Gastgedanken, Inspiration, Selbst & Inszenierung
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Wann ist er endlich da, der Sinn?

Als ich mich an einem der letzten Wochenenden auf den Weg zu einer Freundin gemacht habe, bemerke ich im vorbeigehen den Titel eines Filmes. Abgedruckt auf einem mühelos an einen Stromkasten gekleisterten Poster.  Die Ecken biegen sich nach oben und ein alter Mann mit Brille grinst mich an.

Macht alles einen Sinn? Und wenn ja, wie lange dauert das noch?“, steht drauf. Ich will schon vorbeigehen, da fällt mir plötzlich auf, wie ich mich von den weißen Blockbuchstaben angesprochen fühle. Ich habe keine Ahnung vom Inhalt des Films, ob der Titel überhaupt so gemeint ist, wie ich ihn verstehe. Klingt ganz schön ungeduldig, denke ich. Klingt aber ganz schön nach mir, denke ich auch.

Ja, man kann schon nachdenklich werden, wenn man kurz vor dem Ende seiner Schullaufbahn steht und nicht weiß, wie sich Zukunft für einen entwickeln wird. Vielleicht macht das alles gar keinen Sinn, denke ich oft, wenn mich, bei langen nächtlichen Bahnfahrten nach Hause und dem Blick aus dem Fenster auf die Lichter der Stadt, philosophische Gedankengänge überkommen.

Ich habe Angst, dass das Leben einem vorgeschrieben ist, eine Materie der Zeit, in dem alle irgendwie herum schwimmen, wie kleine Fische in ihrem Teich. Eigentlich planlos und doch so unter Druck. Aber wer möchte schon von Druck und Angst bestimmt werden, das kann doch nicht der Sinn dahinter sein.

Nur weil ich weiß, dass mich Kunst interessiert, ich Literatur mag und mich stundenlang über philosophische Fragen und Indie-Musik unterhalte, heißt das nicht, dass ich einen Plan vom Sinn habe oder einen Sinn im Plan sehe. Vielleicht habe ich einen Plan von mir selbst, aber keinen Plan vom Leben.

Vielleicht ist mein Problem, dass ich einen Plan von der Zukunft habe, aber keinen von der Gegenwart. Ich will kein Fisch sein, der im Teich seine Bahnen zieht, völlig öde und vorhersehbar – völlig geplant. Eigentlich möchte ich überhaupt kein Fisch sein. Aber was will man sein? Will man sein, damit ein Sinn gegeben wird oder will man sich einen Sinn geben, damit man ist?

Ich versuche mir das Leben wie eine Zugfahrt zu erklären: Bei der Geburt steige ich ein – in meinen Zug, der mich mal langsam und mal schnell, mal auf Umwegen oder über Abkürzungen, über Brücken und durch Täler bringt. Menschen steigen ein, Menschen steigen aus und manche Plätze bleiben dann für immer leer. Verschiedene Stationen erwarten mich. Ich muss neugierig sein, dann werde ich aussteigen und auf meinen nächsten Zug warten müssen. 

Ich lande auf Waldlichtungen, auf die warme Frühlingssonnenstrahlen durch die grellgrünen Blätter der umringsstehenden Bäume fallen. Ich kann am Fuße eines Berges ausgesetzt werden und zusehen müssen, wie der Zug auf der anderen Seite zum Stehen kommt und mich so zum Alleingang auffordert. Vielleicht treffe ich aber, oben angekommen ganz zufällig, auf einen netten Herren mit Hut und ich kann mit ihm über die schöne Aussicht und die alte Filme plaudern.

Die Zukunft ist sicher ungewiss, aber allein, dass mir eine zuvor steht, ist das Schönste, woran ich denken kann.
Ganz egal wohin mich mein Zug bringt, wie viel schöne und weniger schöne Naturen mir begegnen, in wie vielen Tunneln er steckenbleibt oder vor wie viele Berge er mich setzt – letztendlich werde ich wohl noch häufiger an Haltestellen stehen – vor meiner Zukunft stehen. Vor einer Entscheidung stehen und vor der Frage nach dem Sinn stehen. Wer bin ich, was bin ich und wo bin ich? Bin ich hier oder dort und was heißt überhaupt dort? Wie finde ich einen Sinn? Und kann ich irgendwann auch mal Fragen beantworten oder werde ich sie immer nur stellen können?

Wenn ich gedacht habe, dass mich der Zug irgendwann an einen Ort der Erkenntnis bringt, an dem mir plötzlich alles wie Schuppen von den Augen fällt, dann habe ich falsch gedacht. Letztendlich ist man immer sich selbst ausgesetzt, wenn der Zug einen aussetzt. Man steht immer vor sich selbst, wenn man an einer Haltestelle steht und man findet den Sinn, wenn man sich selbst findet. Denn das Leben ist eine Reise und letztendlich wird man immer wieder nur sich selbst begegnen. Man muss sich nur irgendwie drauf einlassen können.

Denn wer will schon ein Fisch sein, Tag für Tag die selben Kreise ziehen und nicht die Möglichkeiten sehen und das Vertrauen haben, sich vom Leben positiv überraschen zu lassen. Der Mensch hat die Möglichkeit, Vertrauen zu können. Man muss sich also nur mitnehmen lassen, auch wenn man manch hohen Berg allein überqueren muss.

Wenn ich oben angekommen bin, werde ich die Weiten und Schönheiten erkennen und vielleicht auf Menschen treffen, mit denen ich mich gemeinsam das Gras, der Abendsonne entgegen, hinunterkugeln kann. Vielleicht müssen wir nicht immer alles wissen. Vielleicht reicht es auch nur ein Teil der Geschichte zu kennen. Vielleicht müssen wir immer wieder kleine Teile des Lebens probieren, uns probieren und ausprobieren.In einer Kugel Himbeereis die Süße des Sommers schmecken und beim Rennen über Erdbeerfelder die Sonne im Gesicht und das Gefühl von großer Freiheit spüren.
Vielleicht ist das der Sinn.In jedem Tag eine neue Reise zu entdecken, die Ferne zu erkennen und gleichzeitig den Augenblick zu leben.

Die Verfasserin des Textes möchte anonym bleiben.

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