Du & Ich, Selbst & Inszenierung
Kommentare 1

Frühstück mit Oma

Meine Oma heißt Christa und ist am dritten Tag des zweiten Weltkriegs geboren. Sie sagt, dass sie eine bescheidene, aber sehr glückliche Kindheit mit einer älteren und einer jüngeren Schwester hatte und deshalb immer in beide Richtungen boxen musste. Mit 16 lernt sie ihren zukünftigen Mann Karl-Heinz kennen, mit 18 verloben sich die beiden heimlich. Als Christa 25 ist, kommt meine Mutter zur Welt. Mit 66 erkrankt Karl-Heinz an Parkinson. Nach einem siebenjährigen Kampf, bei dem es leider stetig bergab geht, verliert er gegen die Krankheit. 
Meine Oma ist sehr weltoffen, hat Snapchat und ist sehr empathisch. Sie hat eine neue Hüfte und eine neue Schulter aber schwimmt trotzdem den ganzen Sommer täglich und ist Mitglied in unzähligen Sportvereinen. Wir unterhalten uns oft stundenlang aber heute treffe ich mich mit ihr weil ich ihr Fragen stellen möchte, die ich ihr so noch nicht gestellt habe. Wir frühstücken zusammen und ich freue mich schon die ganze Woche drauf, da meine Oma den besten Filterkaffee auf der Welt kocht. Zum Schutz ihrer Privatsphäre habe ich keine Bilder von ihr gemacht, bin jedoch sehr dankbar, dass sie grünes Licht für die Veröffentlichung des Interviews als Podcast gegeben hat. 

Im Podcast gibt’s das ganze Interview (hier in etwas gekürzter Form, da es sonst den Rahmen sprengen würde) zum Anhören. 

Wovon hast Du als Kind geträumt? 
Christa:
In erster Linie wollte ich nie dick sein. Deshalb habe ich damals schon angefangen, viel Sport zu machen, was meinem Körper guttat. Das Bewusstsein war da.

Imina: Wolltest Du einem bestimmten Körperbild entsprechen? Woher, glaubst Du, kam dieses Bild? Heute ist es ja eigentlich so, dass viele etwas sehen und sich denken So möchte ich auch aussehen.
Christa:
Ich glaube nicht, dass ich unbedingt ein Vorbild hatte, das war eher mein eigenes Befinden. Ich hatte eine Freundin, die groß und schlank war, vielleicht hat mich das unterbewusst beeinflusst. Ich habe sie sicherlich ein bisschen bewundert.

Imina: Hattest Du einen Traumberuf? Wo hast Du dich gesehen?
Christa: Nein. Unser Vater hat zu mir und meinen zwei Schwestern gesagt: „Die Ausbildung, die ihr macht, ist das Kapital, das ich Euch mitgeben kann, dafür will ich sorgen.“ Deshalb war es für mich wesentlich, einen Beruf zu erlernen, im Gegensatz zu vielen meiner Mitschülerinnen. Mit 14 wurde ich ins kalte Wasser geschmissen: Da musste ich funktionieren, obwohl ich von nichts eine Ahnung hatte. Mein Chef hat gemerkt, dass ich Potenzial hatte, er wollte mich unbedingt ausbilden, obwohl mir alles über den Kopf gewachsen ist. Nach zwei, drei Monaten wollte ich eigentlich nie mehr dorthin. Mein Vater hat dann gesagt: „Christa, wenn du da nicht mehr hin möchtest, dann musst du das auch nicht.“ Er hat mich kein bisschen unter Druck gesetzt.A ber ich habe gewusst: „Ich muss doch was machen. Ich kann nicht zuhause bleiben“ – also bin ich wieder hingegangen. Als ich dann ein bisschen heimisch wurde, hat es mir ja auch Spaß gemacht.  

Imina: Was waren Deine Hobbys? Womit hast Du dir die Zeit vertrieben? 
Christa:
Die Zeit vertrieben (Sie lacht). Das ist eine gute Frage.  

Imina: Du hast ja nicht nur gearbeitet. Was hast Du also am Wochenende gemacht?
Christa:
Da habe ich ja schon Opa kennengelernt. Ich war 16 und durfte auf die Kirmes zum Tanzen gehen. Da waren drei Männer, die Musik gemacht haben und in einen habe ich mich so verguckt und gedacht „Das ist aber ein schöner Mann, den wirst du nie im Leben kennenlernen“. Um elf Uhr musste ich nach Hause, also hat er sein Saxophon abgestellt und mich heim gebracht. Vor der Haustür hat er dann gesagt: „Ich komme in einem Jahr wieder“ und ich dachte mir: „Das ist ja einer. Der will mich wohl auf den Arm nehmen“. In diesem folgenden Jahr dachte ich sehr viel an ihn, war mir aber sicher, ihn nicht wiederzusehen. Doch dann bei der nächsten Kirmes kam er wieder, jedoch nicht als Musikant, sondern um mit mir zu tanzen. So fing’s dann an. 

