Monate: November 2019

Du warst nur dort, wenn du ein Foto hast

Ich stehe vor dem Casa Batlló in Barcelona. Die Sonne scheint, lässt mein Haar golden glänzen und alles warm erscheinen, dabei ist es Mitte Oktober. Click, click. „Perfect.“ Das Haus ist wunderschön denke ich, so rund, bunt und detailreich. Ja, das ist wirklich ein Kunstwerk. Eine Stimme reißt mich aus meinem Staunen. „Oh yes, that‘s a good position!“ Click, click. „Perfect.“ Die zwei Mädchen aus England sind fertig. Sie haben die perfekten Fotos für ihren Instagram-Feed. Die Haare wehen ein wenig auf dem Foto und natürlich sieht man fast nur das Mädchen mit ihren langen Beinen und den braunen Longbob, aber das Bild wird gepostet mit den Hashtags #Barcelona #Gaudí #Travel. Auf einmal bestürzt mich das Gefühl, ich bräuchte auch so ein Bild. Damit man sehen kann wo ich gerade bin, was ich alles erlebe und wie glücklich ich doch bin. Also drücke ich meinem Freund mein Handy in die Hand stelle mich vor das Haus, ziehe den Bauch ein, lächle, Arme etwas nach hinten und schwupp, fertig. Ich schaue die Bilder an und dann …

Frühstück mit Oma

Meine Oma heißt Christa und ist am dritten Tag des zweiten Weltkriegs geboren. Sie sagt, dass sie eine bescheidene, aber sehr glückliche Kindheit mit einer älteren und einer jüngeren Schwester hatte und deshalb immer in beide Richtungen boxen musste. Mit 16 lernt sie ihren zukünftigen Mann Karl-Heinz kennen, mit 18 verloben sich die beiden heimlich. Als Christa 25 ist, kommt meine Mutter zur Welt. Mit 66 erkrankt Karl-Heinz an Parkinson. Nach einem siebenjährigen Kampf, bei dem es leider stetig bergab geht, verliert er gegen die Krankheit. Meine Oma ist sehr weltoffen, hat Snapchat und ist sehr empathisch. Sie hat eine neue Hüfte und eine neue Schulter aber schwimmt trotzdem den ganzen Sommer täglich und ist Mitglied in unzähligen Sportvereinen. Wir unterhalten uns oft stundenlang aber heute treffe ich mich mit ihr weil ich ihr Fragen stellen möchte, die ich ihr so noch nicht gestellt habe. Wir frühstücken zusammen und ich freue mich schon die ganze Woche drauf, da meine Oma den besten Filterkaffee auf der Welt kocht. Zum Schutz ihrer Privatsphäre habe ich keine Bilder von …

Nach Dir suchen

Manchmal denke ich, ich finde Dich nie, als wärst Du bloß ein Traumbild, das ich erschaffen habe, um mein Leben lang nach Dir zu suchen. Überall schaue ich nach Dir, in der ganzen Stadt suche ich nur nach Dir. In jedem unbekannten Gesicht meine ich Dich zu erkennen, in jedem Lächeln fühle ich deine Nähe. Ich sitze in der Bahn. Häuser und Menschen, Geschichten und Schicksale ziehen an mir vorbei. Das Mädchen neben mir hört so laut Musik, dass ich mitsingen könnte, wenn ich wollte und der Mann mir schräg gegenüber wirft ihr einen genervten Blick zu, bevor er wieder in sein Buch schaut. Ich flüchte mich in meine Gedanken, denke an Dich. Wo bist Du nur? Wo soll ich Dich finden? Suche ich Dich vielleicht am komplett falschen Ort? Als ich nach draußen schaue und in der Fensterscheibe meine Reflexion sehe, glaube ich Dich zu erkennen. Doch dann bin ich mir nicht mehr sicher, vielleicht habe ich mich getäuscht. Die Bahn hält, ich muss aussteigen und stehe inmitten von Lärm und Leben. Diese Suche erscheint …

Vem kan segla – der Abschied

Ich stand in der Küche, eine Pfanne mit Pfannkuchen auf dem Herd, als es klingelte. Schnell schob ich die Pfanne zur Seite und drehte die Flamme auf null, um zur Tür zu eilen, vor welcher du wartetest.  Wie immer, wenn ich dich sehe, freue ich mich. Deine dunklen Haare, deine schwarze Jacke, deine breiten Schultern. Dein strahlendes Lachen. Du riechst gut, nach Eule, nach Nächten unter Sternenhimmeln und grau weiß gemusterter Bettwäsche. Nach Freiheit, nach Sicherheit. Du nimmst mich in den Arm, und ich bin nervös, fühle mich, als würde etwas fehlen. Den Abschied von dir habe ich mir nicht einfach vorgestellt, und doch bin ich überrascht, dass ich schlucken muss, um sprechen zu können. In meinem Kopf wiederholt sich immer wieder unser aufgenommenes Lied. „Wer kann segeln ohne Wind, rudern ohne Ruder? Wer kann scheiden von einem Freund, ohne dass Tränen fließen?“ Ich will die Zeit hinauszögern, einen Tee trinken, nur einen, doch du bist eh schon zu spät und wolltest nur auf einen Sprung vorbeikommen, mich verabschieden. Ich gehe in mein Zimmer und …

Feminismus – wer hat was davon?

Ariana Grande singt „God is a woman“, unsere Kanzlerin ist eine Frau, Frauen besetzen IT-Lobare und Finanzbörsen. Immer mehr wird der Vorschein erweckt: Feminismus, das können wir. Statt Kinder, Küche, Kirche, wollen immer mehr Frauen an die Spitze – das heißt, heute wird nach „Karriere und aufsteigen“ gerufen. Doch welche Frauen sind es, die wir im Fernseher sehen, die uns zeigen wollen, dass wir einen feministischen Erfolg erleben? An wen denken wir, wenn wir an Frauen denken? Und: Welche Frauen werden sichtbar gemacht, welche verdeckt? Der globalisierte Neoliberalismus erfindet seinen eigenen Feminismus und seine eigenen Feministinnen Mit dem Einschalten des Fernsehers sehen wir Frauen, die vermeintlich ganz oben stehen. Frauen, die im Reichtum leben und das politische Geschehen mitbestimmen. Aber diese Frauen sehen nicht aus wie ich; sie sind mehrheitlich weiß und gehören der aufsteigenden Mittelschicht an. Es sind diese „Alpha Frauen“, die wir sehen dürfen. Frauen, die miteinander konkurrieren und die in erster Linie erwerbstätige Konsumentinnen sein sollen. Christa Wichterich kommentierte 2007 in der taz: „Der globalisierte Neoliberalismus erfindet seinen eigenen Feminismus und seine …

Eine Ode an das Uncoolsein

Der beste Satz, den ich diese Woche gehört habe, war: „Mittlerweile finde ich es auch cool, wenn Leute einfach nicht cool sein wollen, nicht auf alle Partys gehen oder saufen oder Drogen nehmen.“ Seit Jahren habe ich damit zu kämpfen, nicht so richtig dazu zu gehören. Ich gehe nicht gern abends weg, ich trinke nicht, ich nehme weiß Gott keine Drogen. Ich bin da einfach nie reingewachsen, hatte nie das Gefühl, mich groß ausprobieren zu müssen und wenn ich’s mal versucht habe, dann waren das immer blöde Erfahrungen, die ich mir hätte sparen sollen.Das alles wäre für mich an sich kein Ding gewesen, denn auch die meisten meiner Freund*innen stehen auf all das nicht. Ich habe mich nie allein und „außenseiterisch“ gefühlt, auch gestärkt durch die ganzen Stay-at-home-tumblr-Memes. Der Spiegel Doch dann kamen meine Beziehungen. Ich habe leider den Hang dazu, mich in Menschen zu verlieben, die in vielen Dingen, aber vor allem in diesem, das komplette Gegenteil von mir sind. Und so bekomme ich immer den Spiegel vorgehalten. Sehe alles, was ich nicht bin, …

Nicht länger ein Verzicht

Grade, möchte ich mal alleine sein Mal mit mir sein Bei mir sein Und da mal verweilen, In dem Zustand, mein Herz mit niemandem zu teilen Denn manchmal, Fühlt es sich an als Würde ich sinkenUnd dabei ganz langsam ertrinken, Weil ich da bin und du nicht Und das Vertrauen in mir dann manchmal bricht Ich hab gedacht, Vielleicht änderst du mal deine Sicht Und in meinem Leben gibt es dann mehr Licht, eines Tages wach ich auf und bin dir wichtig, denn das sind Töchter ihren Vätern doch, richtig ? Aber unsere Geschichte sieht anders aus Und deinetwegen versteck ich mich in diesem Haus, In dem niemand an mich rankommen kann Irgendwo da, wo ich auch nicht versagen kann Wärst du da gewesen, Wär’ ich anders drauf Vielleicht ruhiger und bedacht, Aber du hast über mich noch so viel Macht Und ich bin rasend und so Wütend Wütend auf mich selberUnd auf so vieles um mich rum Wütend auf die WeltSo sehr, dass ich ihn ihr verstumm Ich hab gedacht, Ich hätte dich hinter …

Mutprobe? Eine Glatze schneiden

Vor etwa zwei Jahren habe ich es einfach gemacht – von einem Tag auf den anderen habe ich meine Haare komplett abgeschnitten. 4mm waren noch übrig. Nur kurz zuvor hatte sich die Idee in meinem Kopf gefangen und ich bin sie einfach nicht mehr losgeworden. Natürlich hatte ich auch Zweifel. Was ist, wenn es mir überhaupt nicht gefällt? Ist meine Kopfform überhaupt geeignet? Wie wird wohl die lange Übergangsphase? Ich habe mir viele Bilder von Frauen mit abrasierten Haaren angeschaut und fand es einfach wunderschön. Irgendwie anmutend, beeindruckend und stark. Und dann wusste ich – das will ich auch! Ich hatte bei Freunden geschlafen, wir haben morgens gemeinsam gefrühstückt und dann erzählte ich von meiner Idee. Eine Freundin von mir hat dann direkt ihre Haarschneidemaschine geholt. Wir sind ins Bad, Handtuch um den Hals, los. Noch einmal hat sie mich gefragt: „Bist du dir wirklich sicher?“ Und ich war mir sicher. Aber trotzdem weiß ich nicht, ob ich es durchgezogen hätte, wäre sie nicht gewesen. Es war gut, dass sie nicht gezögert und einfach darauf …