton. Sie wuchs als Nachkriegskind ohne Vater auf, zum Großteil bei ihrer strengen Großmutter. Für mich klingt das nicht wie die ideale Voraussetzung um zu lernen, Sonne so wertzuschätzen – aber vielleicht kommt es genau daher. Ich weiß nur, dass meine Oma völlig anders groß geworden ist als ich, und dass ihr der Sprung in meine Generation schwerfiel. Oft war sie frustriert und fühlte sich ausgeschlossen, weil sie nicht wusste, worüber ich mit meinen Geschwistern sprach und worum unsere Leben sich drehten. Heute verstehe ich das, aber zu dem Zeitpunkt erzeugte das viel Reibung und machte es uns schließlich sehr schwer, überhaupt miteinander zu sprechen. 

Ich habe gelernt, das nicht zu bereuen, denn das Leben ist so. Menschen sind so. Es war uns in dieser Zeit nicht möglich, anders miteinander zu kommunizieren, und das ist schade, aber nicht schlimm. 

Ich wäre gern in der Lage, mit meiner Oma zu frühstücken und ihr die Fragen stellen zu können, die Imina ihrer Oma stellte. Ich weiß nicht, wovon sie als Kind geträumt hat oder was sie eigentlich mal werden wollte. Ich weiß aber, dass sie furchtbar gern Buchhändlerin war und ihren Laden geliebt hat. Und Menschen. Und Bücher natürlich. Blumen, Seife, Tee, Kaffee, Essen, Decken, Sonne, Papier, und uns.

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Gastgedanken von Martje.
Collagen von Imina.

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