Selbst & Inszenierung
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Verlassen werden

Heute ist Sonntag. Ein voller Tag. Auf der To-Do-Liste steht, dass ich für zwei Tests, die kommende Woche anstehen, lernen muss, mich auf einen Termin vorbereiten muss, Oma anrufen und Yoga machen will und diesen Beitrag schreiben muss.

Und so steckte ich mitten in der Bewältigung der ersten Punkte, starrte in meinen Laptop, auf Stichpunkte, die ich nicht verstand und plötzlich kam mir eine Erinnerung.

Fragmente meiner Vergangenheit

In letzter Zeit kommen öfters mal kleine Fragmente meiner Vergangenheit zurück. Wahrscheinlich versucht mein Unterbewusstsein irgendwo dort Antworten zu finden. Und ich glaube auch, dass ich dort fündig werde.

Ich war 12, als ich ins Internat kam. Ins Internat der Tanzhochschule, die ich besuchte, die eigentlich in der selben Stadt war, in der meine Familie und ich lebten. Der Grund meines Besuch war also nicht die Distanz – sondern vorübergehende Schwierigkeiten, Probleme in meiner Familie.

Und als ich dann auf dieses Mitschriften-Dokument starrte, kam auf einmal der Moment zurück, als ich am Fenster stand und Mama und Papa wegfuhren. Ich war den ersten Abend allein in meinem Zimmer, in das am nächsten Tag noch meine beiden Mitbewohnerinnen kommen würden.

Ich habe gelernt, solche Erinnerungen aufzuschreiben, weil sie mir auf meiner Reise hin zu einer gesunden Psyche als sehr wichtig erscheinen. Tat dies. Und dabei fiel es mir auf:

Ich glaube, ich habe Verlustsängste. Oder Verlassensängste. Ich habe Angst, Leute zu verlieren, die ich liebe.

Festhalten

Nun, das ist eine Angst, die sicher jeder hat. Niemand möchte von geliebten Menschen verlassen werden. Und auch gehört es irgendwie zum Leben dazu.
Bei mir ist es nur so, dass ich mir durch diese Angst angewöhnt habe, Menschen besonders fest zu halten. Und auch das, was mir eigentlich nicht gut tut, nicht loszulassen.

Ein Jahr später fand ich in diesen Räumlichkeiten meine bester Freundin. Wir gingen zusammen durch Dick und Dünn. Bis sie von einem Tag auf den anderen nicht mehr von mir wollte. Und mit einer anderen besten Freundin passierte es ganz ähnlich noch einmal. Nichts war fest. Nichts, was mir so unheimlich wertvoll war, blieb bei mir. Weder meine Eltern, noch meine Freundinnen. Und beide aus unterschiedlichen Gründen. Gründen, die mal mehr nachzuvollziehen waren, mal gar nicht.

Was es mit mir gemacht hat

Und so ist es, dass ich immer davon ausgehe, dass ich verlassen werde. Im Stich gelassen werde. So ist es, dass ich bete und bettele, dass die Leute bei mir bleiben. Jene, die ich wirklich liebe und jene, die mir nicht gut tun. So ist es, dass ich es allen recht machen will und niemanden irgendwas böses will. So ist es, dass ich nicht nein sagen kann, nicht weglaufen kann, weil ich weiß, wie schlimm es ist, wenn dir Leute den Rücken zukehren. So ist es, dass ich mich nicht abnabeln kann.

Jedes Mal, wenn meine Mutter zu Besuch in meiner Wohnung ist, dann weine ich, während ich sie durch mein Fenster wieder heimfahren sehe. Aus Angst, ihr passiert etwas; aus dem Wissen heraus, dass mich der Mensch verlässt, der mich am meisten liebt (und den ich am meisten liebe); aus Dankbarkeit auch. Sie würde mich nie freiwillig verlassen.

Ich bin groß jetzt, ich bin älter, aber die Schmerzen von damals sitzen noch immer tief und spielen eine unterbewusste Rolle in meinem täglichen Leben. Ich bin jetzt an dem Punkt, an dem ich das alles angehe, aber ich hätte schon damals für Klarheit sorgen sollen. Nachfragen sollen, nicht hinnehmen, einfach so links liegen gelassen zu werden. In Behandlung hätte ich gehen sollen. Um zu verstehen. Jetzt beginnt die Zeit des Verständnisses, für alles, was geschehen ist.

Text von Nora. Sie ist, wie dieser Text, mit ihren Gefühlen gerade überall und nirgendwo.

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