Imina: Also habt ihr Euch dann am Wochenende gesehen? 
Christa:
Naja, Samstag und Sonntag hat er in Tanzcafés Musik gemacht und in der Woche war er auf Montage. Aber eigentlich sollte ich mich mit ihm auch nicht treffen weil er als Casanova bekannt war – er war ein sehr schöner Mann und hat jede Woche an einem anderen Ort Musik gemacht. Das haben meine Eltern natürlich mitbekommen. Also haben wir uns freitagabends heimlich getroffen und sind ins Kino gegangen. Sonntagnachmittags hat er mich nochmal abgeholt, da sind wir dann Kaffeetrinken gegangen. Naja, und am Silvesterabend haben wir uns nach einem Jahr dann heimlich verlobt. Am 1. Januar habe ich dann zuhause meinen Ring präsentiert, den ich dann auch gleich wieder abziehen sollte. Meinem Vater viel nichts anderes ein als zu sagen: „Ich mach dir einen Vorschlag – du lernst erst das Kochen und dann können wir nochmal drüber reden“. Ich hab’ meinen Ring natürlich angelassen. Da war meine Familie aber dann gegen mich: Meine Eltern und meine zwei Schwestern, die sich sowas nie getraut hätten. Aber ich habe es trotzdem durchgeboxt.

Imina: Mit den Möglichkeiten, die heute viel breitgefächerter sind: Was würdest Du anders machen, wenn Du heute jung wärst?
Christa:
Ich hätte viel viel mehr gelernt. Ich bin allgemein sehr interessiert gewesen, politisch zum Beispiel, ich hätte noch viel mehr wissen wollen. Jetzt hole ich das ein bisschen durch die Bücher, die ich lese, nach. Mir fehlte dieses Eigene, das du schon hast, dieses „Ich weiß, was ich will“. 

Imina: Hättest Du gern studiert?
Christa:
Nicht auszuschließen. Vielleicht, wenn ich mein Wissen hätte erweitern können, was eigentlich in meiner Jugend keine große Priorität hatte für mich. 

Imina: Hast Du je an dem Weg gezweifelt, den Du gegangen bist?
Christa:
Nein. Gut, vieles würde ich vielleicht anders machen, aber ich würde im Nachhinein niemals damit hadern. Ich würde auch nie sagen, dass ich gern nochmal jung wäre. Mein Leben war das, was es war. 

Imina: Gibt es etwas, das Du dir früher für’s Alter vorgenommen hast
Christa:
Ich hab ja überhaupt nicht ans Alter gedacht. Mein Mann hat in 1971 gesagt: „Ich mache jetzt meinen Meister, dann kriege ich eine gute Position und uns geht’s im Alter gut“ – da habe ich noch die Augen verdreht. Ich habe überhaupt nicht an die Zukunft gedacht. Ich habe so in den Tag hineingelebt, war zwar strukturiert aber dachte immer, dass sich alles schon irgendwie regeln wird. 

Wie hast Du dir das Altsein vorgestellt?
Christa:
Naja, wenn’s so weitergeht wie jetzt, habe ich nichts dagegen. Das kann man natürlich alles nicht wissen. Ich wollte aber nie wie meine Mutter werden. Sie hatte immer so einen gewissen Besitzanspruch, hat Dinge gesagt wie: „Ach, könnt ihr mich nicht auch mal mitnehmen?“ – Sowas verbiete ich mir. Ich habe keine Anspruch auf das Leben von jemand anderem. Ich will mich niemandem aufdrängen.
Als mein Mann dann krank wurde, so krank, dass ich ihn ohne Hilfe zuhause nicht mehr pflegen konnte weil er viel gestürzt ist haben wir zusammen entschieden, dass er ins Heim geht. Er hat wortwörtlich gesagt: „Es ist gut, dass wir es so gemacht haben“. Er hätte mir ja das Leben zur Hölle machen und verlangen können, dass er wieder nach Hause kann. Als ich einmal mit einer Freundin für ein paar Tage mit einer Freundin nach Rom fuhr und ihn nach dem urlaub besuchte, sagte er: „Arrividerci, Roma!“
Er hat seine Krankheit demütig angenommen.

Imina: Woher, glaubst Du, kommt Deine Offenheit für so viele Dinge?
Christa:
Aus meinem Wesen. Ich bin so. Ich will offen und ehrlich sein. Ich bin neugierig und mitteilsam. Meine Schwester hat immer gesagt: „Christa, mit dir verreise ich gerne, da komme ich mit viele Leuten schneller ins Gespräch“

Imina: Welchen Rat würdest Du jungen Leuten heute geben?
Christa:
Vor allem erstmal, sich Wissen anzueignen. Auf keinen Fall stehen zu bleiben auf dem aktuellen Stand, sondern noch mehr zu erfahren, mehr zu lernen. Wenn man über viele Dinge Bescheid weiß, findet man auch Halt im Leben. Im Nachhinein habe ich oft gedacht, dass ich vielleicht mehr hätte am Ball bleiben sollen aber ich hatte eben andere Prioritäten. Es gab auch in meiner Zeit schon welche, die geboxt haben und sich das geholt haben, was sie wollten. Aber da gehörte ich nicht dazu. Heute würde ich das anders machen. Ich bewundere meine Enkelin um ihre Eigenständigkeit und ihre Zielstrebigkeit. Sie hat einen ganz anderen Horizont, was ich aber auch der Zeit zugute halten möchte. Ich habe nicht den Wunsch, nochmal zu leben, aber ich wäre gern nochmal in eurer globaleren Welt großgeworden. Unser Horizont war noch sehr eingeengt. 

_

Danke an Christa für die Offenheit!
Interview und Fotos von Imina.

Den Podcast zum Interview gibt’s hier.

1 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert